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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.

Im altrömischen Proceß stützte sich zwar die Einrichtung
schwerlich auf eine gesetzliche Vorschrift, sondern sie war eine
bloße Thatsache des Gewohnheitsrechts. Dies schließt jedoch
die Annahme nicht aus, daß sie auch hier bestimmt war, den
obigen Zweck zu erreichen. War es doch gerade die Tendenz des
Legalismus, die nach Darstellung der Römer die Zeit, in die
die Entstehung der Legisactionen fällt, erfüllte und die XII Ta-
feln ins Leben gerufen hatte.875) Die Jurisprudenz, indem sie
mittelst der legis actio die Berufung auf das Gesetz zum formel-
len Requisit der Klage erhob, gehorchte damit nur dem Drange
der Zeit, vervollständigte und befestigte, was die XII Tafeln be-
gonnen.876)

3. Die äußere Ausdehnung des Gebiets der Legis-
actio
.

Haben wir hierin das Richtige getroffen, so ergibt sich dar-
aus von selbst, daß dies Requisit sich auf alle und jede Klagen
erstreckte, sich also nicht bloß auf die von Gajus genannten fünf
Grundformen des alten Verfahrens (modi, quibus lege age-
batur)
beschränkte, m. a. W. daß die rechtliche Verfolgbarkeit
eines Anspruches die Anerkennung desselben im Gesetz zur Be-
dingung hatte. Wenn also Gajus von der legis actio sacramento
bemerkt,877) sie sei eine generelle Klage gewesen, deren man sich
überall habe bedienen können, wo nicht das Gegentheil bestimmt
sei, so ist diese ihre allgemeine Anwendbarkeit nur auf die Form
des Verfahrens
zu beziehen. Eine bloße processualische Ein-
kleidungsform, setzte sie, wie die übrigen vier Formen, in jedem ein-
zelnen Fall einen vom Gesetzaner kannten materiellen Anspruch,

875) L. 2 §. 4 de O. J. (1. 2) verglichen mit §. 3 ibid: incerto ma-
gis jure et consuetudine, quam per legem latam -- postea ne diutius hoc
fieret ... et civitas fundaretur legibus.
876) L. 2 §. 6 ibid. quas actiones, ne populus prout vellet institue-
ret, certas solennesque esse voluerunt.
877) Gaj. IV, 13.
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.

Im altrömiſchen Proceß ſtützte ſich zwar die Einrichtung
ſchwerlich auf eine geſetzliche Vorſchrift, ſondern ſie war eine
bloße Thatſache des Gewohnheitsrechts. Dies ſchließt jedoch
die Annahme nicht aus, daß ſie auch hier beſtimmt war, den
obigen Zweck zu erreichen. War es doch gerade die Tendenz des
Legalismus, die nach Darſtellung der Römer die Zeit, in die
die Entſtehung der Legisactionen fällt, erfüllte und die XII Ta-
feln ins Leben gerufen hatte.875) Die Jurisprudenz, indem ſie
mittelſt der legis actio die Berufung auf das Geſetz zum formel-
len Requiſit der Klage erhob, gehorchte damit nur dem Drange
der Zeit, vervollſtändigte und befeſtigte, was die XII Tafeln be-
gonnen.876)

3. Die äußere Ausdehnung des Gebiets der Legis-
actio
.

Haben wir hierin das Richtige getroffen, ſo ergibt ſich dar-
aus von ſelbſt, daß dies Requiſit ſich auf alle und jede Klagen
erſtreckte, ſich alſo nicht bloß auf die von Gajus genannten fünf
Grundformen des alten Verfahrens (modi, quibus lege age-
batur)
beſchränkte, m. a. W. daß die rechtliche Verfolgbarkeit
eines Anſpruches die Anerkennung deſſelben im Geſetz zur Be-
dingung hatte. Wenn alſo Gajus von der legis actio sacramento
bemerkt,877) ſie ſei eine generelle Klage geweſen, deren man ſich
überall habe bedienen können, wo nicht das Gegentheil beſtimmt
ſei, ſo iſt dieſe ihre allgemeine Anwendbarkeit nur auf die Form
des Verfahrens
zu beziehen. Eine bloße proceſſualiſche Ein-
kleidungsform, ſetzte ſie, wie die übrigen vier Formen, in jedem ein-
zelnen Fall einen vom Geſetzaner kannten materiellen Anſpruch,

875) L. 2 §. 4 de O. J. (1. 2) verglichen mit §. 3 ibid: incerto ma-
gis jure et consuetudine, quam per legem latam — postea ne diutius hoc
fieret … et civitas fundaretur legibus.
876) L. 2 §. 6 ibid. quas actiones, ne populus prout vellet institue-
ret, certas solennesque esse voluerunt.
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[653/0359] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Im altrömiſchen Proceß ſtützte ſich zwar die Einrichtung ſchwerlich auf eine geſetzliche Vorſchrift, ſondern ſie war eine bloße Thatſache des Gewohnheitsrechts. Dies ſchließt jedoch die Annahme nicht aus, daß ſie auch hier beſtimmt war, den obigen Zweck zu erreichen. War es doch gerade die Tendenz des Legalismus, die nach Darſtellung der Römer die Zeit, in die die Entſtehung der Legisactionen fällt, erfüllte und die XII Ta- feln ins Leben gerufen hatte. 875) Die Jurisprudenz, indem ſie mittelſt der legis actio die Berufung auf das Geſetz zum formel- len Requiſit der Klage erhob, gehorchte damit nur dem Drange der Zeit, vervollſtändigte und befeſtigte, was die XII Tafeln be- gonnen. 876) 3. Die äußere Ausdehnung des Gebiets der Legis- actio. Haben wir hierin das Richtige getroffen, ſo ergibt ſich dar- aus von ſelbſt, daß dies Requiſit ſich auf alle und jede Klagen erſtreckte, ſich alſo nicht bloß auf die von Gajus genannten fünf Grundformen des alten Verfahrens (modi, quibus lege age- batur) beſchränkte, m. a. W. daß die rechtliche Verfolgbarkeit eines Anſpruches die Anerkennung deſſelben im Geſetz zur Be- dingung hatte. Wenn alſo Gajus von der legis actio sacramento bemerkt, 877) ſie ſei eine generelle Klage geweſen, deren man ſich überall habe bedienen können, wo nicht das Gegentheil beſtimmt ſei, ſo iſt dieſe ihre allgemeine Anwendbarkeit nur auf die Form des Verfahrens zu beziehen. Eine bloße proceſſualiſche Ein- kleidungsform, ſetzte ſie, wie die übrigen vier Formen, in jedem ein- zelnen Fall einen vom Geſetzaner kannten materiellen Anſpruch, 875) L. 2 §. 4 de O. J. (1. 2) verglichen mit §. 3 ibid: incerto ma- gis jure et consuetudine, quam per legem latam — postea ne diutius hoc fieret … et civitas fundaretur legibus. 876) L. 2 §. 6 ibid. quas actiones, ne populus prout vellet institue- ret, certas solennesque esse voluerunt. 877) Gaj. IV, 13.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/359>, abgerufen am 24.11.2024.