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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
verfaßt (composuit), so beruht dies sicherlich auf einem Irr-
thum. Daß ein Jurist als solcher, d. h. ohne amtlichen Cha-
rakter, keine Formeln (S. 604) einführen konnte, bedarf kaum
der Bemerkung. Was er vermochte, war nur ein Formular
aufsetzen. Allein auch die Annahme, daß jene Sammlung aus
lauter von Aelius verfaßten Formularen bestanden habe,
stößt auf unmögliche Vorausfetzungen. Oder sollte die römische
Jurisprudenz Angesichts des durch Pomponius selbst betonten
Bedürfnisses (augescente civitate quia deerant quaedam ge-
nera agendi
) und bei der ihr nicht minder, als dem Aelius
gebotenen Möglichkeit der Befriedigung dieses Bedürfnisses,
d. h. dem Vorhandensein der leges, aus denen sich die legis
actiones
componiren ließen, sich dieser einfachen Aufgabe so
lange entzogen haben, bis endlich Aelius auf den Gedanken
kam, das Versäumte nachzuholen und mit einem Male eine
solche Menge Klagformulare in die Praxis warf, daß man sie
als "liber" und "jus Aelianum" bezeichnen konnte? Viel-
leicht hat Pomponius sich durch die letztere Bezeichnung verlei-
ten lassen, den bloßen Sammler für den Verfasser zu halten,
während dieselbe hier nicht mehr bedeutete, als beim jus Pa-
pirianum
und Aelianum -- jedenfalls habe ich nicht den Fond
von Glauben, den er bei dieser Gelegenheit an den Tag gelegt
hat.

Das Formelwesen ist also ein Werk der Jurisprudenz.
Könnten die äußeren Beweise uns darüber zweifeln lassen, die
inneren von der Beschaffenheit desselben hergenommenen müß-
ten jeden Zweifel heben -- jedes Splitterchen, möchte ich sagen,
verkündet uns die Urheberin. Ich habe den Gesichtspunkt, un-
ter dem ich diesen Bestandtheil der ältern Jurisprudenz auffasse,
bereits oben S. 589 angegeben, und es ist hier der Ort, den-
selben zu begründen. Ich nannte das Formelwesen dort ein
Kunstproduct des juristischen Geistes und bezeichnete
es als einen untergegangenen Zweig der juristischen Kunst,
und daran knüpfe ich jetzt an.

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
verfaßt (composuit), ſo beruht dies ſicherlich auf einem Irr-
thum. Daß ein Juriſt als ſolcher, d. h. ohne amtlichen Cha-
rakter, keine Formeln (S. 604) einführen konnte, bedarf kaum
der Bemerkung. Was er vermochte, war nur ein Formular
aufſetzen. Allein auch die Annahme, daß jene Sammlung aus
lauter von Aelius verfaßten Formularen beſtanden habe,
ſtößt auf unmögliche Vorausfetzungen. Oder ſollte die römiſche
Jurisprudenz Angeſichts des durch Pomponius ſelbſt betonten
Bedürfniſſes (augescente civitate quia deerant quaedam ge-
nera agendi
) und bei der ihr nicht minder, als dem Aelius
gebotenen Möglichkeit der Befriedigung dieſes Bedürfniſſes,
d. h. dem Vorhandenſein der leges, aus denen ſich die legis
actiones
componiren ließen, ſich dieſer einfachen Aufgabe ſo
lange entzogen haben, bis endlich Aelius auf den Gedanken
kam, das Verſäumte nachzuholen und mit einem Male eine
ſolche Menge Klagformulare in die Praxis warf, daß man ſie
als „liber“ und „jus Aelianum“ bezeichnen konnte? Viel-
leicht hat Pomponius ſich durch die letztere Bezeichnung verlei-
ten laſſen, den bloßen Sammler für den Verfaſſer zu halten,
während dieſelbe hier nicht mehr bedeutete, als beim jus Pa-
pirianum
und Aelianum — jedenfalls habe ich nicht den Fond
von Glauben, den er bei dieſer Gelegenheit an den Tag gelegt
hat.

Das Formelweſen iſt alſo ein Werk der Jurisprudenz.
Könnten die äußeren Beweiſe uns darüber zweifeln laſſen, die
inneren von der Beſchaffenheit deſſelben hergenommenen müß-
ten jeden Zweifel heben — jedes Splitterchen, möchte ich ſagen,
verkündet uns die Urheberin. Ich habe den Geſichtspunkt, un-
ter dem ich dieſen Beſtandtheil der ältern Jurisprudenz auffaſſe,
bereits oben S. 589 angegeben, und es iſt hier der Ort, den-
ſelben zu begründen. Ich nannte das Formelweſen dort ein
Kunſtproduct des juriſtiſchen Geiſtes und bezeichnete
es als einen untergegangenen Zweig der juriſtiſchen Kunſt,
und daran knüpfe ich jetzt an.

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[623/0329] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. verfaßt (composuit), ſo beruht dies ſicherlich auf einem Irr- thum. Daß ein Juriſt als ſolcher, d. h. ohne amtlichen Cha- rakter, keine Formeln (S. 604) einführen konnte, bedarf kaum der Bemerkung. Was er vermochte, war nur ein Formular aufſetzen. Allein auch die Annahme, daß jene Sammlung aus lauter von Aelius verfaßten Formularen beſtanden habe, ſtößt auf unmögliche Vorausfetzungen. Oder ſollte die römiſche Jurisprudenz Angeſichts des durch Pomponius ſelbſt betonten Bedürfniſſes (augescente civitate quia deerant quaedam ge- nera agendi) und bei der ihr nicht minder, als dem Aelius gebotenen Möglichkeit der Befriedigung dieſes Bedürfniſſes, d. h. dem Vorhandenſein der leges, aus denen ſich die legis actiones componiren ließen, ſich dieſer einfachen Aufgabe ſo lange entzogen haben, bis endlich Aelius auf den Gedanken kam, das Verſäumte nachzuholen und mit einem Male eine ſolche Menge Klagformulare in die Praxis warf, daß man ſie als „liber“ und „jus Aelianum“ bezeichnen konnte? Viel- leicht hat Pomponius ſich durch die letztere Bezeichnung verlei- ten laſſen, den bloßen Sammler für den Verfaſſer zu halten, während dieſelbe hier nicht mehr bedeutete, als beim jus Pa- pirianum und Aelianum — jedenfalls habe ich nicht den Fond von Glauben, den er bei dieſer Gelegenheit an den Tag gelegt hat. Das Formelweſen iſt alſo ein Werk der Jurisprudenz. Könnten die äußeren Beweiſe uns darüber zweifeln laſſen, die inneren von der Beſchaffenheit deſſelben hergenommenen müß- ten jeden Zweifel heben — jedes Splitterchen, möchte ich ſagen, verkündet uns die Urheberin. Ich habe den Geſichtspunkt, un- ter dem ich dieſen Beſtandtheil der ältern Jurisprudenz auffaſſe, bereits oben S. 589 angegeben, und es iſt hier der Ort, den- ſelben zu begründen. Ich nannte das Formelweſen dort ein Kunſtproduct des juriſtiſchen Geiſtes und bezeichnete es als einen untergegangenen Zweig der juriſtiſchen Kunſt, und daran knüpfe ich jetzt an.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/329>, abgerufen am 22.11.2024.