Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
duellen Umstände (als überflüssig) hinwegfiel. Dahin ge- hörten z. B. die Formeln des Testators und des familiae emtor. Gaj. II, 104, die des Vindicationsrituals. Gaj. IV, 16. Cic. pro Murena 12.
Ich brauche nun wohl kaum zu bemerken, daß diese for- melle Verschiedenheit nur die Folge und der Ausdruck einer materiellen war. Für gewisse Handlungen war man der Ansicht, daß sie ihrem wesentlichen Bestande nach in dem Maße fest und bestimmt gegeben seien, daß jede Abweichung davon vom Uebel sei. Der Ausdruck für diese Ansicht war eine For- mel der dritten und vierten Classe. Bei andern verhehlte man sich nicht, daß man der Autonomie der Privaten einen freieren Spielraum gewähren müsse, begnügte sich also damit, nur die Hauptpunkte namhaft zu machen, oder nahm selbst davon Ab- stand. In jenem Fall gab man eine Formel der zweiten Classe, in diesem beschränkte man sich auf ein bloßes Schlagwort.
Soweit nun das Requisit der Bestimmtheit reichte, hatte es bei allen Geschäften dieselbe Kraft und Geltung. Eine Ac- ceptilation, bei der das Wort: acceptum habeo mit einem an- dern gleichbedeutenden vertauscht war, war um nichts weniger nichtig, als jene Legisactio von Gajus, bei der statt arboribus: vitibus gesetzt war. Die scheinbare Differenz in der Strenge, mit der der Formalismus bei der einen und andern Classe von Geschäften gehandhabt wurde, beruhte nur auf der Verschieden- heit in der Elasticität der Formeln: nicht das Maß der Strenge, sondern nur das der Bestimmtheit war ein verschiedenes.
Eine nothwendige Consequenz der Bestimmtheit war die, daß die vorgeschriebenen Worte und Formeln sich nicht in eine andere Sprache übertragen ließen. Waren es einmal diese Ausdrücke, deren man sich bedienen mußte, wie hätte man statt derselben z. B. griechische gebrauchen können? Eben so gut hätte man gleichbedeutende lateinische wählen können. Ein Ausländer also, der das römische Bürgerrecht oder Commer- cium erworben hatte, mußte alle Geschäfte des jus civile in
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
duellen Umſtände (als überflüſſig) hinwegfiel. Dahin ge- hörten z. B. die Formeln des Teſtators und des familiae emtor. Gaj. II, 104, die des Vindicationsrituals. Gaj. IV, 16. Cic. pro Murena 12.
Ich brauche nun wohl kaum zu bemerken, daß dieſe for- melle Verſchiedenheit nur die Folge und der Ausdruck einer materiellen war. Für gewiſſe Handlungen war man der Anſicht, daß ſie ihrem weſentlichen Beſtande nach in dem Maße feſt und beſtimmt gegeben ſeien, daß jede Abweichung davon vom Uebel ſei. Der Ausdruck für dieſe Anſicht war eine For- mel der dritten und vierten Claſſe. Bei andern verhehlte man ſich nicht, daß man der Autonomie der Privaten einen freieren Spielraum gewähren müſſe, begnügte ſich alſo damit, nur die Hauptpunkte namhaft zu machen, oder nahm ſelbſt davon Ab- ſtand. In jenem Fall gab man eine Formel der zweiten Claſſe, in dieſem beſchränkte man ſich auf ein bloßes Schlagwort.
Soweit nun das Requiſit der Beſtimmtheit reichte, hatte es bei allen Geſchäften dieſelbe Kraft und Geltung. Eine Ac- ceptilation, bei der das Wort: acceptum habeo mit einem an- dern gleichbedeutenden vertauſcht war, war um nichts weniger nichtig, als jene Legisactio von Gajus, bei der ſtatt arboribus: vitibus geſetzt war. Die ſcheinbare Differenz in der Strenge, mit der der Formalismus bei der einen und andern Claſſe von Geſchäften gehandhabt wurde, beruhte nur auf der Verſchieden- heit in der Elaſticität der Formeln: nicht das Maß der Strenge, ſondern nur das der Beſtimmtheit war ein verſchiedenes.
Eine nothwendige Conſequenz der Beſtimmtheit war die, daß die vorgeſchriebenen Worte und Formeln ſich nicht in eine andere Sprache übertragen ließen. Waren es einmal dieſe Ausdrücke, deren man ſich bedienen mußte, wie hätte man ſtatt derſelben z. B. griechiſche gebrauchen können? Eben ſo gut hätte man gleichbedeutende lateiniſche wählen können. Ein Ausländer alſo, der das römiſche Bürgerrecht oder Commer- cium erworben hatte, mußte alle Geſchäfte des jus civile in
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
duellen Umſtände (als überflüſſig) hinwegfiel. Dahin ge-
hörten z. B. die Formeln des Teſtators und des familiae
emtor. Gaj. II, 104, die des Vindicationsrituals. Gaj.
IV, 16. Cic. pro Murena 12.
Ich brauche nun wohl kaum zu bemerken, daß dieſe for-
melle Verſchiedenheit nur die Folge und der Ausdruck einer
materiellen war. Für gewiſſe Handlungen war man der
Anſicht, daß ſie ihrem weſentlichen Beſtande nach in dem Maße
feſt und beſtimmt gegeben ſeien, daß jede Abweichung davon
vom Uebel ſei. Der Ausdruck für dieſe Anſicht war eine For-
mel der dritten und vierten Claſſe. Bei andern verhehlte man
ſich nicht, daß man der Autonomie der Privaten einen freieren
Spielraum gewähren müſſe, begnügte ſich alſo damit, nur die
Hauptpunkte namhaft zu machen, oder nahm ſelbſt davon Ab-
ſtand. In jenem Fall gab man eine Formel der zweiten Claſſe,
in dieſem beſchränkte man ſich auf ein bloßes Schlagwort.
Soweit nun das Requiſit der Beſtimmtheit reichte, hatte es
bei allen Geſchäften dieſelbe Kraft und Geltung. Eine Ac-
ceptilation, bei der das Wort: acceptum habeo mit einem an-
dern gleichbedeutenden vertauſcht war, war um nichts weniger
nichtig, als jene Legisactio von Gajus, bei der ſtatt arboribus:
vitibus geſetzt war. Die ſcheinbare Differenz in der Strenge,
mit der der Formalismus bei der einen und andern Claſſe von
Geſchäften gehandhabt wurde, beruhte nur auf der Verſchieden-
heit in der Elaſticität der Formeln: nicht das Maß der Strenge,
ſondern nur das der Beſtimmtheit war ein verſchiedenes.
Eine nothwendige Conſequenz der Beſtimmtheit war die,
daß die vorgeſchriebenen Worte und Formeln ſich nicht in eine
andere Sprache übertragen ließen. Waren es einmal dieſe
Ausdrücke, deren man ſich bedienen mußte, wie hätte man ſtatt
derſelben z. B. griechiſche gebrauchen können? Eben ſo gut
hätte man gleichbedeutende lateiniſche wählen können. Ein
Ausländer alſo, der das römiſche Bürgerrecht oder Commer-
cium erworben hatte, mußte alle Geſchäfte des jus civile in
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/321>, abgerufen am 28.06.2024.
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