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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Kinn, 768) bei einer an die Menge gerichteten Aufforderung
dient das Erheben der Hand oder des Fingers als Ausdruck der
Bereitwilligkeit. 769)

Die für das Privatrecht bei weitem wichtigste Function
der Hand besteht in dem Greifen und Ergreifen, und
rücksichtlich ihrer fließen der symbolische und praktisch-realisti-
sche Gesichtspunkt fast unmerklich in einander über. Das Er-
greifen der Sache bei der Mancipation oder des Schuldners
bei der Personalexecution verstattet ebensowohl die Deutung
eines ernstlich gemeinten Actes zum Zweck der physischen Be-
mächtigung der Person oder Sache, als die eines symbolischen
Actes zum Zweck der Kundgebung der rechtlichen Herrschaft,
die hier an der Sache erworben, an der Person geltend gemacht
werden soll. Ja es bietet sich noch eine andere Deutung dar,
nämlich die rein deiktische: der Gegenstand wird ergriffen, um
dadurch aufs unzweideutigste darzuthun, daß er es ist, den man
im Sinn hat, und für einzelne Fälle ist diese Annahme völlig
unabweisbar, so z. B. für die Testamentserrichtung, wenn der
Testator die Worte spricht: haec uti in his tabulis cerisve
scripta sunt
u. s. w. und dabei das Testament in der Hand
hält. 770)

Das Greifen als solenne Handlung begegnet uns auch
außerhalb des Rechts, namentlich bei gewissen religiösen Ac-
ten. Bei Einweihung des Tempels muß der Magistrat oder
der Pontifex maximus, 771) der den Act vollzieht, indem er die

768) Je nach Umständen. Vergleiche Liv. VIII, 9 mit Macrob.
Sat. III, 9.
769) So in Rom namentlich bei öffentlichen Licitationen von Seiten
des Steigerers, der daher man-ceps hieß. Brisson. de voc. ac form. IV
c. 85.
Aber auch bei andern Gelegenheiten. S. z. B. Liv. III, 46 ... quum
instaret .. ut sponsores daret ... manus tollere undique multitudo et
se quisque paratum ad spondendum ostendere.
770) Gaj. II, 104.
771) Daß beide die Pfoste gehalten, wie Marquardt in Becker Handb.
der röm. Alterth. IV S. 226 annimmt, beruht auf Mißverständniß und wäre

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Kinn, 768) bei einer an die Menge gerichteten Aufforderung
dient das Erheben der Hand oder des Fingers als Ausdruck der
Bereitwilligkeit. 769)

Die für das Privatrecht bei weitem wichtigſte Function
der Hand beſteht in dem Greifen und Ergreifen, und
rückſichtlich ihrer fließen der ſymboliſche und praktiſch-realiſti-
ſche Geſichtspunkt faſt unmerklich in einander über. Das Er-
greifen der Sache bei der Mancipation oder des Schuldners
bei der Perſonalexecution verſtattet ebenſowohl die Deutung
eines ernſtlich gemeinten Actes zum Zweck der phyſiſchen Be-
mächtigung der Perſon oder Sache, als die eines ſymboliſchen
Actes zum Zweck der Kundgebung der rechtlichen Herrſchaft,
die hier an der Sache erworben, an der Perſon geltend gemacht
werden ſoll. Ja es bietet ſich noch eine andere Deutung dar,
nämlich die rein deiktiſche: der Gegenſtand wird ergriffen, um
dadurch aufs unzweideutigſte darzuthun, daß er es iſt, den man
im Sinn hat, und für einzelne Fälle iſt dieſe Annahme völlig
unabweisbar, ſo z. B. für die Teſtamentserrichtung, wenn der
Teſtator die Worte ſpricht: haec uti in his tabulis cerisve
scripta sunt
u. ſ. w. und dabei das Teſtament in der Hand
hält. 770)

Das Greifen als ſolenne Handlung begegnet uns auch
außerhalb des Rechts, namentlich bei gewiſſen religiöſen Ac-
ten. Bei Einweihung des Tempels muß der Magiſtrat oder
der Pontifex maximus, 771) der den Act vollzieht, indem er die

768) Je nach Umſtänden. Vergleiche Liv. VIII, 9 mit Macrob.
Sat. III, 9.
769) So in Rom namentlich bei öffentlichen Licitationen von Seiten
des Steigerers, der daher man-ceps hieß. Brisson. de voc. ac form. IV
c. 85.
Aber auch bei andern Gelegenheiten. S. z. B. Liv. III, 46 … quum
instaret .. ut sponsores daret … manus tollere undique multitudo et
se quisque paratum ad spondendum ostendere.
770) Gaj. II, 104.
771) Daß beide die Pfoſte gehalten, wie Marquardt in Becker Handb.
der röm. Alterth. IV S. 226 annimmt, beruht auf Mißverſtändniß und wäre
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[596/0302] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Kinn, 768) bei einer an die Menge gerichteten Aufforderung dient das Erheben der Hand oder des Fingers als Ausdruck der Bereitwilligkeit. 769) Die für das Privatrecht bei weitem wichtigſte Function der Hand beſteht in dem Greifen und Ergreifen, und rückſichtlich ihrer fließen der ſymboliſche und praktiſch-realiſti- ſche Geſichtspunkt faſt unmerklich in einander über. Das Er- greifen der Sache bei der Mancipation oder des Schuldners bei der Perſonalexecution verſtattet ebenſowohl die Deutung eines ernſtlich gemeinten Actes zum Zweck der phyſiſchen Be- mächtigung der Perſon oder Sache, als die eines ſymboliſchen Actes zum Zweck der Kundgebung der rechtlichen Herrſchaft, die hier an der Sache erworben, an der Perſon geltend gemacht werden ſoll. Ja es bietet ſich noch eine andere Deutung dar, nämlich die rein deiktiſche: der Gegenſtand wird ergriffen, um dadurch aufs unzweideutigſte darzuthun, daß er es iſt, den man im Sinn hat, und für einzelne Fälle iſt dieſe Annahme völlig unabweisbar, ſo z. B. für die Teſtamentserrichtung, wenn der Teſtator die Worte ſpricht: haec uti in his tabulis cerisve scripta sunt u. ſ. w. und dabei das Teſtament in der Hand hält. 770) Das Greifen als ſolenne Handlung begegnet uns auch außerhalb des Rechts, namentlich bei gewiſſen religiöſen Ac- ten. Bei Einweihung des Tempels muß der Magiſtrat oder der Pontifex maximus, 771) der den Act vollzieht, indem er die 768) Je nach Umſtänden. Vergleiche Liv. VIII, 9 mit Macrob. Sat. III, 9. 769) So in Rom namentlich bei öffentlichen Licitationen von Seiten des Steigerers, der daher man-ceps hieß. Brisson. de voc. ac form. IV c. 85. Aber auch bei andern Gelegenheiten. S. z. B. Liv. III, 46 … quum instaret .. ut sponsores daret … manus tollere undique multitudo et se quisque paratum ad spondendum ostendere. 770) Gaj. II, 104. 771) Daß beide die Pfoſte gehalten, wie Marquardt in Becker Handb. der röm. Alterth. IV S. 226 annimmt, beruht auf Mißverſtändniß und wäre

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/302>, abgerufen am 25.11.2024.