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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
lirten Rechtsgeschäfts. Nicht zu verwechseln mit demselben ist
ein Verhältniß, das mit ihm auf den ersten Blick große Aehn-
lichkeit hat, nämlich die Eingehung eines Rechtsgeschäfts
lediglich in der Absicht, um einzelne vielleicht ganz secundäre
Wirkungen desselben zu erzielen. Als Licinius Stolo seinen
Sohn emancipirte, um den Bestimmungen seines eignen Ge-
setzes, der lex Licinia de modo agri, zu entgehen (S. 494),
nahm er kein Scheingeschäft im juristischen Sinn vor, denn
der Sohn war und blieb frei. Es fehlte dem Genannten nicht
an dem für die juristische Würdigung allein in Betracht kom-
menden rechtlichen Willen, wohl aber an der ächten ethi-
schen Gesinnung
; er nahm die Emancipation nicht ihrer
selbst willen vor, sondern wegen secundärer daran geknüpfter
Vortheile, und darum war er vom Volk verurtheilt. Der-
artige, wenn man will, Scheingeschäfte im natürlichsittlichen
Sinn kamen bei den Römern durchaus nicht selten vor und
werden uns noch öfter begegnen.

Die Scheingeschäfte in unserm obigen Sinn sind nun von
diesen beiden Verhältnissen streng zu trennen. Sie beruhen
nicht auf irgend einem Mangel des Willens oder der Ge-
sinnung, sondern lediglich auf der Macht der Form. Ihre
Entstehungsweise kann eine doppelte sein. Entweder eine
secundäre: nämlich auf dem Wege, daß Geschäfte oder
Bestandtheile derselben, die ihre ernste Bedeutung verloren
haben, sich in der oben S. 538 geschilderten Weise fort erhal-
ten: residuäre Scheingeschäfte. Oder eine primäre:
nämlich in der Weise, daß ein Geschäft, welches an sich eine
ernste Bedeutung hat, als reine Form für ein anderes verwandt
wird. Hier ist also das Scheingeschäft im Gegensatz zum ersten
Fall etwas Gemachtes, von vornherein als Scheingeschäft
ins Leben gerufen: originäres Scheingeschäft. Dahin
gehört die in jure cessio und sponsio praejudicialis.

Das Scheingeschäft enthielt für die ältere Jurisprudenz ein
eigenthümliches Problem. Einerseits nämlich sollte der Schein

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
lirten Rechtsgeſchäfts. Nicht zu verwechſeln mit demſelben iſt
ein Verhältniß, das mit ihm auf den erſten Blick große Aehn-
lichkeit hat, nämlich die Eingehung eines Rechtsgeſchäfts
lediglich in der Abſicht, um einzelne vielleicht ganz ſecundäre
Wirkungen deſſelben zu erzielen. Als Licinius Stolo ſeinen
Sohn emancipirte, um den Beſtimmungen ſeines eignen Ge-
ſetzes, der lex Licinia de modo agri, zu entgehen (S. 494),
nahm er kein Scheingeſchäft im juriſtiſchen Sinn vor, denn
der Sohn war und blieb frei. Es fehlte dem Genannten nicht
an dem für die juriſtiſche Würdigung allein in Betracht kom-
menden rechtlichen Willen, wohl aber an der ächten ethi-
ſchen Geſinnung
; er nahm die Emancipation nicht ihrer
ſelbſt willen vor, ſondern wegen ſecundärer daran geknüpfter
Vortheile, und darum war er vom Volk verurtheilt. Der-
artige, wenn man will, Scheingeſchäfte im natürlichſittlichen
Sinn kamen bei den Römern durchaus nicht ſelten vor und
werden uns noch öfter begegnen.

Die Scheingeſchäfte in unſerm obigen Sinn ſind nun von
dieſen beiden Verhältniſſen ſtreng zu trennen. Sie beruhen
nicht auf irgend einem Mangel des Willens oder der Ge-
ſinnung, ſondern lediglich auf der Macht der Form. Ihre
Entſtehungsweiſe kann eine doppelte ſein. Entweder eine
ſecundäre: nämlich auf dem Wege, daß Geſchäfte oder
Beſtandtheile derſelben, die ihre ernſte Bedeutung verloren
haben, ſich in der oben S. 538 geſchilderten Weiſe fort erhal-
ten: reſiduäre Scheingeſchäfte. Oder eine primäre:
nämlich in der Weiſe, daß ein Geſchäft, welches an ſich eine
ernſte Bedeutung hat, als reine Form für ein anderes verwandt
wird. Hier iſt alſo das Scheingeſchäft im Gegenſatz zum erſten
Fall etwas Gemachtes, von vornherein als Scheingeſchäft
ins Leben gerufen: originäres Scheingeſchäft. Dahin
gehört die in jure cessio und sponsio praejudicialis.

Das Scheingeſchäft enthielt für die ältere Jurisprudenz ein
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[555/0261] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. lirten Rechtsgeſchäfts. Nicht zu verwechſeln mit demſelben iſt ein Verhältniß, das mit ihm auf den erſten Blick große Aehn- lichkeit hat, nämlich die Eingehung eines Rechtsgeſchäfts lediglich in der Abſicht, um einzelne vielleicht ganz ſecundäre Wirkungen deſſelben zu erzielen. Als Licinius Stolo ſeinen Sohn emancipirte, um den Beſtimmungen ſeines eignen Ge- ſetzes, der lex Licinia de modo agri, zu entgehen (S. 494), nahm er kein Scheingeſchäft im juriſtiſchen Sinn vor, denn der Sohn war und blieb frei. Es fehlte dem Genannten nicht an dem für die juriſtiſche Würdigung allein in Betracht kom- menden rechtlichen Willen, wohl aber an der ächten ethi- ſchen Geſinnung; er nahm die Emancipation nicht ihrer ſelbſt willen vor, ſondern wegen ſecundärer daran geknüpfter Vortheile, und darum war er vom Volk verurtheilt. Der- artige, wenn man will, Scheingeſchäfte im natürlichſittlichen Sinn kamen bei den Römern durchaus nicht ſelten vor und werden uns noch öfter begegnen. Die Scheingeſchäfte in unſerm obigen Sinn ſind nun von dieſen beiden Verhältniſſen ſtreng zu trennen. Sie beruhen nicht auf irgend einem Mangel des Willens oder der Ge- ſinnung, ſondern lediglich auf der Macht der Form. Ihre Entſtehungsweiſe kann eine doppelte ſein. Entweder eine ſecundäre: nämlich auf dem Wege, daß Geſchäfte oder Beſtandtheile derſelben, die ihre ernſte Bedeutung verloren haben, ſich in der oben S. 538 geſchilderten Weiſe fort erhal- ten: reſiduäre Scheingeſchäfte. Oder eine primäre: nämlich in der Weiſe, daß ein Geſchäft, welches an ſich eine ernſte Bedeutung hat, als reine Form für ein anderes verwandt wird. Hier iſt alſo das Scheingeſchäft im Gegenſatz zum erſten Fall etwas Gemachtes, von vornherein als Scheingeſchäft ins Leben gerufen: originäres Scheingeſchäft. Dahin gehört die in jure cessio und sponsio praejudicialis. Das Scheingeſchäft enthielt für die ältere Jurisprudenz ein eigenthümliches Problem. Einerſeits nämlich ſollte der Schein

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/261>, abgerufen am 24.11.2024.