Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. der Arrogation die 30 Curien repräsentirten, eine symbolischeVolksversammlung nennen. Dagegen war es eine symbolische Handlung, wenn der Sklav bei der Freilassung sich herum- drehen mußte, denn diese Veränderung seiner äußern Stel- lung (des status im natürlichen Sinn) sollte ein Zeichen sein für die seiner inneren (des status im juristischen Sinn). Ich will übrigens nicht verkennen, daß sich die Gränzen zwischen den symbolischen und repräsentativen Handlungen im einzelnen Fall sehr verwischen können, allein es kömmt auch weniger auf die Durchführung, als die Aufstellung des Unterschie- des an; welches Interesse sich daran knüpft, wird aus dem Fol- genden klar werden. Symbole und symbolische Handlungen sind nun, wie oben Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. der Arrogation die 30 Curien repräſentirten, eine ſymboliſcheVolksverſammlung nennen. Dagegen war es eine ſymboliſche Handlung, wenn der Sklav bei der Freilaſſung ſich herum- drehen mußte, denn dieſe Veränderung ſeiner äußern Stel- lung (des status im natürlichen Sinn) ſollte ein Zeichen ſein für die ſeiner inneren (des status im juriſtiſchen Sinn). Ich will übrigens nicht verkennen, daß ſich die Gränzen zwiſchen den ſymboliſchen und repräſentativen Handlungen im einzelnen Fall ſehr verwiſchen können, allein es kömmt auch weniger auf die Durchführung, als die Aufſtellung des Unterſchie- des an; welches Intereſſe ſich daran knüpft, wird aus dem Fol- genden klar werden. Symbole und ſymboliſche Handlungen ſind nun, wie oben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0241" n="535"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 45.</fw><lb/> der Arrogation die 30 Curien repräſentirten, eine ſymboliſche<lb/> Volksverſammlung nennen. Dagegen war es eine ſymboliſche<lb/> Handlung, wenn der Sklav bei der Freilaſſung ſich herum-<lb/> drehen mußte, denn dieſe Veränderung ſeiner <hi rendition="#g">äußern Stel-<lb/> lung</hi> (des <hi rendition="#aq">status</hi> im natürlichen Sinn) ſollte ein Zeichen ſein<lb/> für die ſeiner <hi rendition="#g">inneren</hi> (des <hi rendition="#aq">status</hi> im juriſtiſchen Sinn). Ich<lb/> will übrigens nicht verkennen, daß ſich die Gränzen zwiſchen<lb/> den ſymboliſchen und repräſentativen Handlungen im einzelnen<lb/> Fall ſehr verwiſchen können, allein es kömmt auch weniger auf<lb/> die <hi rendition="#g">Durchführung</hi>, als die <hi rendition="#g">Aufſtellung</hi> des Unterſchie-<lb/> des an; welches Intereſſe ſich daran knüpft, wird aus dem Fol-<lb/> genden klar werden.</p><lb/> <p>Symbole und ſymboliſche Handlungen ſind nun, wie oben<lb/> bemerkt, recht eigentlich die Sprache des naiven Geiſtes — eine<lb/> Hieroglyphenſchrift, deren er ſich bedient, weil er die Buch-<lb/> ſtabenſchrift der abſtracten Darſtellung noch nicht erfunden,<lb/> und darum fällt die Blüthezeit derſelben in die naive Periode.<lb/> Allein es iſt doch nicht die Noth <hi rendition="#g">allein</hi>, die ihn zu dieſer<lb/> Zeichenſprache ſeine Zuflucht nehmen läßt, nicht das bloße Un-<lb/> vermögen oder die Unbeholfenheit des abſtracten Ausdrucks,<lb/> ſondern es iſt zugleich das ſinnige Behagen, das poetiſche<lb/> Wohlgefallen an der ſinnlichen Geſtaltung des Geiſtigen, es iſt<lb/> der Reiz der <hi rendition="#g">Plaſtik des Gedankens</hi>. Dies ergibt ſich<lb/> aus Folgendem. Zuerſt daraus, daß wir jene Darſtellungsweiſe<lb/> keineswegs bloß bei ſolchen Gedanken antreffen, die durch ihre<lb/> Tiefe zum Gebrauch derſelben nöthigten. Der geiſtige Kern iſt<lb/> nicht ſelten ein ſo platter und dürftiger, daß auch die Mittel<lb/> einer noch ſo wenig entwickelten Sprache zur Formulirung deſ-<lb/> ſelben vollkommen ausgereicht haben würden. Ja manche For-<lb/> men — ich erinnere z. B. an die repräſentativen — ſchließen<lb/> überhaupt gar keinen Gedanken in ſich. Und ſodann: wäre es<lb/> bloß jener Grund allein geweſen, ſo müßte der Fortſchritt der<lb/> geiſtigen Entwicklung oder, was daſſelbe, die Ausbildung der<lb/> Sprache — denn was der Geiſt erwirbt, bucht die letztere —<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [535/0241]
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
der Arrogation die 30 Curien repräſentirten, eine ſymboliſche
Volksverſammlung nennen. Dagegen war es eine ſymboliſche
Handlung, wenn der Sklav bei der Freilaſſung ſich herum-
drehen mußte, denn dieſe Veränderung ſeiner äußern Stel-
lung (des status im natürlichen Sinn) ſollte ein Zeichen ſein
für die ſeiner inneren (des status im juriſtiſchen Sinn). Ich
will übrigens nicht verkennen, daß ſich die Gränzen zwiſchen
den ſymboliſchen und repräſentativen Handlungen im einzelnen
Fall ſehr verwiſchen können, allein es kömmt auch weniger auf
die Durchführung, als die Aufſtellung des Unterſchie-
des an; welches Intereſſe ſich daran knüpft, wird aus dem Fol-
genden klar werden.
Symbole und ſymboliſche Handlungen ſind nun, wie oben
bemerkt, recht eigentlich die Sprache des naiven Geiſtes — eine
Hieroglyphenſchrift, deren er ſich bedient, weil er die Buch-
ſtabenſchrift der abſtracten Darſtellung noch nicht erfunden,
und darum fällt die Blüthezeit derſelben in die naive Periode.
Allein es iſt doch nicht die Noth allein, die ihn zu dieſer
Zeichenſprache ſeine Zuflucht nehmen läßt, nicht das bloße Un-
vermögen oder die Unbeholfenheit des abſtracten Ausdrucks,
ſondern es iſt zugleich das ſinnige Behagen, das poetiſche
Wohlgefallen an der ſinnlichen Geſtaltung des Geiſtigen, es iſt
der Reiz der Plaſtik des Gedankens. Dies ergibt ſich
aus Folgendem. Zuerſt daraus, daß wir jene Darſtellungsweiſe
keineswegs bloß bei ſolchen Gedanken antreffen, die durch ihre
Tiefe zum Gebrauch derſelben nöthigten. Der geiſtige Kern iſt
nicht ſelten ein ſo platter und dürftiger, daß auch die Mittel
einer noch ſo wenig entwickelten Sprache zur Formulirung deſ-
ſelben vollkommen ausgereicht haben würden. Ja manche For-
men — ich erinnere z. B. an die repräſentativen — ſchließen
überhaupt gar keinen Gedanken in ſich. Und ſodann: wäre es
bloß jener Grund allein geweſen, ſo müßte der Fortſchritt der
geiſtigen Entwicklung oder, was daſſelbe, die Ausbildung der
Sprache — denn was der Geiſt erwirbt, bucht die letztere —
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