Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Im ältern Proceß ward die Form gesprochen, im neuerngeschrieben -- man verspricht sich aber leichter, als man sich verschreibt; sodann geschah jenes von der Parthei, dieses vom Prätor -- eine Verschiedenheit, deren Bedeutsamkeit für un- sern Gesichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinste hinein unab- änderlich fixirt -- auch das Auslassen oder Vertauschen eines völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler -- hier hingegen waren sie elastisch, und nur die wirklich entscheidenden Worte gaben den Ausschlag. Zur Einsicht in das Wesen und die Bedeutung des dritten 657) Die Belege zu dem folgenden s. bei Bornemann Erörterungen im Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl. 658) S. folgende Beispiele bei Bornemann S. 168: "Die Real-
verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner schriftlichen Form, wenn nur das Rechtsverhältniß, welches nach den Gesetzen durch das Hingeben der Sache begründet wird, eintreten soll; Verabredungen über Nebenverpflichtun- gen müssen dagegen schriftlich festgestellt werden." S. 151: "Verträge, wo- durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbestimmte Zeit versprochenen wie- derkehrenden persönlichen Leistungen verpflichtet wird, bedürfen schlechthin der Form, jedoch sind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Gesinde, bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des schrift- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Im ältern Proceß ward die Form geſprochen, im neuerngeſchrieben — man verſpricht ſich aber leichter, als man ſich verſchreibt; ſodann geſchah jenes von der Parthei, dieſes vom Prätor — eine Verſchiedenheit, deren Bedeutſamkeit für un- ſern Geſichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinſte hinein unab- änderlich fixirt — auch das Auslaſſen oder Vertauſchen eines völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler — hier hingegen waren ſie elaſtiſch, und nur die wirklich entſcheidenden Worte gaben den Ausſchlag. Zur Einſicht in das Weſen und die Bedeutung des dritten 657) Die Belege zu dem folgenden ſ. bei Bornemann Erörterungen im Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl. 658) S. folgende Beiſpiele bei Bornemann S. 168: „Die Real-
verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner ſchriftlichen Form, wenn nur das Rechtsverhältniß, welches nach den Geſetzen durch das Hingeben der Sache begründet wird, eintreten ſoll; Verabredungen über Nebenverpflichtun- gen müſſen dagegen ſchriftlich feſtgeſtellt werden.“ S. 151: „Verträge, wo- durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbeſtimmte Zeit verſprochenen wie- derkehrenden perſönlichen Leiſtungen verpflichtet wird, bedürfen ſchlechthin der Form, jedoch ſind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Geſinde, bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des ſchrift- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0215" n="509"/><fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Formalismus. §. 45.</fw><lb/> Im ältern Proceß ward die Form <hi rendition="#g">geſprochen</hi>, im neuern<lb/><hi rendition="#g">geſchrieben</hi> — man verſpricht ſich aber leichter, als man ſich<lb/> verſchreibt; ſodann geſchah jenes von der <hi rendition="#g">Parthei</hi>, dieſes vom<lb/><hi rendition="#g">Prätor</hi> — eine Verſchiedenheit, deren Bedeutſamkeit für un-<lb/> ſern Geſichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann<lb/> endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinſte hinein unab-<lb/> änderlich fixirt — auch das Auslaſſen oder Vertauſchen eines<lb/> völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler — hier<lb/> hingegen waren ſie elaſtiſch, und nur die wirklich entſcheidenden<lb/> Worte gaben den Ausſchlag.</p><lb/> <p>Zur Einſicht in das Weſen und die Bedeutung des dritten<lb/> obigen Moments, des <hi rendition="#g">principiellen</hi>, hoffe ich den Leſer am<lb/> leichteſten zu führen, indem ich ihm ein Beiſpiel aus einem<lb/> neuern Geſetzbuch mittheile. Es ſollen mir dazu die Beſtimmun-<lb/> gen des preußiſchen Landrechts über die ſchriftliche Abfaſſung<lb/> der Verträge<note place="foot" n="657)">Die Belege zu dem folgenden ſ. bei Bornemann Erörterungen im<lb/> Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl.</note> dienen, ſie gewähren ein Muſter dafür, wie<lb/> derartige Beſtimmungen <hi rendition="#g">nicht</hi> ſein ſollen. Das Geſetz erfor-<lb/> dert dieſe Form bei allen Verträgen, deren Gegenſtand über<lb/> 50 Rl. beträgt, durchbricht jedoch die Regel nach zwei Seiten<lb/> hin, denn einmal ſoll es in fünf Fällen der Form ſchlechthin<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi>, andererſeits aber umgekehrt in zwölf Fällen ſelbſt dann<lb/> bedürfen, wenn das Object jene Summe <hi rendition="#g">nicht</hi> erreicht, welche<lb/> Anordnung aber zum Theil wiederum verſchiedenen Modifica-<lb/> tionen und Reſtrictionen unterliegt.<note xml:id="seg2pn_20_1" next="#seg2pn_20_2" place="foot" n="658)">S. folgende Beiſpiele bei Bornemann S. 168: „Die Real-<lb/> verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner ſchriftlichen Form, wenn nur<lb/> das Rechtsverhältniß, welches nach den Geſetzen durch das Hingeben der<lb/> Sache begründet wird, eintreten ſoll; Verabredungen über Nebenverpflichtun-<lb/> gen müſſen dagegen ſchriftlich feſtgeſtellt werden.“ S. 151: „Verträge, wo-<lb/> durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbeſtimmte Zeit verſprochenen wie-<lb/> derkehrenden perſönlichen Leiſtungen verpflichtet wird, bedürfen ſchlechthin der<lb/> Form, jedoch ſind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Geſinde,<lb/> bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des ſchrift-</note> Schon das bloße Be-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [509/0215]
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
Im ältern Proceß ward die Form geſprochen, im neuern
geſchrieben — man verſpricht ſich aber leichter, als man ſich
verſchreibt; ſodann geſchah jenes von der Parthei, dieſes vom
Prätor — eine Verſchiedenheit, deren Bedeutſamkeit für un-
ſern Geſichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann
endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinſte hinein unab-
änderlich fixirt — auch das Auslaſſen oder Vertauſchen eines
völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler — hier
hingegen waren ſie elaſtiſch, und nur die wirklich entſcheidenden
Worte gaben den Ausſchlag.
Zur Einſicht in das Weſen und die Bedeutung des dritten
obigen Moments, des principiellen, hoffe ich den Leſer am
leichteſten zu führen, indem ich ihm ein Beiſpiel aus einem
neuern Geſetzbuch mittheile. Es ſollen mir dazu die Beſtimmun-
gen des preußiſchen Landrechts über die ſchriftliche Abfaſſung
der Verträge 657) dienen, ſie gewähren ein Muſter dafür, wie
derartige Beſtimmungen nicht ſein ſollen. Das Geſetz erfor-
dert dieſe Form bei allen Verträgen, deren Gegenſtand über
50 Rl. beträgt, durchbricht jedoch die Regel nach zwei Seiten
hin, denn einmal ſoll es in fünf Fällen der Form ſchlechthin
nicht, andererſeits aber umgekehrt in zwölf Fällen ſelbſt dann
bedürfen, wenn das Object jene Summe nicht erreicht, welche
Anordnung aber zum Theil wiederum verſchiedenen Modifica-
tionen und Reſtrictionen unterliegt. 658) Schon das bloße Be-
657) Die Belege zu dem folgenden ſ. bei Bornemann Erörterungen im
Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl.
658) S. folgende Beiſpiele bei Bornemann S. 168: „Die Real-
verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner ſchriftlichen Form, wenn nur
das Rechtsverhältniß, welches nach den Geſetzen durch das Hingeben der
Sache begründet wird, eintreten ſoll; Verabredungen über Nebenverpflichtun-
gen müſſen dagegen ſchriftlich feſtgeſtellt werden.“ S. 151: „Verträge, wo-
durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbeſtimmte Zeit verſprochenen wie-
derkehrenden perſönlichen Leiſtungen verpflichtet wird, bedürfen ſchlechthin der
Form, jedoch ſind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Geſinde,
bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des ſchrift-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |