Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. malitiosa juris interpretatio, wie Cicero (de off. I c. 10) 621)sie nennt, war eine unvermeidliche Consequenz der alten inter- pretatio überhaupt, der dolus, die fraus war legalisirt und das "summum jus", die äußerste Strenge in der Handhabung der Worte, schlug daher nach der bekannten römischen Parömie, die Cicero hierbei in Bezug nimmt, nicht selten in eine "summa injuria" um. Das ältere Recht kannte dagegen keine Hülfe, im neuern konnte sich bei den Verträgen des strengen Rechts (bei denen die Gefahr überall nur bestand) der Kläger durch die clausula doli, der Beklagte durch die exceptio doli schützen. Uebrigens betrachte man diese Gefahr nicht mit heutigen 621) Quo in genere, setzt er hinzu, etiam in re publica multa pec-
cantur und fügt als Beispiel die Auslegung eines Waffenstillstands von 30 Tagen hinzu, bei der man den Ausdruck Tag wörtlich genommen und sich die Nacht hindurch nicht an den Waffenstillstand gebunden erachtet hatte. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. malitiosa juris interpretatio, wie Cicero (de off. I c. 10) 621)ſie nennt, war eine unvermeidliche Conſequenz der alten inter- pretatio überhaupt, der dolus, die fraus war legaliſirt und das „summum jus“, die äußerſte Strenge in der Handhabung der Worte, ſchlug daher nach der bekannten römiſchen Parömie, die Cicero hierbei in Bezug nimmt, nicht ſelten in eine „summa injuria“ um. Das ältere Recht kannte dagegen keine Hülfe, im neuern konnte ſich bei den Verträgen des ſtrengen Rechts (bei denen die Gefahr überall nur beſtand) der Kläger durch die clausula doli, der Beklagte durch die exceptio doli ſchützen. Uebrigens betrachte man dieſe Gefahr nicht mit heutigen 621) Quo in genere, ſetzt er hinzu, etiam in re publica multa pec-
cantur und fügt als Beiſpiel die Auslegung eines Waffenſtillſtands von 30 Tagen hinzu, bei der man den Ausdruck Tag wörtlich genommen und ſich die Nacht hindurch nicht an den Waffenſtillſtand gebunden erachtet hatte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0186" n="480"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">malitiosa</hi> juris interpretatio,</hi> wie Cicero <hi rendition="#aq">(de off. I c. 10)</hi> <note place="foot" n="621)"><hi rendition="#aq">Quo in genere,</hi> ſetzt er hinzu, <hi rendition="#aq">etiam in re publica multa pec-<lb/> cantur</hi> und fügt als Beiſpiel die Auslegung eines Waffenſtillſtands von<lb/> 30 Tagen hinzu, bei der man den Ausdruck Tag wörtlich genommen und ſich<lb/> die Nacht hindurch nicht an den Waffenſtillſtand gebunden erachtet hatte.</note><lb/> ſie nennt, war eine unvermeidliche Conſequenz der alten <hi rendition="#aq">inter-<lb/> pretatio</hi> überhaupt, der <hi rendition="#aq">dolus,</hi> die <hi rendition="#aq">fraus</hi> war legaliſirt und das<lb/><hi rendition="#aq">„summum jus“,</hi> die äußerſte Strenge in der Handhabung der<lb/> Worte, ſchlug daher nach der bekannten römiſchen Parömie, die<lb/> Cicero hierbei in Bezug nimmt, nicht ſelten in eine <hi rendition="#aq">„summa<lb/> injuria“</hi> um. Das ältere Recht kannte dagegen keine Hülfe, im<lb/> neuern konnte ſich bei den Verträgen des ſtrengen Rechts (bei<lb/> denen die Gefahr überall nur beſtand) der Kläger durch die<lb/><hi rendition="#aq">clausula doli,</hi> der Beklagte durch die <hi rendition="#aq">exceptio doli</hi> ſchützen.</p><lb/> <p>Uebrigens betrachte man dieſe Gefahr nicht mit heutigen<lb/> Augen. Sie war in der That ungleich geringer, als es den<lb/> Anſchein hat. Wo ein Wort den Ausſchlag gibt, pflegt man,<lb/> durch eignen oder fremden Schaden gewitzigt, die Worte ganz<lb/> anders abzuwägen, als wo eine Ungenauigkeit im Gebrauch<lb/> derſelben keine weitere nachtheiligen Folgen hat. Das natür-<lb/> liche Bedürfniß des Verkehrs führt hier von ſelbſt zu Siche-<lb/> rungsmitteln gegen jene Gefahr, die <hi rendition="#g">uns</hi> in dem Maße wenig-<lb/> ſtens unbekannt ſind. Dahin gehörte in Rom die Benutzung<lb/> der Geſchäftsformulare, von der im folgenden § die Rede ſein<lb/> wird, ſo wie die bereits §. 42 erwähnte Zuziehung eines Ju-<lb/> riſten bei Entwerfung des Vertragsinſtruments (das <hi rendition="#aq">cavere</hi>).<lb/> Andererſeits verdient gegen jenen Nachtheil der Wortinterpre-<lb/> tation auch der in unſerer allgemeinen Betrachtung der Wort-<lb/> interpretation hervorgehobene Vortheil der Sicherheit, den ſie<lb/> dem Verkehr gewährt, in Gegenrechnung gebracht zu werden.<lb/> Wo das Wort und nichts als das Wort gilt, vermag keine Kunſt,<lb/> keine Deutung ein richtig gewähltes Wort zu entkräften, das Re-<lb/> ſultat der Interpretation iſt hier im voraus mit aller Gewißheit zu<lb/> berechnen, während dies bei der logiſchen Interpretation keines-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [480/0186]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
malitiosa juris interpretatio, wie Cicero (de off. I c. 10) 621)
ſie nennt, war eine unvermeidliche Conſequenz der alten inter-
pretatio überhaupt, der dolus, die fraus war legaliſirt und das
„summum jus“, die äußerſte Strenge in der Handhabung der
Worte, ſchlug daher nach der bekannten römiſchen Parömie, die
Cicero hierbei in Bezug nimmt, nicht ſelten in eine „summa
injuria“ um. Das ältere Recht kannte dagegen keine Hülfe, im
neuern konnte ſich bei den Verträgen des ſtrengen Rechts (bei
denen die Gefahr überall nur beſtand) der Kläger durch die
clausula doli, der Beklagte durch die exceptio doli ſchützen.
Uebrigens betrachte man dieſe Gefahr nicht mit heutigen
Augen. Sie war in der That ungleich geringer, als es den
Anſchein hat. Wo ein Wort den Ausſchlag gibt, pflegt man,
durch eignen oder fremden Schaden gewitzigt, die Worte ganz
anders abzuwägen, als wo eine Ungenauigkeit im Gebrauch
derſelben keine weitere nachtheiligen Folgen hat. Das natür-
liche Bedürfniß des Verkehrs führt hier von ſelbſt zu Siche-
rungsmitteln gegen jene Gefahr, die uns in dem Maße wenig-
ſtens unbekannt ſind. Dahin gehörte in Rom die Benutzung
der Geſchäftsformulare, von der im folgenden § die Rede ſein
wird, ſo wie die bereits §. 42 erwähnte Zuziehung eines Ju-
riſten bei Entwerfung des Vertragsinſtruments (das cavere).
Andererſeits verdient gegen jenen Nachtheil der Wortinterpre-
tation auch der in unſerer allgemeinen Betrachtung der Wort-
interpretation hervorgehobene Vortheil der Sicherheit, den ſie
dem Verkehr gewährt, in Gegenrechnung gebracht zu werden.
Wo das Wort und nichts als das Wort gilt, vermag keine Kunſt,
keine Deutung ein richtig gewähltes Wort zu entkräften, das Re-
ſultat der Interpretation iſt hier im voraus mit aller Gewißheit zu
berechnen, während dies bei der logiſchen Interpretation keines-
621) Quo in genere, ſetzt er hinzu, etiam in re publica multa pec-
cantur und fügt als Beiſpiel die Auslegung eines Waffenſtillſtands von
30 Tagen hinzu, bei der man den Ausdruck Tag wörtlich genommen und ſich
die Nacht hindurch nicht an den Waffenſtillſtand gebunden erachtet hatte.
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