Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.3. Die juristische Construction. §. 41. sie aber in Beziehung auf den Inhalt durch den positiven Stoffgebunden ist, verhält sie sich zu ihm in Bezug auf die Form d. h. was die Art der Gestaltung desselben anbetrifft, vollkom- men frei. Das heißt m. a. W. die eignen Constructionen des Gesetzgebers besitzen für sie keine verpflichtende Kraft. Der Ge- setzgeber soll nicht construiren, er greift damit in die Sphäre der Wissenschaft über, entkleidet sich seiner Autorität und Macht als Gesetzgeber und stellt sich mit dem Juristen auf eine Linie. Haben nun zwar aus diesem Grunde die Constructionen des Gesetzgebers keine andere, als eine doctrinäre Bedeutung, lassen sie sich mithin jeder Zeit durch die Jurisprudenz berichtigen und beseitigen, so sind sie nichts desto weniger höchst bedenklich. Denn es ist erklärlich, daß der Widerspruch gegen sie nicht so leicht rege wird und einen ungleich schwereren Stand hat, als gegen- über rein doctrinellen Constructionen. 515) Die Jurisprudenz ist also hinsichtlich der künstlerischen Ge- 515) Ein bekanntes Beispiel einer gesetzlichen Construction aus der frü-
hern Zeit des römischen Rechts liefert die fictio legis Corneliae, aus der spätern Zeit die Bestimmung Zenos über die selbständige Natur des emphy- teuticarischen Contracts. Im allgemeinen aber kann man der römischen Legis- lation bis auf Justinian den Vorwurf eines solchen Uebergreifens in das Gebiet der Wissenschaft nicht machen. Dagegen verfolgte Justinians ganzes Unternehmen bekanntlich den gerade entgegengesetzten Zweck, seine Institutio- nen und Pandekten sind Compendien und Gesetzbücher zugleich, und diese Vermischung der Wissenschaft und der Gesetzgebung hat nicht bloß für die moderne Bearbeitung des römischen Rechts in reichem Maße die im Text an- gedeuteten nachtheiligen Folgen nach sich gezogen, indem die Wissenschaft bei rein wissenschaftlichen Fragen sich durch die Autorität Justinians hat einschüchtern lassen, sondern das Beispiel des Schulmeisters auf dem Thron oder Gesetzgebers auf dem Katheder, das Justinian gegeben, hat auch in neuern Gesetzgebungen nur zu willige Nachfolge gefunden. Die Wissenschaft soll dem Kaiser lassen, was des Kaisers ist, aber letzterer auch der Wissen- schaft, was der Wissenschaft ist. 3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41. ſie aber in Beziehung auf den Inhalt durch den poſitiven Stoffgebunden iſt, verhält ſie ſich zu ihm in Bezug auf die Form d. h. was die Art der Geſtaltung deſſelben anbetrifft, vollkom- men frei. Das heißt m. a. W. die eignen Conſtructionen des Geſetzgebers beſitzen für ſie keine verpflichtende Kraft. Der Ge- ſetzgeber ſoll nicht conſtruiren, er greift damit in die Sphäre der Wiſſenſchaft über, entkleidet ſich ſeiner Autorität und Macht als Geſetzgeber und ſtellt ſich mit dem Juriſten auf eine Linie. Haben nun zwar aus dieſem Grunde die Conſtructionen des Geſetzgebers keine andere, als eine doctrinäre Bedeutung, laſſen ſie ſich mithin jeder Zeit durch die Jurisprudenz berichtigen und beſeitigen, ſo ſind ſie nichts deſto weniger höchſt bedenklich. Denn es iſt erklärlich, daß der Widerſpruch gegen ſie nicht ſo leicht rege wird und einen ungleich ſchwereren Stand hat, als gegen- über rein doctrinellen Conſtructionen. 515) Die Jurisprudenz iſt alſo hinſichtlich der künſtleriſchen Ge- 515) Ein bekanntes Beiſpiel einer geſetzlichen Conſtruction aus der frü-
hern Zeit des römiſchen Rechts liefert die fictio legis Corneliae, aus der ſpätern Zeit die Beſtimmung Zenos über die ſelbſtändige Natur des emphy- teuticariſchen Contracts. Im allgemeinen aber kann man der römiſchen Legis- lation bis auf Juſtinian den Vorwurf eines ſolchen Uebergreifens in das Gebiet der Wiſſenſchaft nicht machen. Dagegen verfolgte Juſtinians ganzes Unternehmen bekanntlich den gerade entgegengeſetzten Zweck, ſeine Inſtitutio- nen und Pandekten ſind Compendien und Geſetzbücher zugleich, und dieſe Vermiſchung der Wiſſenſchaft und der Geſetzgebung hat nicht bloß für die moderne Bearbeitung des römiſchen Rechts in reichem Maße die im Text an- gedeuteten nachtheiligen Folgen nach ſich gezogen, indem die Wiſſenſchaft bei rein wiſſenſchaftlichen Fragen ſich durch die Autorität Juſtinians hat einſchüchtern laſſen, ſondern das Beiſpiel des Schulmeiſters auf dem Thron oder Geſetzgebers auf dem Katheder, das Juſtinian gegeben, hat auch in neuern Geſetzgebungen nur zu willige Nachfolge gefunden. Die Wiſſenſchaft ſoll dem Kaiſer laſſen, was des Kaiſers iſt, aber letzterer auch der Wiſſen- ſchaft, was der Wiſſenſchaft iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0105" n="399"/><fw place="top" type="header">3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41.</fw><lb/> ſie aber in Beziehung auf den <hi rendition="#g">Inhalt</hi> durch den poſitiven Stoff<lb/> gebunden iſt, verhält ſie ſich zu ihm in Bezug auf die <hi rendition="#g">Form</hi><lb/> d. h. was die Art der Geſtaltung deſſelben anbetrifft, vollkom-<lb/> men frei. Das heißt m. a. W. die eignen Conſtructionen des<lb/> Geſetzgebers beſitzen für ſie keine verpflichtende Kraft. Der Ge-<lb/> ſetzgeber ſoll nicht conſtruiren, er greift damit in die Sphäre<lb/> der Wiſſenſchaft über, entkleidet ſich ſeiner Autorität und Macht<lb/> als Geſetzgeber und ſtellt ſich mit dem Juriſten auf eine Linie.<lb/> Haben nun zwar aus dieſem Grunde die Conſtructionen des<lb/> Geſetzgebers keine andere, als eine doctrinäre Bedeutung, laſſen<lb/> ſie ſich mithin jeder Zeit durch die Jurisprudenz berichtigen und<lb/> beſeitigen, ſo ſind ſie nichts deſto weniger höchſt bedenklich. Denn<lb/> es iſt erklärlich, daß der Widerſpruch gegen ſie nicht ſo leicht<lb/> rege wird und einen ungleich ſchwereren Stand hat, als gegen-<lb/> über rein doctrinellen Conſtructionen. <note place="foot" n="515)">Ein bekanntes Beiſpiel einer geſetzlichen Conſtruction aus der frü-<lb/> hern Zeit des römiſchen Rechts liefert die <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">fictio</hi> legis Corneliae,</hi> aus der<lb/> ſpätern Zeit die Beſtimmung Zenos über die ſelbſtändige Natur des emphy-<lb/> teuticariſchen Contracts. Im allgemeinen aber kann man der römiſchen Legis-<lb/> lation bis auf Juſtinian den Vorwurf eines ſolchen Uebergreifens in das<lb/> Gebiet der Wiſſenſchaft nicht machen. Dagegen verfolgte Juſtinians ganzes<lb/> Unternehmen bekanntlich den gerade entgegengeſetzten Zweck, ſeine Inſtitutio-<lb/> nen und Pandekten ſind Compendien und Geſetzbücher zugleich, und dieſe<lb/> Vermiſchung der Wiſſenſchaft und der Geſetzgebung hat nicht bloß für die<lb/> moderne Bearbeitung des römiſchen Rechts in reichem Maße die im Text an-<lb/> gedeuteten nachtheiligen Folgen nach ſich gezogen, indem die Wiſſenſchaft bei<lb/> rein <hi rendition="#g">wiſſenſchaftlichen</hi> Fragen ſich durch die Autorität Juſtinians hat<lb/> einſchüchtern laſſen, ſondern das Beiſpiel des Schulmeiſters auf dem Thron<lb/> oder Geſetzgebers auf dem Katheder, das Juſtinian gegeben, hat auch in<lb/> neuern Geſetzgebungen nur zu willige Nachfolge gefunden. Die Wiſſenſchaft<lb/> ſoll dem Kaiſer laſſen, was des Kaiſers iſt, aber letzterer auch der Wiſſen-<lb/> ſchaft, was der Wiſſenſchaft iſt.</note></p><lb/> <p>Die Jurisprudenz iſt alſo hinſichtlich der künſtleriſchen Ge-<lb/> ſtaltung des Stoffs vollkommen frei, inſofern ihm nur in der<lb/> Form, die ſie ihm verleiht, dieſelbe praktiſche Kraft verbleibt,<lb/> wie in ſeiner bisherigen. Ich wähle folgendes Beiſpiel. Aus<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [399/0105]
3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41.
ſie aber in Beziehung auf den Inhalt durch den poſitiven Stoff
gebunden iſt, verhält ſie ſich zu ihm in Bezug auf die Form
d. h. was die Art der Geſtaltung deſſelben anbetrifft, vollkom-
men frei. Das heißt m. a. W. die eignen Conſtructionen des
Geſetzgebers beſitzen für ſie keine verpflichtende Kraft. Der Ge-
ſetzgeber ſoll nicht conſtruiren, er greift damit in die Sphäre
der Wiſſenſchaft über, entkleidet ſich ſeiner Autorität und Macht
als Geſetzgeber und ſtellt ſich mit dem Juriſten auf eine Linie.
Haben nun zwar aus dieſem Grunde die Conſtructionen des
Geſetzgebers keine andere, als eine doctrinäre Bedeutung, laſſen
ſie ſich mithin jeder Zeit durch die Jurisprudenz berichtigen und
beſeitigen, ſo ſind ſie nichts deſto weniger höchſt bedenklich. Denn
es iſt erklärlich, daß der Widerſpruch gegen ſie nicht ſo leicht
rege wird und einen ungleich ſchwereren Stand hat, als gegen-
über rein doctrinellen Conſtructionen. 515)
Die Jurisprudenz iſt alſo hinſichtlich der künſtleriſchen Ge-
ſtaltung des Stoffs vollkommen frei, inſofern ihm nur in der
Form, die ſie ihm verleiht, dieſelbe praktiſche Kraft verbleibt,
wie in ſeiner bisherigen. Ich wähle folgendes Beiſpiel. Aus
515) Ein bekanntes Beiſpiel einer geſetzlichen Conſtruction aus der frü-
hern Zeit des römiſchen Rechts liefert die fictio legis Corneliae, aus der
ſpätern Zeit die Beſtimmung Zenos über die ſelbſtändige Natur des emphy-
teuticariſchen Contracts. Im allgemeinen aber kann man der römiſchen Legis-
lation bis auf Juſtinian den Vorwurf eines ſolchen Uebergreifens in das
Gebiet der Wiſſenſchaft nicht machen. Dagegen verfolgte Juſtinians ganzes
Unternehmen bekanntlich den gerade entgegengeſetzten Zweck, ſeine Inſtitutio-
nen und Pandekten ſind Compendien und Geſetzbücher zugleich, und dieſe
Vermiſchung der Wiſſenſchaft und der Geſetzgebung hat nicht bloß für die
moderne Bearbeitung des römiſchen Rechts in reichem Maße die im Text an-
gedeuteten nachtheiligen Folgen nach ſich gezogen, indem die Wiſſenſchaft bei
rein wiſſenſchaftlichen Fragen ſich durch die Autorität Juſtinians hat
einſchüchtern laſſen, ſondern das Beiſpiel des Schulmeiſters auf dem Thron
oder Geſetzgebers auf dem Katheder, das Juſtinian gegeben, hat auch in
neuern Geſetzgebungen nur zu willige Nachfolge gefunden. Die Wiſſenſchaft
ſoll dem Kaiſer laſſen, was des Kaiſers iſt, aber letzterer auch der Wiſſen-
ſchaft, was der Wiſſenſchaft iſt.
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