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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
als dessen Vertreter der Kläger gedacht wurde,82) ordnete sich
also ganz der Justiz unter, kämpfte gegen den Beklagten mit
völlig gleichen Waffen.

Dasselbe galt für einen der wichtigsten Zweige der Ver-
waltung, das Steuerwesen. Abgesehen nämlich von der Erhe-
bung des Tributums nach dem Census hatte der römische Staat
bekanntlich das System der Verpachtung der öffentlichen Ein-
künfte, der Steuern, Zehnten, Zölle u. s. w., was für den hier
in Rede stehenden Gesichtspunkt die wichtige Folge hatte, daß
an die Stelle des Staats oder seiner Beamten die Steuer-
pächter (publicani) als Steuererheber traten. Bei Streitigkeiten
zwischen letzteren und den Steuerpflichtigen standen also nicht
Staat und Privatperson, sondern zwei Privatpersonen sich ge-
genüber, die ihren Streit ganz im Wege des gewöhnlichen
Civilprozesses zu erledigen hatten. Ein Eingreifen der Verwal-
tungsbehörde fand hier mithin nicht Statt, und am Ausgang
des Prozesses hatte der Staat gar kein Interesse. Die einzige
Vergünstigung, die den Publikanen ertheilt war, bestand in
einer besonders privilegirten Klage (der legis actio per pigno-
ris capionem
), eine Vergünstigung, die für das Verhältniß
unentbehrlich und auch andern Forderungen beigelegt war, und
die andererseits durch die Strafklage, die der Gegenparthei
für den Fall einer unrechtmäßigen Erpressung von Seiten der
Publikanen gegen sie gegeben war, reichlich aufgewogen wurde.83)
An Einfluß und Macht war freilich der eine Theil dem andern
unendlich überlegen, und es ist bekannt, daß dies faktische Ueber-
gewicht der Publikanen zur Zeit des Verfalls die rechtliche
Gleichheit wenigstens in den Provinzen oft illusorisch machte.84)

82) In manchen Gesetzen, die eine solche actio popularis einführten,
hieß es geradezu: populo dare damnas esto und sodann ejus pecuniae
petitio ei sit, qui volet.
83) Ueber diese Klagen s. Cicero in Verrem III. 11, Gaj. IV. §. 28.
32. Tit. Pand. de publ. (39. 4).
84) Quantae audaciae, ruft Ulpian für seine Zeit aus (L. 12 pr. de

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
als deſſen Vertreter der Kläger gedacht wurde,82) ordnete ſich
alſo ganz der Juſtiz unter, kämpfte gegen den Beklagten mit
völlig gleichen Waffen.

Daſſelbe galt für einen der wichtigſten Zweige der Ver-
waltung, das Steuerweſen. Abgeſehen nämlich von der Erhe-
bung des Tributums nach dem Cenſus hatte der römiſche Staat
bekanntlich das Syſtem der Verpachtung der öffentlichen Ein-
künfte, der Steuern, Zehnten, Zölle u. ſ. w., was für den hier
in Rede ſtehenden Geſichtspunkt die wichtige Folge hatte, daß
an die Stelle des Staats oder ſeiner Beamten die Steuer-
pächter (publicani) als Steuererheber traten. Bei Streitigkeiten
zwiſchen letzteren und den Steuerpflichtigen ſtanden alſo nicht
Staat und Privatperſon, ſondern zwei Privatperſonen ſich ge-
genüber, die ihren Streit ganz im Wege des gewöhnlichen
Civilprozeſſes zu erledigen hatten. Ein Eingreifen der Verwal-
tungsbehörde fand hier mithin nicht Statt, und am Ausgang
des Prozeſſes hatte der Staat gar kein Intereſſe. Die einzige
Vergünſtigung, die den Publikanen ertheilt war, beſtand in
einer beſonders privilegirten Klage (der legis actio per pigno-
ris capionem
), eine Vergünſtigung, die für das Verhältniß
unentbehrlich und auch andern Forderungen beigelegt war, und
die andererſeits durch die Strafklage, die der Gegenparthei
für den Fall einer unrechtmäßigen Erpreſſung von Seiten der
Publikanen gegen ſie gegeben war, reichlich aufgewogen wurde.83)
An Einfluß und Macht war freilich der eine Theil dem andern
unendlich überlegen, und es iſt bekannt, daß dies faktiſche Ueber-
gewicht der Publikanen zur Zeit des Verfalls die rechtliche
Gleichheit wenigſtens in den Provinzen oft illuſoriſch machte.84)

82) In manchen Geſetzen, die eine ſolche actio popularis einführten,
hieß es geradezu: populo dare damnas esto und ſodann ejus pecuniae
petitio ei sit, qui volet.
83) Ueber dieſe Klagen ſ. Cicero in Verrem III. 11, Gaj. IV. §. 28.
32. Tit. Pand. de publ. (39. 4).
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[84/0098] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. als deſſen Vertreter der Kläger gedacht wurde, 82) ordnete ſich alſo ganz der Juſtiz unter, kämpfte gegen den Beklagten mit völlig gleichen Waffen. Daſſelbe galt für einen der wichtigſten Zweige der Ver- waltung, das Steuerweſen. Abgeſehen nämlich von der Erhe- bung des Tributums nach dem Cenſus hatte der römiſche Staat bekanntlich das Syſtem der Verpachtung der öffentlichen Ein- künfte, der Steuern, Zehnten, Zölle u. ſ. w., was für den hier in Rede ſtehenden Geſichtspunkt die wichtige Folge hatte, daß an die Stelle des Staats oder ſeiner Beamten die Steuer- pächter (publicani) als Steuererheber traten. Bei Streitigkeiten zwiſchen letzteren und den Steuerpflichtigen ſtanden alſo nicht Staat und Privatperſon, ſondern zwei Privatperſonen ſich ge- genüber, die ihren Streit ganz im Wege des gewöhnlichen Civilprozeſſes zu erledigen hatten. Ein Eingreifen der Verwal- tungsbehörde fand hier mithin nicht Statt, und am Ausgang des Prozeſſes hatte der Staat gar kein Intereſſe. Die einzige Vergünſtigung, die den Publikanen ertheilt war, beſtand in einer beſonders privilegirten Klage (der legis actio per pigno- ris capionem), eine Vergünſtigung, die für das Verhältniß unentbehrlich und auch andern Forderungen beigelegt war, und die andererſeits durch die Strafklage, die der Gegenparthei für den Fall einer unrechtmäßigen Erpreſſung von Seiten der Publikanen gegen ſie gegeben war, reichlich aufgewogen wurde. 83) An Einfluß und Macht war freilich der eine Theil dem andern unendlich überlegen, und es iſt bekannt, daß dies faktiſche Ueber- gewicht der Publikanen zur Zeit des Verfalls die rechtliche Gleichheit wenigſtens in den Provinzen oft illuſoriſch machte. 84) 82) In manchen Geſetzen, die eine ſolche actio popularis einführten, hieß es geradezu: populo dare damnas esto und ſodann ejus pecuniae petitio ei sit, qui volet. 83) Ueber dieſe Klagen ſ. Cicero in Verrem III. 11, Gaj. IV. §. 28. 32. Tit. Pand. de publ. (39. 4). 84) Quantae audaciae, ruft Ulpian für ſeine Zeit aus (L. 12 pr. de

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/98>, abgerufen am 24.11.2024.