Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.C. Histor. Bedeutung d. Systems. -- Produktivität der Autonomie. §. 36. Bestimmungen desselben eine Lücke, die die Autonomie gelassenhat, ergänzen sollen. Nur in Einem Punkt mag die Thätigkeit der Autonomie bereits in der gegenwärtigen Periode Nieder- schläge objektiv-rechtlicher Art geliefert haben. Die Wahl der Ausdrücke, in denen man die wesentlichen Bestimmungen eines Rechtsgeschäfts treffen wollte, war ursprünglich gewiß völlig frei, es begreift sich aber, daß der Verkehr die treffendsten und unzweideutigsten heraussuchte und daß für manche Geschäfte gewisse Schlagwörter in Gebrauch kamen so z. B. bei der Er- theilung der tutoris auctoritas, der Antretung der Erbschaft, der sponsio, vor allem aber bei Anordnung letztwilliger Verfügun- gen. Wir wissen nun aus Mittheilungen späterer Juristen, daß der Gebrauch dieser Schlagwörter zu ihrer Zeit obligatorischer Art war, so daß also die unterlassene Benutzung derselben Nich- tigkeit des Geschäfts begründete. An eine Aufstellung dieses Re- quisits durch Gesetz wird Niemand denken; es war also ein Werk des Verkehrs, und wir dürfen diesen Vorgang unbedenk- lich in die ältere Zeit verlegen und ihn uns in folgender Weise erklären. Eine an den Worten klebende, ängstliche Interpreta- tion mochte die auf Abschließung eines bestimmten Geschäfts gerichtete Absicht in Zweifel ziehen, wenn sie die Ausdrücke ver- mißte, deren man sich regelmäßig bei diesem Geschäft bediente; das bestimmte Wort galt ihr als Merkmal des bestimmten Willens. Hieraus ergab sich denn für den Verkehr die praktische Nothwendigkeit einer Benutzung des Worts; dem Erfolg nach hatte also die Interpretation damit eine wirkliche Rechts- norm durchgesetzt. Der Gesichtspunkt, von dem aus wir im bisherigen die C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. — Produktivität der Autonomie. §. 36. Beſtimmungen deſſelben eine Lücke, die die Autonomie gelaſſenhat, ergänzen ſollen. Nur in Einem Punkt mag die Thätigkeit der Autonomie bereits in der gegenwärtigen Periode Nieder- ſchläge objektiv-rechtlicher Art geliefert haben. Die Wahl der Ausdrücke, in denen man die weſentlichen Beſtimmungen eines Rechtsgeſchäfts treffen wollte, war urſprünglich gewiß völlig frei, es begreift ſich aber, daß der Verkehr die treffendſten und unzweideutigſten herausſuchte und daß für manche Geſchäfte gewiſſe Schlagwörter in Gebrauch kamen ſo z. B. bei der Er- theilung der tutoris auctoritas, der Antretung der Erbſchaft, der sponsio, vor allem aber bei Anordnung letztwilliger Verfügun- gen. Wir wiſſen nun aus Mittheilungen ſpäterer Juriſten, daß der Gebrauch dieſer Schlagwörter zu ihrer Zeit obligatoriſcher Art war, ſo daß alſo die unterlaſſene Benutzung derſelben Nich- tigkeit des Geſchäfts begründete. An eine Aufſtellung dieſes Re- quiſits durch Geſetz wird Niemand denken; es war alſo ein Werk des Verkehrs, und wir dürfen dieſen Vorgang unbedenk- lich in die ältere Zeit verlegen und ihn uns in folgender Weiſe erklären. Eine an den Worten klebende, ängſtliche Interpreta- tion mochte die auf Abſchließung eines beſtimmten Geſchäfts gerichtete Abſicht in Zweifel ziehen, wenn ſie die Ausdrücke ver- mißte, deren man ſich regelmäßig bei dieſem Geſchäft bediente; das beſtimmte Wort galt ihr als Merkmal des beſtimmten Willens. Hieraus ergab ſich denn für den Verkehr die praktiſche Nothwendigkeit einer Benutzung des Worts; dem Erfolg nach hatte alſo die Interpretation damit eine wirkliche Rechts- norm durchgeſetzt. Der Geſichtspunkt, von dem aus wir im bisherigen die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0329" n="315"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">C.</hi> Hiſtor. Bedeutung d. 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C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. — Produktivität der Autonomie. §. 36.
Beſtimmungen deſſelben eine Lücke, die die Autonomie gelaſſen
hat, ergänzen ſollen. Nur in Einem Punkt mag die Thätigkeit
der Autonomie bereits in der gegenwärtigen Periode Nieder-
ſchläge objektiv-rechtlicher Art geliefert haben. Die Wahl der
Ausdrücke, in denen man die weſentlichen Beſtimmungen eines
Rechtsgeſchäfts treffen wollte, war urſprünglich gewiß völlig
frei, es begreift ſich aber, daß der Verkehr die treffendſten und
unzweideutigſten herausſuchte und daß für manche Geſchäfte
gewiſſe Schlagwörter in Gebrauch kamen ſo z. B. bei der Er-
theilung der tutoris auctoritas, der Antretung der Erbſchaft, der
sponsio, vor allem aber bei Anordnung letztwilliger Verfügun-
gen. Wir wiſſen nun aus Mittheilungen ſpäterer Juriſten, daß
der Gebrauch dieſer Schlagwörter zu ihrer Zeit obligatoriſcher
Art war, ſo daß alſo die unterlaſſene Benutzung derſelben Nich-
tigkeit des Geſchäfts begründete. An eine Aufſtellung dieſes Re-
quiſits durch Geſetz wird Niemand denken; es war alſo ein
Werk des Verkehrs, und wir dürfen dieſen Vorgang unbedenk-
lich in die ältere Zeit verlegen und ihn uns in folgender Weiſe
erklären. Eine an den Worten klebende, ängſtliche Interpreta-
tion mochte die auf Abſchließung eines beſtimmten Geſchäfts
gerichtete Abſicht in Zweifel ziehen, wenn ſie die Ausdrücke ver-
mißte, deren man ſich regelmäßig bei dieſem Geſchäft bediente;
das beſtimmte Wort galt ihr als Merkmal des beſtimmten
Willens. Hieraus ergab ſich denn für den Verkehr die praktiſche
Nothwendigkeit einer Benutzung des Worts; dem Erfolg
nach hatte alſo die Interpretation damit eine wirkliche Rechts-
norm durchgeſetzt.
Der Geſichtspunkt, von dem aus wir im bisherigen die
Bedeutung unſeres Syſtems zu beſtimmen verſucht haben, war
der abſtract-juriſtiſche, und nach dieſer Seite hin haben wir un-
ſerem Syſtem eine unvergängliche und univerſalhiſtoriſche Be-
deutung vindiciren müſſen. Es bleibt uns jetzt noch übrig, daſ-
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