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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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B. Stellung der Magistratur. -- Garantien. §. 35.
Einhalt thun können, zum besten Beweise also, daß ein anderes
Moment den Ausschlag gab. Ich brauche dasselbe kaum zu
nennen. Es war mit Einem Wort bezeichnet der Geist der
alten Zeit. Wenn ein schlechter Geist sie beseelt, sind alle
rechtlichen Formen lahm und unwirksam, und wenn die Par-
theilichkeit und Bestechlichkeit zu Gericht sitzt, werden die
strengsten Gesetze über Verantwortlichkeit der Willkühr nicht
steuern. Darum möge man auch für die alte Zeit immerhin
die Garantien, die die Verfassung hier gewährte, namhaft
machen -- aber nur als einzelne äußere Mittel, die erst in
Verbindung mit dem Geist, der die alte Zeit erfüllte, ihren
Zweck erreichen konnten.

Diese Garantien lagen einmal in der den Beamten nach
Niederlegung seines Amts treffenden Verantwortlichkeit und so-
dann in der Intercession der Tribunen und höheren Magistrate.
Jene Verantwortlichkeit beschränkte sich, wie kaum bemerkt zu
werden braucht, nicht auf die Verletzung der Verfassung und
Uebertretung von Gesetzen, sondern erstreckte sich auch auf Hand-
lungen wie Unterlassungen, die dem Interesse des Staats wi-
derstrebten, mochten sie äußerlich auch noch so legal sein. Ich
habe diese nothwendige Consequenz des Responsabilitätssystems
oben bereits berührt, und ein näheres Eingehen auf das Histo-
rische ist bei diesem Punkte um so weniger erforderlich, als das
Wesentliche allgemein bekannt und gerade ihm neuerdings eine
ausgezeichnete Bearbeitung zu Theil geworden ist.422) Ebenso
wenig werde ich mich bei der Intercession aufzuhalten haben.
Sie gehört bekanntlich zu den merkwürdigsten Eigenthümlich-
keiten der römischen Verfassung. Dem rein Negativen, der hem-
menden Kraft ist mittelst ihrer ein Einfluß zugestanden worden,
wie nirgends anders, und es läßt sich erwarten, daß dies Mit-
tel in der Regel seinen Zweck, das entschieden Schlechte zu ver-

422) E. Laboulaye. Essai sur les lois criminelles des Romains con-
cernant la responsabilite des magistrats. Paris 1845.

B. Stellung der Magiſtratur. — Garantien. §. 35.
Einhalt thun können, zum beſten Beweiſe alſo, daß ein anderes
Moment den Ausſchlag gab. Ich brauche daſſelbe kaum zu
nennen. Es war mit Einem Wort bezeichnet der Geiſt der
alten Zeit. Wenn ein ſchlechter Geiſt ſie beſeelt, ſind alle
rechtlichen Formen lahm und unwirkſam, und wenn die Par-
theilichkeit und Beſtechlichkeit zu Gericht ſitzt, werden die
ſtrengſten Geſetze über Verantwortlichkeit der Willkühr nicht
ſteuern. Darum möge man auch für die alte Zeit immerhin
die Garantien, die die Verfaſſung hier gewährte, namhaft
machen — aber nur als einzelne äußere Mittel, die erſt in
Verbindung mit dem Geiſt, der die alte Zeit erfüllte, ihren
Zweck erreichen konnten.

Dieſe Garantien lagen einmal in der den Beamten nach
Niederlegung ſeines Amts treffenden Verantwortlichkeit und ſo-
dann in der Interceſſion der Tribunen und höheren Magiſtrate.
Jene Verantwortlichkeit beſchränkte ſich, wie kaum bemerkt zu
werden braucht, nicht auf die Verletzung der Verfaſſung und
Uebertretung von Geſetzen, ſondern erſtreckte ſich auch auf Hand-
lungen wie Unterlaſſungen, die dem Intereſſe des Staats wi-
derſtrebten, mochten ſie äußerlich auch noch ſo legal ſein. Ich
habe dieſe nothwendige Conſequenz des Reſponſabilitätsſyſtems
oben bereits berührt, und ein näheres Eingehen auf das Hiſto-
riſche iſt bei dieſem Punkte um ſo weniger erforderlich, als das
Weſentliche allgemein bekannt und gerade ihm neuerdings eine
ausgezeichnete Bearbeitung zu Theil geworden iſt.422) Ebenſo
wenig werde ich mich bei der Interceſſion aufzuhalten haben.
Sie gehört bekanntlich zu den merkwürdigſten Eigenthümlich-
keiten der römiſchen Verfaſſung. Dem rein Negativen, der hem-
menden Kraft iſt mittelſt ihrer ein Einfluß zugeſtanden worden,
wie nirgends anders, und es läßt ſich erwarten, daß dies Mit-
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cernant la responsabilité des magistrats. Paris 1845.
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[279/0293] B. Stellung der Magiſtratur. — Garantien. §. 35. Einhalt thun können, zum beſten Beweiſe alſo, daß ein anderes Moment den Ausſchlag gab. Ich brauche daſſelbe kaum zu nennen. Es war mit Einem Wort bezeichnet der Geiſt der alten Zeit. Wenn ein ſchlechter Geiſt ſie beſeelt, ſind alle rechtlichen Formen lahm und unwirkſam, und wenn die Par- theilichkeit und Beſtechlichkeit zu Gericht ſitzt, werden die ſtrengſten Geſetze über Verantwortlichkeit der Willkühr nicht ſteuern. Darum möge man auch für die alte Zeit immerhin die Garantien, die die Verfaſſung hier gewährte, namhaft machen — aber nur als einzelne äußere Mittel, die erſt in Verbindung mit dem Geiſt, der die alte Zeit erfüllte, ihren Zweck erreichen konnten. Dieſe Garantien lagen einmal in der den Beamten nach Niederlegung ſeines Amts treffenden Verantwortlichkeit und ſo- dann in der Interceſſion der Tribunen und höheren Magiſtrate. Jene Verantwortlichkeit beſchränkte ſich, wie kaum bemerkt zu werden braucht, nicht auf die Verletzung der Verfaſſung und Uebertretung von Geſetzen, ſondern erſtreckte ſich auch auf Hand- lungen wie Unterlaſſungen, die dem Intereſſe des Staats wi- derſtrebten, mochten ſie äußerlich auch noch ſo legal ſein. Ich habe dieſe nothwendige Conſequenz des Reſponſabilitätsſyſtems oben bereits berührt, und ein näheres Eingehen auf das Hiſto- riſche iſt bei dieſem Punkte um ſo weniger erforderlich, als das Weſentliche allgemein bekannt und gerade ihm neuerdings eine ausgezeichnete Bearbeitung zu Theil geworden iſt. 422) Ebenſo wenig werde ich mich bei der Interceſſion aufzuhalten haben. Sie gehört bekanntlich zu den merkwürdigſten Eigenthümlich- keiten der römiſchen Verfaſſung. Dem rein Negativen, der hem- menden Kraft iſt mittelſt ihrer ein Einfluß zugeſtanden worden, wie nirgends anders, und es läßt ſich erwarten, daß dies Mit- tel in der Regel ſeinen Zweck, das entſchieden Schlechte zu ver- 422) E. Laboulaye. Essai sur les lois criminelles des Romains con- cernant la responsabilité des magistrats. Paris 1845.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/293>, abgerufen am 17.05.2024.