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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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B. Stellung der Magistratur. -- Machtfülle. §. 35.
ziehung Züge und Aeußerungen berichtet,414) die eine fast ab-
solutistische Gesinnung athmen.

Was die einzelnen Magistraturen anbetrifft, so nimmt hin-
sichtlich der Fülle der Machtbefugniß die Diktatur bekanntlich
die erste Stelle ein. Sie läßt sich als eine vorübergehende An-
leihe der Republik bei dem absoluten Königthum bezeichnen und
enthält das Zugeständniß, daß die republikanische Verfassung
zwar für gewöhnliche Zustände durchführbar, für ungewöhnliche
Verhältnisse aber die Concentrirung der gesammten Staatsge-
walt in die Hand eines einzigen absoluten Herrschers nöthig
sei -- die Anerkennung der relativen Berechtigung des Absolu-
tismus selbst innerhalb eines Freistaats. Die Macht der Con-
suln war beschränkter, namentlich durch das Recht der Provo-
kation an die Volksversammlung; aber welche Befugnisse schloß
doch auch sie in sich! Nicht bloß daß es de jure vom Consul
abhing, ob und wie oft er Volks- und Senatsversammlun-
gen415) berufen wollte -- wider seinen Willen waren beide
nicht möglich -- welche Gegenstände zur Verhandlung kommen
sollten, ob er, wenn die Stimmung ihm nicht günstig erschien,
die Versammlung wieder entlassen wollte; sondern er war recht-
lich sogar befugt, die unter seiner Leitung für das nächste Jahr
getroffenen Wahlen des Volkes umzustoßen, indem er sich wei-
gerte, die Namen der Gewählten zu proklamiren.416) Als ein
höchst merkwürdiges Recht verdient namentlich auch die freie

414) Val. Max. III. 7, 3: Tacete quaeso, Quirites, plus enim ego,
quam vos, quid reipublicae expediat, intelligo. Ibid. VI. 2, 3. VI. 4, 1,
2. Auct. de vir. illustr. 58. §. 8.
415) Hinsichtlich der Sitzungen des Senats bestand eine Pflicht der
Sitte (s. unten).
416) Liv. VIII, 15. XXIV, 7--9. Val. Max. III, 8. 3. Vell. Paterc.
II, 92. juravit, etiamsi factus esset consul suffragiis populi, tamen
se eum non renuntiaturum.
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B. Stellung der Magiſtratur. — Machtfülle. §. 35.
ziehung Züge und Aeußerungen berichtet,414) die eine faſt ab-
ſolutiſtiſche Geſinnung athmen.

Was die einzelnen Magiſtraturen anbetrifft, ſo nimmt hin-
ſichtlich der Fülle der Machtbefugniß die Diktatur bekanntlich
die erſte Stelle ein. Sie läßt ſich als eine vorübergehende An-
leihe der Republik bei dem abſoluten Königthum bezeichnen und
enthält das Zugeſtändniß, daß die republikaniſche Verfaſſung
zwar für gewöhnliche Zuſtände durchführbar, für ungewöhnliche
Verhältniſſe aber die Concentrirung der geſammten Staatsge-
walt in die Hand eines einzigen abſoluten Herrſchers nöthig
ſei — die Anerkennung der relativen Berechtigung des Abſolu-
tismus ſelbſt innerhalb eines Freiſtaats. Die Macht der Con-
ſuln war beſchränkter, namentlich durch das Recht der Provo-
kation an die Volksverſammlung; aber welche Befugniſſe ſchloß
doch auch ſie in ſich! Nicht bloß daß es de jure vom Conſul
abhing, ob und wie oft er Volks- und Senatsverſammlun-
gen415) berufen wollte — wider ſeinen Willen waren beide
nicht möglich — welche Gegenſtände zur Verhandlung kommen
ſollten, ob er, wenn die Stimmung ihm nicht günſtig erſchien,
die Verſammlung wieder entlaſſen wollte; ſondern er war recht-
lich ſogar befugt, die unter ſeiner Leitung für das nächſte Jahr
getroffenen Wahlen des Volkes umzuſtoßen, indem er ſich wei-
gerte, die Namen der Gewählten zu proklamiren.416) Als ein
höchſt merkwürdiges Recht verdient namentlich auch die freie

414) Val. Max. III. 7, 3: Tacete quaeso, Quirites, plus enim ego,
quam vos, quid reipublicae expediat, intelligo. Ibid. VI. 2, 3. VI. 4, 1,
2. Auct. de vir. illustr. 58. §. 8.
415) Hinſichtlich der Sitzungen des Senats beſtand eine Pflicht der
Sitte (ſ. unten).
416) Liv. VIII, 15. XXIV, 7—9. Val. Max. III, 8. 3. Vell. Paterc.
II, 92. juravit, etiamsi factus esset consul suffragiis populi, tamen
se eum non renuntiaturum.
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[275/0289] B. Stellung der Magiſtratur. — Machtfülle. §. 35. ziehung Züge und Aeußerungen berichtet, 414) die eine faſt ab- ſolutiſtiſche Geſinnung athmen. Was die einzelnen Magiſtraturen anbetrifft, ſo nimmt hin- ſichtlich der Fülle der Machtbefugniß die Diktatur bekanntlich die erſte Stelle ein. Sie läßt ſich als eine vorübergehende An- leihe der Republik bei dem abſoluten Königthum bezeichnen und enthält das Zugeſtändniß, daß die republikaniſche Verfaſſung zwar für gewöhnliche Zuſtände durchführbar, für ungewöhnliche Verhältniſſe aber die Concentrirung der geſammten Staatsge- walt in die Hand eines einzigen abſoluten Herrſchers nöthig ſei — die Anerkennung der relativen Berechtigung des Abſolu- tismus ſelbſt innerhalb eines Freiſtaats. Die Macht der Con- ſuln war beſchränkter, namentlich durch das Recht der Provo- kation an die Volksverſammlung; aber welche Befugniſſe ſchloß doch auch ſie in ſich! Nicht bloß daß es de jure vom Conſul abhing, ob und wie oft er Volks- und Senatsverſammlun- gen 415) berufen wollte — wider ſeinen Willen waren beide nicht möglich — welche Gegenſtände zur Verhandlung kommen ſollten, ob er, wenn die Stimmung ihm nicht günſtig erſchien, die Verſammlung wieder entlaſſen wollte; ſondern er war recht- lich ſogar befugt, die unter ſeiner Leitung für das nächſte Jahr getroffenen Wahlen des Volkes umzuſtoßen, indem er ſich wei- gerte, die Namen der Gewählten zu proklamiren. 416) Als ein höchſt merkwürdiges Recht verdient namentlich auch die freie 414) Val. Max. III. 7, 3: Tacete quaeso, Quirites, plus enim ego, quam vos, quid reipublicae expediat, intelligo. Ibid. VI. 2, 3. VI. 4, 1, 2. Auct. de vir. illustr. 58. §. 8. 415) Hinſichtlich der Sitzungen des Senats beſtand eine Pflicht der Sitte (ſ. unten). 416) Liv. VIII, 15. XXIV, 7—9. Val. Max. III, 8. 3. Vell. Paterc. II, 92. juravit, etiamsi factus esset consul suffragiis populi, tamen se eum non renuntiaturum. 18*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/289>, abgerufen am 22.11.2024.