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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
tiger Bürger sich einem ehrenwerthen Erwerb hinzugeben" und
selbst innerhalb des Bürgerstandes ein Individuum aus s. g.
guter Familie lieber Abentheurer, Schauspieler u. s. w., als
Handwerker wird, ebenso im alten Rom.

Wohin aber auch abgesehen vom Handwerk der Arbeit su-
chende Freie sich wandte, überall begegnete er demselben Erbfeind,
dem Sklaven. So in der Schifffahrt,380) im Handel,381) im
Steuerwesen,382) selbst in den untern Stellen der Staats- und
Communal-Verwaltung (die servi publici). In allen diesen Fäl-
len gesellte sich zu der größeren Billigkeit der Sklavenarbeit noch
ein anderer Grund hinzu, der dem Sklaven vor dem Freien den
Vorzug gab, der Umstand nämlich, daß man nach Grundsätzen
des ältern Rechts zwar durch hausunterthänige, nicht aber durch
dritte freie Personen erwerben konnte. Darin lag, daß in allen
Verhältnissen, die den Abschluß von Rechtsgeschäften durch
Mittelspersonen mit sich brachten, die Verwendung des Skla-
ven als Mittelsperson vor der des Freien entschieden den Vor-
zug verdiente. Auf Umwegen ließ sich zwar auch im letztern Fall
das gewünschte Resultat erreichen, aber der direkte Weg hatte
hier nicht bloß den Vortheil der Einfachheit, sondern auch den
der größeren Sicherheit. Die Uebertragung des erworbenen
Rechts erforderte dort einen eignen Willensakt der Mittelsper-
son, konnte also verzögert, verweigert, vereitelt werden u. s. w.,
hier erfolgte sie von selbst; dort hatte die Mittelsperson vollstän-
dige Dispositionsbefugniß über das erworbene Recht, hier nicht.

380) Man nahm nicht bloß Sklaven zu Matrosen (einmal sogar auf der
Kriegsmarine Liv. XXIV, 11. XXVI, 35), sondern auch zur Stelle des
Kapitän, wie aus der act. exercitoria hervorgeht.
381) Es bestand nicht bloß das dienende Personal häufig aus Sklaven
(die act. institoria), sondern oft hatten letztere auch selbst einen kleinen Han-
del (act. tributoria); dort versperrten sie den Freien den Platz, hier machten
sie ihnen eine gefährliche Concurrenz.
382) Dasselbe erforderte ein großes Unterpersonal; die Publikanen fan-
den es begreiflicherweise am vortheilhaftesten dazu Sklaven zu nehmen (fami-
liae publicanorum
).

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
tiger Bürger ſich einem ehrenwerthen Erwerb hinzugeben“ und
ſelbſt innerhalb des Bürgerſtandes ein Individuum aus ſ. g.
guter Familie lieber Abentheurer, Schauſpieler u. ſ. w., als
Handwerker wird, ebenſo im alten Rom.

Wohin aber auch abgeſehen vom Handwerk der Arbeit ſu-
chende Freie ſich wandte, überall begegnete er demſelben Erbfeind,
dem Sklaven. So in der Schifffahrt,380) im Handel,381) im
Steuerweſen,382) ſelbſt in den untern Stellen der Staats- und
Communal-Verwaltung (die servi publici). In allen dieſen Fäl-
len geſellte ſich zu der größeren Billigkeit der Sklavenarbeit noch
ein anderer Grund hinzu, der dem Sklaven vor dem Freien den
Vorzug gab, der Umſtand nämlich, daß man nach Grundſätzen
des ältern Rechts zwar durch hausunterthänige, nicht aber durch
dritte freie Perſonen erwerben konnte. Darin lag, daß in allen
Verhältniſſen, die den Abſchluß von Rechtsgeſchäften durch
Mittelsperſonen mit ſich brachten, die Verwendung des Skla-
ven als Mittelsperſon vor der des Freien entſchieden den Vor-
zug verdiente. Auf Umwegen ließ ſich zwar auch im letztern Fall
das gewünſchte Reſultat erreichen, aber der direkte Weg hatte
hier nicht bloß den Vortheil der Einfachheit, ſondern auch den
der größeren Sicherheit. Die Uebertragung des erworbenen
Rechts erforderte dort einen eignen Willensakt der Mittelsper-
ſon, konnte alſo verzögert, verweigert, vereitelt werden u. ſ. w.,
hier erfolgte ſie von ſelbſt; dort hatte die Mittelsperſon vollſtän-
dige Dispoſitionsbefugniß über das erworbene Recht, hier nicht.

380) Man nahm nicht bloß Sklaven zu Matroſen (einmal ſogar auf der
Kriegsmarine Liv. XXIV, 11. XXVI, 35), ſondern auch zur Stelle des
Kapitän, wie aus der act. exercitoria hervorgeht.
381) Es beſtand nicht bloß das dienende Perſonal häufig aus Sklaven
(die act. institoria), ſondern oft hatten letztere auch ſelbſt einen kleinen Han-
del (act. tributoria); dort verſperrten ſie den Freien den Platz, hier machten
ſie ihnen eine gefährliche Concurrenz.
382) Daſſelbe erforderte ein großes Unterperſonal; die Publikanen fan-
den es begreiflicherweiſe am vortheilhafteſten dazu Sklaven zu nehmen (fami-
liae publicanorum
).
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[254/0268] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. tiger Bürger ſich einem ehrenwerthen Erwerb hinzugeben“ und ſelbſt innerhalb des Bürgerſtandes ein Individuum aus ſ. g. guter Familie lieber Abentheurer, Schauſpieler u. ſ. w., als Handwerker wird, ebenſo im alten Rom. Wohin aber auch abgeſehen vom Handwerk der Arbeit ſu- chende Freie ſich wandte, überall begegnete er demſelben Erbfeind, dem Sklaven. So in der Schifffahrt, 380) im Handel, 381) im Steuerweſen, 382) ſelbſt in den untern Stellen der Staats- und Communal-Verwaltung (die servi publici). In allen dieſen Fäl- len geſellte ſich zu der größeren Billigkeit der Sklavenarbeit noch ein anderer Grund hinzu, der dem Sklaven vor dem Freien den Vorzug gab, der Umſtand nämlich, daß man nach Grundſätzen des ältern Rechts zwar durch hausunterthänige, nicht aber durch dritte freie Perſonen erwerben konnte. Darin lag, daß in allen Verhältniſſen, die den Abſchluß von Rechtsgeſchäften durch Mittelsperſonen mit ſich brachten, die Verwendung des Skla- ven als Mittelsperſon vor der des Freien entſchieden den Vor- zug verdiente. Auf Umwegen ließ ſich zwar auch im letztern Fall das gewünſchte Reſultat erreichen, aber der direkte Weg hatte hier nicht bloß den Vortheil der Einfachheit, ſondern auch den der größeren Sicherheit. Die Uebertragung des erworbenen Rechts erforderte dort einen eignen Willensakt der Mittelsper- ſon, konnte alſo verzögert, verweigert, vereitelt werden u. ſ. w., hier erfolgte ſie von ſelbſt; dort hatte die Mittelsperſon vollſtän- dige Dispoſitionsbefugniß über das erworbene Recht, hier nicht. 380) Man nahm nicht bloß Sklaven zu Matroſen (einmal ſogar auf der Kriegsmarine Liv. XXIV, 11. XXVI, 35), ſondern auch zur Stelle des Kapitän, wie aus der act. exercitoria hervorgeht. 381) Es beſtand nicht bloß das dienende Perſonal häufig aus Sklaven (die act. institoria), ſondern oft hatten letztere auch ſelbſt einen kleinen Han- del (act. tributoria); dort verſperrten ſie den Freien den Platz, hier machten ſie ihnen eine gefährliche Concurrenz. 382) Daſſelbe erforderte ein großes Unterperſonal; die Publikanen fan- den es begreiflicherweiſe am vortheilhafteſten dazu Sklaven zu nehmen (fami- liae publicanorum).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/268>, abgerufen am 19.05.2024.