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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32.
der habe, war ein Gesichtspunkt, den der Vater bei Ausübung
seiner patr. pot. nicht außer Acht lassen sollte. Von seinem
Standpunkte aus betrachtet war seine Strafgewalt ein reines
Privatrecht, vom Standpunkte des Staats aus ein im allge-
meinen Interesse als Mittel der Erziehung und Zucht verliehe-
nes Amt. Darum unterlag der censorischen Rüge nicht minder,
wer die Zügel des Hausregiments zu lasch, als wer sie straff
angezogen hatte. Vollkommen in Stand gesetzt, die Seinen
zur Zucht und Ordnung anzuhalten, mußte er in den Augen
des Volks auch für die gute Aufführung derselben verantwort-
lich erscheinen,338) und von ihm konnte man, wenn dieselben
ein Verbrechen begingen, zunächst erwarten, daß er die ver-
diente Strafe über sie verhängen und sich selbst von der mora-
lischen Mitschuld lossagen würde. Der Staat hatte aber gewiß
nur in den seltensten Fällen nöthig, selbst einzuschreiten;339) die
römischen Väter und Männer wußten in alter Zeit, was ihre
Pflicht war und besaßen Seelenstärke genug, um sie zu erfüllen.

So wenig nun dieser Gesichtspunkt der Pflicht in der ju-
ristischen
Construction der hausherrlichen Gewalt Berücksich-
tigung fand: in der Wirklichkeit war er der bestimmende; be-
stimmend nicht bloß für die Handhabung derselben, sondern
nicht minder für die ganze Auffassung derselben. In dem Bilde,
das wir heutzutage von der hausherrlichen Gewalt entwerfen,
würde ein alter Römer dieselbe kaum wieder erkannt und
schwerlich es begriffen haben, wie eine Institution, auf die
Rom stolz sein konnte, und die wie keine andere die Quelle alt-

338) Hinsichtlich der Frauen erkennt Cicero in einem Fragmente aus lib.
IV. de republica (Nonius de num. et cas. p.
499) dies ausdrücklich an:
nec vero mulieribus praefectus praeponatur, qui apud Graecos creari
solet, sed sit Censor, quivirosedoceat mulieribus moderari.
339) Hinsichtlich der Frauen werden einige Fälle erwähnt, wo die Strafe
von Staatswegen gefällt, die Vollziehung derselben aber den Verwand-
ten überlassen wurde. Val. Max. VI. 3, 7. Liv. XXXIX. 18. Sueton.
Tiber. 35.

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32.
der habe, war ein Geſichtspunkt, den der Vater bei Ausübung
ſeiner patr. pot. nicht außer Acht laſſen ſollte. Von ſeinem
Standpunkte aus betrachtet war ſeine Strafgewalt ein reines
Privatrecht, vom Standpunkte des Staats aus ein im allge-
meinen Intereſſe als Mittel der Erziehung und Zucht verliehe-
nes Amt. Darum unterlag der cenſoriſchen Rüge nicht minder,
wer die Zügel des Hausregiments zu laſch, als wer ſie ſtraff
angezogen hatte. Vollkommen in Stand geſetzt, die Seinen
zur Zucht und Ordnung anzuhalten, mußte er in den Augen
des Volks auch für die gute Aufführung derſelben verantwort-
lich erſcheinen,338) und von ihm konnte man, wenn dieſelben
ein Verbrechen begingen, zunächſt erwarten, daß er die ver-
diente Strafe über ſie verhängen und ſich ſelbſt von der mora-
liſchen Mitſchuld losſagen würde. Der Staat hatte aber gewiß
nur in den ſeltenſten Fällen nöthig, ſelbſt einzuſchreiten;339) die
römiſchen Väter und Männer wußten in alter Zeit, was ihre
Pflicht war und beſaßen Seelenſtärke genug, um ſie zu erfüllen.

So wenig nun dieſer Geſichtspunkt der Pflicht in der ju-
riſtiſchen
Conſtruction der hausherrlichen Gewalt Berückſich-
tigung fand: in der Wirklichkeit war er der beſtimmende; be-
ſtimmend nicht bloß für die Handhabung derſelben, ſondern
nicht minder für die ganze Auffaſſung derſelben. In dem Bilde,
das wir heutzutage von der hausherrlichen Gewalt entwerfen,
würde ein alter Römer dieſelbe kaum wieder erkannt und
ſchwerlich es begriffen haben, wie eine Inſtitution, auf die
Rom ſtolz ſein konnte, und die wie keine andere die Quelle alt-

338) Hinſichtlich der Frauen erkennt Cicero in einem Fragmente aus lib.
IV. de republica (Nonius de num. et cas. p.
499) dies ausdrücklich an:
nec vero mulieribus praefectus praeponatur, qui apud Graecos creari
solet, sed sit Censor, quivirosedoceat mulieribus moderari.
339) Hinſichtlich der Frauen werden einige Fälle erwähnt, wo die Strafe
von Staatswegen gefällt, die Vollziehung derſelben aber den Verwand-
ten überlaſſen wurde. Val. Max. VI. 3, 7. Liv. XXXIX. 18. Sueton.
Tiber. 35.
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[221/0235] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32. der habe, war ein Geſichtspunkt, den der Vater bei Ausübung ſeiner patr. pot. nicht außer Acht laſſen ſollte. Von ſeinem Standpunkte aus betrachtet war ſeine Strafgewalt ein reines Privatrecht, vom Standpunkte des Staats aus ein im allge- meinen Intereſſe als Mittel der Erziehung und Zucht verliehe- nes Amt. Darum unterlag der cenſoriſchen Rüge nicht minder, wer die Zügel des Hausregiments zu laſch, als wer ſie ſtraff angezogen hatte. Vollkommen in Stand geſetzt, die Seinen zur Zucht und Ordnung anzuhalten, mußte er in den Augen des Volks auch für die gute Aufführung derſelben verantwort- lich erſcheinen, 338) und von ihm konnte man, wenn dieſelben ein Verbrechen begingen, zunächſt erwarten, daß er die ver- diente Strafe über ſie verhängen und ſich ſelbſt von der mora- liſchen Mitſchuld losſagen würde. Der Staat hatte aber gewiß nur in den ſeltenſten Fällen nöthig, ſelbſt einzuſchreiten; 339) die römiſchen Väter und Männer wußten in alter Zeit, was ihre Pflicht war und beſaßen Seelenſtärke genug, um ſie zu erfüllen. So wenig nun dieſer Geſichtspunkt der Pflicht in der ju- riſtiſchen Conſtruction der hausherrlichen Gewalt Berückſich- tigung fand: in der Wirklichkeit war er der beſtimmende; be- ſtimmend nicht bloß für die Handhabung derſelben, ſondern nicht minder für die ganze Auffaſſung derſelben. In dem Bilde, das wir heutzutage von der hausherrlichen Gewalt entwerfen, würde ein alter Römer dieſelbe kaum wieder erkannt und ſchwerlich es begriffen haben, wie eine Inſtitution, auf die Rom ſtolz ſein konnte, und die wie keine andere die Quelle alt- 338) Hinſichtlich der Frauen erkennt Cicero in einem Fragmente aus lib. IV. de republica (Nonius de num. et cas. p. 499) dies ausdrücklich an: nec vero mulieribus praefectus praeponatur, qui apud Graecos creari solet, sed sit Censor, quivirosedoceat mulieribus moderari. 339) Hinſichtlich der Frauen werden einige Fälle erwähnt, wo die Strafe von Staatswegen gefällt, die Vollziehung derſelben aber den Verwand- ten überlaſſen wurde. Val. Max. VI. 3, 7. Liv. XXXIX. 18. Sueton. Tiber. 35.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/235>, abgerufen am 22.11.2024.