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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
hatten sie es selbst in der Hand, jene Ehe zu verhindern. Bei
diesem Conflikt der Interessen der Agnaten und der Mündel gab
es nur Ein Auskunstsmittel, die Eingehung einer Ehe ohne
manus, und es ist wohl keine zu kühne Hypothese, 285) daß diese
Art der Ehe an diesem Punkt, wo sie ein völlig unab-
weisbares Bedürfniß war
, 286) zuerst zum Vorschein ge-
kommen und vorzugsweise für dieses Verhältniß bestimmt ge-
wesen sei. Was sollte sonst der Grund der Ehe ohne manus
gewesen sein? Wenn man von der durch gar nichts belegten
Annahme, 287) daß der Gegensatz der Ehe mit und ohne manus
auf einen ethnischen Gegensatz zurückzuführen sei, abstrahirt, so
bleibt nur die Ansicht zu berücksichtigen, daß die Ehe ohne ma-
nus
in dem Streben des weiblichen Geschlechts nach größerer
Unabhängigkeit und Selbständigkeit ihren Grund gehabt habe.
Allein die Supposition, von der man dabei ausgeht, daß näm-
lich die Stellung der Frau bei dieser Art der Ehe eine freiere
gewesen, ist erst für die Zeit richtig, als die Geschlechtsvor-
mundschaft ihre alte Strenge verloren hatte, d. h. erst für das
folgende System. 288) Für die frühere Zeit aber beruht diese

nen, sie hätte es stets in ihrer Macht gehabt, den ganzen Zweck der Tutel, die
Erhaltung des Vermögens in der Familie zu vereiteln.
285) Ich finde sie angedeutet bei Laboulaye Recherches sur la condi-
tion civile et politique des femmes. Paris
1842. S. 34, auch muß sie nach
einem Citat bei Roßbach S. 242 vertheidigt sein in einer Schrift, die mir
unbekannt ist, nämlich Dorn-Seilfen de feminarum conditione apud Rom.
p.
12. 17. Die Idee von Roßbach selbst halte ich nicht für richtig.
286) Ein anderer Fall von weit geringerem Interesse, in dem gleichfalls
die Ehe ohne manus dadurch motivirt werden konnte, daß eine Ehe mit ma-
nus
nicht denkbar war, war der, wenn der Vater der Frau wahnsinnig oder
in feindlicher Gefangenschaft war.
287) Gegen die sich jetzt auch Roßbach a. a. O. S. 162 u. fl. erklärt,
und die er durch die gediegene Kritik, der er sie unterwirft, hoffentlich für im-
mer beseitigt hat.
288) Cicero pro Murena c. 12: Später handelte es sich nicht mehr um
vermögensrechtliche Abhängigkeit vom Manne oder vom Tutor, sondern um
eine wirkliche Abhängigkeit von jenem oder eine scheinbare von diesem,

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
hatten ſie es ſelbſt in der Hand, jene Ehe zu verhindern. Bei
dieſem Conflikt der Intereſſen der Agnaten und der Mündel gab
es nur Ein Auskunſtsmittel, die Eingehung einer Ehe ohne
manus, und es iſt wohl keine zu kühne Hypotheſe, 285) daß dieſe
Art der Ehe an dieſem Punkt, wo ſie ein völlig unab-
weisbares Bedürfniß war
, 286) zuerſt zum Vorſchein ge-
kommen und vorzugsweiſe für dieſes Verhältniß beſtimmt ge-
weſen ſei. Was ſollte ſonſt der Grund der Ehe ohne manus
geweſen ſein? Wenn man von der durch gar nichts belegten
Annahme, 287) daß der Gegenſatz der Ehe mit und ohne manus
auf einen ethniſchen Gegenſatz zurückzuführen ſei, abſtrahirt, ſo
bleibt nur die Anſicht zu berückſichtigen, daß die Ehe ohne ma-
nus
in dem Streben des weiblichen Geſchlechts nach größerer
Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit ihren Grund gehabt habe.
Allein die Suppoſition, von der man dabei ausgeht, daß näm-
lich die Stellung der Frau bei dieſer Art der Ehe eine freiere
geweſen, iſt erſt für die Zeit richtig, als die Geſchlechtsvor-
mundſchaft ihre alte Strenge verloren hatte, d. h. erſt für das
folgende Syſtem. 288) Für die frühere Zeit aber beruht dieſe

nen, ſie hätte es ſtets in ihrer Macht gehabt, den ganzen Zweck der Tutel, die
Erhaltung des Vermögens in der Familie zu vereiteln.
285) Ich finde ſie angedeutet bei Laboulaye Recherches sur la condi-
tion civile et politique des femmes. Paris
1842. S. 34, auch muß ſie nach
einem Citat bei Roßbach S. 242 vertheidigt ſein in einer Schrift, die mir
unbekannt iſt, nämlich Dorn-Seilfen de feminarum conditione apud Rom.
p.
12. 17. Die Idee von Roßbach ſelbſt halte ich nicht für richtig.
286) Ein anderer Fall von weit geringerem Intereſſe, in dem gleichfalls
die Ehe ohne manus dadurch motivirt werden konnte, daß eine Ehe mit ma-
nus
nicht denkbar war, war der, wenn der Vater der Frau wahnſinnig oder
in feindlicher Gefangenſchaft war.
287) Gegen die ſich jetzt auch Roßbach a. a. O. S. 162 u. fl. erklärt,
und die er durch die gediegene Kritik, der er ſie unterwirft, hoffentlich für im-
mer beſeitigt hat.
288) Cicero pro Murena c. 12: Später handelte es ſich nicht mehr um
vermögensrechtliche Abhängigkeit vom Manne oder vom Tutor, ſondern um
eine wirkliche Abhängigkeit von jenem oder eine ſcheinbare von dieſem,
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[196/0210] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. hatten ſie es ſelbſt in der Hand, jene Ehe zu verhindern. Bei dieſem Conflikt der Intereſſen der Agnaten und der Mündel gab es nur Ein Auskunſtsmittel, die Eingehung einer Ehe ohne manus, und es iſt wohl keine zu kühne Hypotheſe, 285) daß dieſe Art der Ehe an dieſem Punkt, wo ſie ein völlig unab- weisbares Bedürfniß war, 286) zuerſt zum Vorſchein ge- kommen und vorzugsweiſe für dieſes Verhältniß beſtimmt ge- weſen ſei. Was ſollte ſonſt der Grund der Ehe ohne manus geweſen ſein? Wenn man von der durch gar nichts belegten Annahme, 287) daß der Gegenſatz der Ehe mit und ohne manus auf einen ethniſchen Gegenſatz zurückzuführen ſei, abſtrahirt, ſo bleibt nur die Anſicht zu berückſichtigen, daß die Ehe ohne ma- nus in dem Streben des weiblichen Geſchlechts nach größerer Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit ihren Grund gehabt habe. Allein die Suppoſition, von der man dabei ausgeht, daß näm- lich die Stellung der Frau bei dieſer Art der Ehe eine freiere geweſen, iſt erſt für die Zeit richtig, als die Geſchlechtsvor- mundſchaft ihre alte Strenge verloren hatte, d. h. erſt für das folgende Syſtem. 288) Für die frühere Zeit aber beruht dieſe 284) 285) Ich finde ſie angedeutet bei Laboulaye Recherches sur la condi- tion civile et politique des femmes. Paris 1842. S. 34, auch muß ſie nach einem Citat bei Roßbach S. 242 vertheidigt ſein in einer Schrift, die mir unbekannt iſt, nämlich Dorn-Seilfen de feminarum conditione apud Rom. p. 12. 17. Die Idee von Roßbach ſelbſt halte ich nicht für richtig. 286) Ein anderer Fall von weit geringerem Intereſſe, in dem gleichfalls die Ehe ohne manus dadurch motivirt werden konnte, daß eine Ehe mit ma- nus nicht denkbar war, war der, wenn der Vater der Frau wahnſinnig oder in feindlicher Gefangenſchaft war. 287) Gegen die ſich jetzt auch Roßbach a. a. O. S. 162 u. fl. erklärt, und die er durch die gediegene Kritik, der er ſie unterwirft, hoffentlich für im- mer beſeitigt hat. 288) Cicero pro Murena c. 12: Später handelte es ſich nicht mehr um vermögensrechtliche Abhängigkeit vom Manne oder vom Tutor, ſondern um eine wirkliche Abhängigkeit von jenem oder eine ſcheinbare von dieſem, 284) nen, ſie hätte es ſtets in ihrer Macht gehabt, den ganzen Zweck der Tutel, die Erhaltung des Vermögens in der Familie zu vereiteln.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/210>, abgerufen am 25.11.2024.