Systems vermittelst eines uns erst durch die spätere Zeit gebote- nen Materials damit Verzicht leisten wollten.
Daß wir fortan unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise dem Privatrecht zuwenden, darüber wird schwerlich ein Kundiger mit uns rechten. Es ist nicht bloß die besondere Beziehung desselben zur modernen Welt, die uns dazu veranlaßt, sondern der Vorsprung, den das Privatrecht und der mit ihm in engster Verbindung stehende Prozeß vor den übrigen Theilen des Rechts gewann, bringt dies von selbst mit sich. Dieser Vor- sprung besteht theils darin, daß dieser Theil des Rechts sich weit mehr objektivirt, abgelagert hat (§. 24), theils in der bekann- ten hohen wissenschaftlichen Cultur, die ihm zu Theil geworden ist. Allerdings läßt sich erst in der folgenden Periode von einer eigentlichen Wissenschaft des Rechts sprechen, aber das natür- liche Genie des Volks hat doch bereits an dem gegenwärtigen System sich in einer Weise bethätigt, die vielleicht mehr unsere Bewunderung zu erregen verdient, als die ausgezeichneten Lei- stungen der spätern Jurisprudenz. Letztere steht unserm heutigen wissenschaftlichen Bewußtsein näher, und daher rührt es, daß ihr die Anerkennung in so reichem Maße zuströmt, während das Verdienst der frühern Zeit, die, wenn ich so sagen darf, die Dogmatik des Rechts erst aus dem Groben herausarbeiten mußte, weniger in die Augen springt. Und doch war es diese Arbeit, die über den Werth des römischen Rechts eigentlich ent- schied, und der die spätere Wissenschaft den urbaren, geebneten Boden verdankte, ohne den ihre Erfolge sich nicht hätten denken lassen. Ich hebe dies mit besonderm Nachdruck hervor, weil ich von vornherein der Meinung vorbeugen möchte, als verdanke das römische Recht seine Größe der römischen Rechtswissenschaft, als beginne also auch die Glanzperiode der römischen Rechtsge- schichte erst mit unserm dritten System. Sie beginnt schon jetzt, und erheischte es auch nicht die historische Gründlichkeit, dem ältern Recht die gebührende Beachtung zuzuwenden: der innere Werth desselben, sein eigner geistiger Gehalt würde sie ihm
Zweites Buch — das ſpezifiſch röm. Rechtsſyſtem.
Syſtems vermittelſt eines uns erſt durch die ſpätere Zeit gebote- nen Materials damit Verzicht leiſten wollten.
Daß wir fortan unſere Aufmerkſamkeit vorzugsweiſe dem Privatrecht zuwenden, darüber wird ſchwerlich ein Kundiger mit uns rechten. Es iſt nicht bloß die beſondere Beziehung deſſelben zur modernen Welt, die uns dazu veranlaßt, ſondern der Vorſprung, den das Privatrecht und der mit ihm in engſter Verbindung ſtehende Prozeß vor den übrigen Theilen des Rechts gewann, bringt dies von ſelbſt mit ſich. Dieſer Vor- ſprung beſteht theils darin, daß dieſer Theil des Rechts ſich weit mehr objektivirt, abgelagert hat (§. 24), theils in der bekann- ten hohen wiſſenſchaftlichen Cultur, die ihm zu Theil geworden iſt. Allerdings läßt ſich erſt in der folgenden Periode von einer eigentlichen Wiſſenſchaft des Rechts ſprechen, aber das natür- liche Genie des Volks hat doch bereits an dem gegenwärtigen Syſtem ſich in einer Weiſe bethätigt, die vielleicht mehr unſere Bewunderung zu erregen verdient, als die ausgezeichneten Lei- ſtungen der ſpätern Jurisprudenz. Letztere ſteht unſerm heutigen wiſſenſchaftlichen Bewußtſein näher, und daher rührt es, daß ihr die Anerkennung in ſo reichem Maße zuſtrömt, während das Verdienſt der frühern Zeit, die, wenn ich ſo ſagen darf, die Dogmatik des Rechts erſt aus dem Groben herausarbeiten mußte, weniger in die Augen ſpringt. Und doch war es dieſe Arbeit, die über den Werth des römiſchen Rechts eigentlich ent- ſchied, und der die ſpätere Wiſſenſchaft den urbaren, geebneten Boden verdankte, ohne den ihre Erfolge ſich nicht hätten denken laſſen. Ich hebe dies mit beſonderm Nachdruck hervor, weil ich von vornherein der Meinung vorbeugen möchte, als verdanke das römiſche Recht ſeine Größe der römiſchen Rechtswiſſenſchaft, als beginne alſo auch die Glanzperiode der römiſchen Rechtsge- ſchichte erſt mit unſerm dritten Syſtem. Sie beginnt ſchon jetzt, und erheiſchte es auch nicht die hiſtoriſche Gründlichkeit, dem ältern Recht die gebührende Beachtung zuzuwenden: der innere Werth desſelben, ſein eigner geiſtiger Gehalt würde ſie ihm
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0020"n="6"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch — das ſpezifiſch röm. Rechtsſyſtem.</fw><lb/>
Syſtems vermittelſt eines uns erſt durch die ſpätere Zeit gebote-<lb/>
nen Materials damit Verzicht leiſten wollten.</p><lb/><p>Daß wir fortan unſere Aufmerkſamkeit vorzugsweiſe dem<lb/>
Privatrecht zuwenden, darüber wird ſchwerlich ein Kundiger<lb/>
mit uns rechten. Es iſt nicht bloß die beſondere Beziehung<lb/>
deſſelben zur modernen Welt, die uns dazu veranlaßt, ſondern<lb/>
der Vorſprung, den das Privatrecht und der mit ihm in<lb/>
engſter Verbindung ſtehende Prozeß vor den übrigen Theilen<lb/>
des Rechts gewann, bringt dies von ſelbſt mit ſich. Dieſer Vor-<lb/>ſprung beſteht theils darin, daß dieſer Theil des Rechts ſich weit<lb/>
mehr objektivirt, abgelagert hat (§. 24), theils in der bekann-<lb/>
ten hohen wiſſenſchaftlichen Cultur, die ihm zu Theil geworden<lb/>
iſt. Allerdings läßt ſich erſt in der folgenden Periode von einer<lb/>
eigentlichen Wiſſenſchaft des Rechts ſprechen, aber das natür-<lb/>
liche Genie des Volks hat doch bereits an dem gegenwärtigen<lb/>
Syſtem ſich in einer Weiſe bethätigt, die vielleicht mehr unſere<lb/>
Bewunderung zu erregen verdient, als die ausgezeichneten Lei-<lb/>ſtungen der ſpätern Jurisprudenz. Letztere ſteht unſerm heutigen<lb/>
wiſſenſchaftlichen Bewußtſein näher, und daher rührt es, daß<lb/>
ihr die Anerkennung in ſo reichem Maße zuſtrömt, während<lb/>
das Verdienſt der frühern Zeit, die, wenn ich ſo ſagen darf,<lb/>
die Dogmatik des Rechts erſt aus dem Groben herausarbeiten<lb/>
mußte, weniger in die Augen ſpringt. Und doch war es dieſe<lb/>
Arbeit, die über den Werth des römiſchen Rechts eigentlich ent-<lb/>ſchied, und der die ſpätere Wiſſenſchaft den urbaren, geebneten<lb/>
Boden verdankte, ohne den ihre Erfolge ſich nicht hätten denken<lb/>
laſſen. Ich hebe dies mit beſonderm Nachdruck hervor, weil ich<lb/>
von vornherein der Meinung vorbeugen möchte, als verdanke<lb/>
das römiſche Recht ſeine Größe der römiſchen Rechtswiſſenſchaft,<lb/>
als beginne alſo auch die Glanzperiode der römiſchen Rechtsge-<lb/>ſchichte erſt mit unſerm dritten Syſtem. Sie beginnt ſchon jetzt,<lb/>
und erheiſchte es auch nicht die hiſtoriſche Gründlichkeit, dem<lb/>
ältern Recht die gebührende Beachtung zuzuwenden: der innere<lb/>
Werth desſelben, ſein eigner geiſtiger Gehalt würde ſie ihm<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[6/0020]
Zweites Buch — das ſpezifiſch röm. Rechtsſyſtem.
Syſtems vermittelſt eines uns erſt durch die ſpätere Zeit gebote-
nen Materials damit Verzicht leiſten wollten.
Daß wir fortan unſere Aufmerkſamkeit vorzugsweiſe dem
Privatrecht zuwenden, darüber wird ſchwerlich ein Kundiger
mit uns rechten. Es iſt nicht bloß die beſondere Beziehung
deſſelben zur modernen Welt, die uns dazu veranlaßt, ſondern
der Vorſprung, den das Privatrecht und der mit ihm in
engſter Verbindung ſtehende Prozeß vor den übrigen Theilen
des Rechts gewann, bringt dies von ſelbſt mit ſich. Dieſer Vor-
ſprung beſteht theils darin, daß dieſer Theil des Rechts ſich weit
mehr objektivirt, abgelagert hat (§. 24), theils in der bekann-
ten hohen wiſſenſchaftlichen Cultur, die ihm zu Theil geworden
iſt. Allerdings läßt ſich erſt in der folgenden Periode von einer
eigentlichen Wiſſenſchaft des Rechts ſprechen, aber das natür-
liche Genie des Volks hat doch bereits an dem gegenwärtigen
Syſtem ſich in einer Weiſe bethätigt, die vielleicht mehr unſere
Bewunderung zu erregen verdient, als die ausgezeichneten Lei-
ſtungen der ſpätern Jurisprudenz. Letztere ſteht unſerm heutigen
wiſſenſchaftlichen Bewußtſein näher, und daher rührt es, daß
ihr die Anerkennung in ſo reichem Maße zuſtrömt, während
das Verdienſt der frühern Zeit, die, wenn ich ſo ſagen darf,
die Dogmatik des Rechts erſt aus dem Groben herausarbeiten
mußte, weniger in die Augen ſpringt. Und doch war es dieſe
Arbeit, die über den Werth des römiſchen Rechts eigentlich ent-
ſchied, und der die ſpätere Wiſſenſchaft den urbaren, geebneten
Boden verdankte, ohne den ihre Erfolge ſich nicht hätten denken
laſſen. Ich hebe dies mit beſonderm Nachdruck hervor, weil ich
von vornherein der Meinung vorbeugen möchte, als verdanke
das römiſche Recht ſeine Größe der römiſchen Rechtswiſſenſchaft,
als beginne alſo auch die Glanzperiode der römiſchen Rechtsge-
ſchichte erſt mit unſerm dritten Syſtem. Sie beginnt ſchon jetzt,
und erheiſchte es auch nicht die hiſtoriſche Gründlichkeit, dem
ältern Recht die gebührende Beachtung zuzuwenden: der innere
Werth desſelben, ſein eigner geiſtiger Gehalt würde ſie ihm
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/20>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.