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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Wenn dies nun, wie historisch unzweifelhaft, das wahre
Verhältniß der Sache ist, so können wir uns selbst sagen, unter
welchem Gesichtspunkt die öffentliche Meinung eine grausame,
unmenschliche Behandlung des Sklaven auffassen mußte, näm-
lich nicht als einen gleichgültigen Akt und als bloßen Ge-
brauch
der herrschaftlichen Gewalt, sondern als einen sittlich
verwerflichen Mißbrauch derselben. Den schlagendsten Be-
weis dafür lieferte auch hier wieder der Censor, der die Herren
in einem solchen Fall zur Verantwortung zog. 255) Mancherlei
Einflüsse, Rücksichten, Umstände waren auch hier thätig, um
die Gewalt in Wirklichkeit auf ein ganz verständiges Maß zu-
rückzuführen. Wie manches, was der Herr gern hätte thun
mögen und rechtlich hätte thun dürfen, mochte er in alter Zeit
unterlassen aus Scheu sei es gegen die öffentliche Meinung, sei
es gegen den Sklaven selbst. Die Sitte hatte auch hier einmal
gewisse Normen aufgestellt, von denen der Einzelne, ohne sich
dem öffentlichen Gerede auszusetzen, nicht abgehen konnte,
so z. B. hinsichtlich der Beköstigung 256) und der Bekleidung der
Sklaven. 257) Die scriptores rei rusticae enthalten über die Be-
handlung und das Loos der zum Landbau verwandten Sklaven
manche bemerkenswerthe Notizen. Ueberall wird die gerechte,
anständige und rücksichtsvolle Behandlung derselben einge-

diam nostri dominis, contumeliam servis detraxerint; dominum pa-
trem familias appellaverunt, servos, quod etiam in mimis adhuc durat,
familiares.
255) Dionys. XX. 3.
256) z. B. Cato c. 57 über die Weinration. Val. Max. IV. 3. 7 (von
seiner Zeit): a servis vix impetrari potest, ne eam supellectilem fasti-
diant, qua tunc consul uti non erubuit.
Die Rationen waren so zugemes-
sen, daß ein Sklav durch Verkauf des Ueberschusses sich etwas erübrigen
konnte, und dies war ihm in der Regel unverwehrt.
257) z. B. L. 15 §. 2 de usufr. (7. 1) sufficienter autem alere et
vestire debet (usufructuarius) secundum ordinem et dignitatem
mancipiorum
.
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.

Wenn dies nun, wie hiſtoriſch unzweifelhaft, das wahre
Verhältniß der Sache iſt, ſo können wir uns ſelbſt ſagen, unter
welchem Geſichtspunkt die öffentliche Meinung eine grauſame,
unmenſchliche Behandlung des Sklaven auffaſſen mußte, näm-
lich nicht als einen gleichgültigen Akt und als bloßen Ge-
brauch
der herrſchaftlichen Gewalt, ſondern als einen ſittlich
verwerflichen Mißbrauch derſelben. Den ſchlagendſten Be-
weis dafür lieferte auch hier wieder der Cenſor, der die Herren
in einem ſolchen Fall zur Verantwortung zog. 255) Mancherlei
Einflüſſe, Rückſichten, Umſtände waren auch hier thätig, um
die Gewalt in Wirklichkeit auf ein ganz verſtändiges Maß zu-
rückzuführen. Wie manches, was der Herr gern hätte thun
mögen und rechtlich hätte thun dürfen, mochte er in alter Zeit
unterlaſſen aus Scheu ſei es gegen die öffentliche Meinung, ſei
es gegen den Sklaven ſelbſt. Die Sitte hatte auch hier einmal
gewiſſe Normen aufgeſtellt, von denen der Einzelne, ohne ſich
dem öffentlichen Gerede auszuſetzen, nicht abgehen konnte,
ſo z. B. hinſichtlich der Beköſtigung 256) und der Bekleidung der
Sklaven. 257) Die scriptores rei rusticae enthalten über die Be-
handlung und das Loos der zum Landbau verwandten Sklaven
manche bemerkenswerthe Notizen. Ueberall wird die gerechte,
anſtändige und rückſichtsvolle Behandlung derſelben einge-

diam nostri dominis, contumeliam servis detraxerint; dominum pa-
trem familias appellaverunt, servos, quod etiam in mimis adhuc durat,
familiares.
255) Dionys. XX. 3.
256) z. B. Cato c. 57 über die Weinration. Val. Max. IV. 3. 7 (von
ſeiner Zeit): a servis vix impetrari potest, ne eam supellectilem fasti-
diant, qua tunc consul uti non erubuit.
Die Rationen waren ſo zugemeſ-
ſen, daß ein Sklav durch Verkauf des Ueberſchuſſes ſich etwas erübrigen
konnte, und dies war ihm in der Regel unverwehrt.
257) z. B. L. 15 §. 2 de usufr. (7. 1) sufficienter autem alere et
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[184/0198] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Wenn dies nun, wie hiſtoriſch unzweifelhaft, das wahre Verhältniß der Sache iſt, ſo können wir uns ſelbſt ſagen, unter welchem Geſichtspunkt die öffentliche Meinung eine grauſame, unmenſchliche Behandlung des Sklaven auffaſſen mußte, näm- lich nicht als einen gleichgültigen Akt und als bloßen Ge- brauch der herrſchaftlichen Gewalt, ſondern als einen ſittlich verwerflichen Mißbrauch derſelben. Den ſchlagendſten Be- weis dafür lieferte auch hier wieder der Cenſor, der die Herren in einem ſolchen Fall zur Verantwortung zog. 255) Mancherlei Einflüſſe, Rückſichten, Umſtände waren auch hier thätig, um die Gewalt in Wirklichkeit auf ein ganz verſtändiges Maß zu- rückzuführen. Wie manches, was der Herr gern hätte thun mögen und rechtlich hätte thun dürfen, mochte er in alter Zeit unterlaſſen aus Scheu ſei es gegen die öffentliche Meinung, ſei es gegen den Sklaven ſelbſt. Die Sitte hatte auch hier einmal gewiſſe Normen aufgeſtellt, von denen der Einzelne, ohne ſich dem öffentlichen Gerede auszuſetzen, nicht abgehen konnte, ſo z. B. hinſichtlich der Beköſtigung 256) und der Bekleidung der Sklaven. 257) Die scriptores rei rusticae enthalten über die Be- handlung und das Loos der zum Landbau verwandten Sklaven manche bemerkenswerthe Notizen. Ueberall wird die gerechte, anſtändige und rückſichtsvolle Behandlung derſelben einge- 254) 255) Dionys. XX. 3. 256) z. B. Cato c. 57 über die Weinration. Val. Max. IV. 3. 7 (von ſeiner Zeit): a servis vix impetrari potest, ne eam supellectilem fasti- diant, qua tunc consul uti non erubuit. Die Rationen waren ſo zugemeſ- ſen, daß ein Sklav durch Verkauf des Ueberſchuſſes ſich etwas erübrigen konnte, und dies war ihm in der Regel unverwehrt. 257) z. B. L. 15 §. 2 de usufr. (7. 1) sufficienter autem alere et vestire debet (usufructuarius) secundum ordinem et dignitatem mancipiorum. 254) diam nostri dominis, contumeliam servis detraxerint; dominum pa- trem familias appellaverunt, servos, quod etiam in mimis adhuc durat, familiares.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/198>, abgerufen am 03.05.2024.