Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Schuldner gewährte, richtete sich in consequenter Erfassung undDurchführung des Verhältnisses lediglich gegen die Person des- selben, äußerte aber auf das Vermögen desselben nicht die ge- ringste Wirkung. Diese Beschränktheit jener Macht in exten- siver Hinsicht ward aber durch ihre Intensivität reichlich aufge- wogen. Die Person an ihren Wurzeln erfassend, riß sie die- selbe, wenn es zur Exekution kam, unrettbar in den Abgrund. Dieser Abgrund war die totale Vernichtung der persönlichen Existenz, und zwar in zwei Formen: Verkauf des Schuldners als Sklaven in die Fremde (trans Tiberim d. i. mit Ausschluß des jus postliminii), wenn nur Ein Gläubiger vorhanden war, Zerfleischen des Schuldners von Seiten der Gläubiger, wenn ihrer mehre waren. Beide Exekutionsmittel gaben den erbitterten Gläubigern Gelegenheit zu furchtbarer Rache, und es ist gewiß statthaft, diesen Gesichtspunkt der Rache mit hervorzuheben, 197) aber nur nicht ausschließlich, denn beide verfolgen doch zunächst den Zweck, den Schuldner durch die Gefahr, die sie ihm drohen, zur Befriedigung seines Gläubi- gers zu veranlassen. Je unabhängiger der Schuldner hinsicht- lich seines Vermögens dem Gläubiger gegenüber dastand, je weniger letzterer ein direktes Mittel hatte, dolose Veräuße- rungen seines Schuldners zu verhindern, um so mehr mußte er auf indirektem Wege dagegen gesichert sein; je weniger der Gläubiger wider Willen des Schuldners Zahlung erzwingen konnte, um so mehr bedurfte es eines ausreichenden Mittels, auf den Willen des Schuldners einzuwirken. Böswillige und betrügerische Machinationen zum Nachtheil der Gläubiger, die heutzutage in den seltensten Fällen vereitelt werden können, fielen nach dem ältern römischen Exekutionssystem auf den Schuldner selbst zurück. Es konnte hier gegen den Willen des Gläubigers wenigstens nie vorkommen, daß der Schuldige der verdienten Strafe entging. Freilich konnte auch den völlig 197) Wie bereits B. 1, S. 122 geschehen und bei der Theorie des sub-
jektiven Willens näher motivirt werden wird. Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Schuldner gewährte, richtete ſich in conſequenter Erfaſſung undDurchführung des Verhältniſſes lediglich gegen die Perſon deſ- ſelben, äußerte aber auf das Vermögen deſſelben nicht die ge- ringſte Wirkung. Dieſe Beſchränktheit jener Macht in exten- ſiver Hinſicht ward aber durch ihre Intenſivität reichlich aufge- wogen. Die Perſon an ihren Wurzeln erfaſſend, riß ſie die- ſelbe, wenn es zur Exekution kam, unrettbar in den Abgrund. Dieſer Abgrund war die totale Vernichtung der perſönlichen Exiſtenz, und zwar in zwei Formen: Verkauf des Schuldners als Sklaven in die Fremde (trans Tiberim d. i. mit Ausſchluß des jus postliminii), wenn nur Ein Gläubiger vorhanden war, Zerfleiſchen des Schuldners von Seiten der Gläubiger, wenn ihrer mehre waren. Beide Exekutionsmittel gaben den erbitterten Gläubigern Gelegenheit zu furchtbarer Rache, und es iſt gewiß ſtatthaft, dieſen Geſichtspunkt der Rache mit hervorzuheben, 197) aber nur nicht ausſchließlich, denn beide verfolgen doch zunächſt den Zweck, den Schuldner durch die Gefahr, die ſie ihm drohen, zur Befriedigung ſeines Gläubi- gers zu veranlaſſen. Je unabhängiger der Schuldner hinſicht- lich ſeines Vermögens dem Gläubiger gegenüber daſtand, je weniger letzterer ein direktes Mittel hatte, doloſe Veräuße- rungen ſeines Schuldners zu verhindern, um ſo mehr mußte er auf indirektem Wege dagegen geſichert ſein; je weniger der Gläubiger wider Willen des Schuldners Zahlung erzwingen konnte, um ſo mehr bedurfte es eines ausreichenden Mittels, auf den Willen des Schuldners einzuwirken. Böswillige und betrügeriſche Machinationen zum Nachtheil der Gläubiger, die heutzutage in den ſeltenſten Fällen vereitelt werden können, fielen nach dem ältern römiſchen Exekutionsſyſtem auf den Schuldner ſelbſt zurück. Es konnte hier gegen den Willen des Gläubigers wenigſtens nie vorkommen, daß der Schuldige der verdienten Strafe entging. Freilich konnte auch den völlig 197) Wie bereits B. 1, S. 122 geſchehen und bei der Theorie des ſub-
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Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Schuldner gewährte, richtete ſich in conſequenter Erfaſſung und
Durchführung des Verhältniſſes lediglich gegen die Perſon deſ-
ſelben, äußerte aber auf das Vermögen deſſelben nicht die ge-
ringſte Wirkung. Dieſe Beſchränktheit jener Macht in exten-
ſiver Hinſicht ward aber durch ihre Intenſivität reichlich aufge-
wogen. Die Perſon an ihren Wurzeln erfaſſend, riß ſie die-
ſelbe, wenn es zur Exekution kam, unrettbar in den Abgrund.
Dieſer Abgrund war die totale Vernichtung der perſönlichen
Exiſtenz, und zwar in zwei Formen: Verkauf des Schuldners
als Sklaven in die Fremde (trans Tiberim d. i. mit Ausſchluß
des jus postliminii), wenn nur Ein Gläubiger vorhanden
war, Zerfleiſchen des Schuldners von Seiten der Gläubiger,
wenn ihrer mehre waren. Beide Exekutionsmittel gaben den
erbitterten Gläubigern Gelegenheit zu furchtbarer Rache, und
es iſt gewiß ſtatthaft, dieſen Geſichtspunkt der Rache mit
hervorzuheben, 197) aber nur nicht ausſchließlich, denn beide
verfolgen doch zunächſt den Zweck, den Schuldner durch die
Gefahr, die ſie ihm drohen, zur Befriedigung ſeines Gläubi-
gers zu veranlaſſen. Je unabhängiger der Schuldner hinſicht-
lich ſeines Vermögens dem Gläubiger gegenüber daſtand,
je weniger letzterer ein direktes Mittel hatte, doloſe Veräuße-
rungen ſeines Schuldners zu verhindern, um ſo mehr mußte er
auf indirektem Wege dagegen geſichert ſein; je weniger der
Gläubiger wider Willen des Schuldners Zahlung erzwingen
konnte, um ſo mehr bedurfte es eines ausreichenden Mittels,
auf den Willen des Schuldners einzuwirken. Böswillige und
betrügeriſche Machinationen zum Nachtheil der Gläubiger, die
heutzutage in den ſeltenſten Fällen vereitelt werden können,
fielen nach dem ältern römiſchen Exekutionsſyſtem auf den
Schuldner ſelbſt zurück. Es konnte hier gegen den Willen des
Gläubigers wenigſtens nie vorkommen, daß der Schuldige der
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