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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. System der Autonomie. Eigenthum. §. 31.
Spuren des ältern Systems bezeichnen: die cura prodigi 179)
und die tutela mulierum. 180) Wenn aber jener Gesichtspunkt
im Recht auch nicht weiter sichtbar wird, so würde man sich
doch irren, wenn man glaubte, als ob er den Römern fremd
gewesen, nicht im römischen Leben in freier Weise sich wirksam
gezeigt hätte. Das Recht erfaßt die Person allerdings in ihrer
abstracten Isolirtheit als ein aus dem natürlichen Zusammen-
hange der Familie und der Reihenfolge der Geschlechter losge-
rissenes selbständiges Atom, aber das ist wieder bloß die ab-
stracte Behandlungsweise, mit der sich die natürliche Anschau-
ung von jenem Zusammenhange und die Bethätigung derselben
auf dem Wege der Autonomie sehr wohl vertrug. Den Glanz
der Familie aufrecht zu erhalten und zu dem Zweck das Vermö-
gen zu conserviren, vermehren und auf die Nachkommen zu ver-
erben, schwebte auch dem römischen Geschlechtsstolz als würdi-
ges Ziel vor, 181) wie denn für die Beschränkung des Erbrechts
der Frauen und die Weiber-Tutel schwerlich ein anderer Grund
aufgefunden werden kann, als die Absicht, das Vermögen der
Familie d. h. dem Mannsstamm zu erhalten. 182) Nur der Weg,
auf dem man es erstrebte, war ein anderer, als bei uns. Das
Vermögen für alle kommenden Generationen an die Familie zu
binden, mußte den Römern aus verschiedenen Gründen (s. z. B.

179) S. B. 1, S. 179. Es ist nicht das Verwerfliche der Verschwen-
dung als solcher, durch das diese cura motivirt wird, sondern einer Ver-
schwendung des Familienguts (quando "bona paterna avitaque
disperdis"
), das auf die Descendenten hätte übergehen können ("liberos-
que tuos ad egestatem perducis."
So die Formel bei Paul. Sent. rec. III.
4 a.
§. 7).
180) Von ihr wird §. 32 die Rede sein.
181) So z. B. Val. Max. III. 5. 2: ... dolenter enim homines fere-
bant, pecuniam, quae Fabiae gentis splendori servire debebat,
flagitiis disjici.
Nach Ascon. in orat. de toga cand. p. 84. Orelli ward
C. Antonius von den Censoren aus dem Senat gestoßen, weil er Schulden
halber seinen Grundbesitz veräußert hatte.
182) Labonlaye Recherches sur la condition civile et. politique des
femmes. Paris 1843
. S. 25, 65 fl.

A. Stellung des Indiv. Syſtem der Autonomie. Eigenthum. §. 31.
Spuren des ältern Syſtems bezeichnen: die cura prodigi 179)
und die tutela mulierum. 180) Wenn aber jener Geſichtspunkt
im Recht auch nicht weiter ſichtbar wird, ſo würde man ſich
doch irren, wenn man glaubte, als ob er den Römern fremd
geweſen, nicht im römiſchen Leben in freier Weiſe ſich wirkſam
gezeigt hätte. Das Recht erfaßt die Perſon allerdings in ihrer
abſtracten Iſolirtheit als ein aus dem natürlichen Zuſammen-
hange der Familie und der Reihenfolge der Geſchlechter losge-
riſſenes ſelbſtändiges Atom, aber das iſt wieder bloß die ab-
ſtracte Behandlungsweiſe, mit der ſich die natürliche Anſchau-
ung von jenem Zuſammenhange und die Bethätigung derſelben
auf dem Wege der Autonomie ſehr wohl vertrug. Den Glanz
der Familie aufrecht zu erhalten und zu dem Zweck das Vermö-
gen zu conſerviren, vermehren und auf die Nachkommen zu ver-
erben, ſchwebte auch dem römiſchen Geſchlechtsſtolz als würdi-
ges Ziel vor, 181) wie denn für die Beſchränkung des Erbrechts
der Frauen und die Weiber-Tutel ſchwerlich ein anderer Grund
aufgefunden werden kann, als die Abſicht, das Vermögen der
Familie d. h. dem Mannsſtamm zu erhalten. 182) Nur der Weg,
auf dem man es erſtrebte, war ein anderer, als bei uns. Das
Vermögen für alle kommenden Generationen an die Familie zu
binden, mußte den Römern aus verſchiedenen Gründen (ſ. z. B.

179) S. B. 1, S. 179. Es iſt nicht das Verwerfliche der Verſchwen-
dung als ſolcher, durch das dieſe cura motivirt wird, ſondern einer Ver-
ſchwendung des Familienguts (quando „bona paterna avitaque
disperdis“
), das auf die Deſcendenten hätte übergehen können („liberos-
que tuos ad egestatem perducis.“
So die Formel bei Paul. Sent. rec. III.
4 a.
§. 7).
180) Von ihr wird §. 32 die Rede ſein.
181) So z. B. Val. Max. III. 5. 2: … dolenter enim homines fere-
bant, pecuniam, quae Fabiae gentis splendori servire debebat,
flagitiis disjici.
Nach Ascon. in orat. de toga cand. p. 84. Orelli ward
C. Antonius von den Cenſoren aus dem Senat geſtoßen, weil er Schulden
halber ſeinen Grundbeſitz veräußert hatte.
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femmes. Paris 1843
. S. 25, 65 fl.
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[155/0169] A. Stellung des Indiv. Syſtem der Autonomie. Eigenthum. §. 31. Spuren des ältern Syſtems bezeichnen: die cura prodigi 179) und die tutela mulierum. 180) Wenn aber jener Geſichtspunkt im Recht auch nicht weiter ſichtbar wird, ſo würde man ſich doch irren, wenn man glaubte, als ob er den Römern fremd geweſen, nicht im römiſchen Leben in freier Weiſe ſich wirkſam gezeigt hätte. Das Recht erfaßt die Perſon allerdings in ihrer abſtracten Iſolirtheit als ein aus dem natürlichen Zuſammen- hange der Familie und der Reihenfolge der Geſchlechter losge- riſſenes ſelbſtändiges Atom, aber das iſt wieder bloß die ab- ſtracte Behandlungsweiſe, mit der ſich die natürliche Anſchau- ung von jenem Zuſammenhange und die Bethätigung derſelben auf dem Wege der Autonomie ſehr wohl vertrug. Den Glanz der Familie aufrecht zu erhalten und zu dem Zweck das Vermö- gen zu conſerviren, vermehren und auf die Nachkommen zu ver- erben, ſchwebte auch dem römiſchen Geſchlechtsſtolz als würdi- ges Ziel vor, 181) wie denn für die Beſchränkung des Erbrechts der Frauen und die Weiber-Tutel ſchwerlich ein anderer Grund aufgefunden werden kann, als die Abſicht, das Vermögen der Familie d. h. dem Mannsſtamm zu erhalten. 182) Nur der Weg, auf dem man es erſtrebte, war ein anderer, als bei uns. Das Vermögen für alle kommenden Generationen an die Familie zu binden, mußte den Römern aus verſchiedenen Gründen (ſ. z. B. 179) S. B. 1, S. 179. Es iſt nicht das Verwerfliche der Verſchwen- dung als ſolcher, durch das dieſe cura motivirt wird, ſondern einer Ver- ſchwendung des Familienguts (quando „bona paterna avitaque disperdis“), das auf die Deſcendenten hätte übergehen können („liberos- que tuos ad egestatem perducis.“ So die Formel bei Paul. Sent. rec. III. 4 a. §. 7). 180) Von ihr wird §. 32 die Rede ſein. 181) So z. B. Val. Max. III. 5. 2: … dolenter enim homines fere- bant, pecuniam, quae Fabiae gentis splendori servire debebat, flagitiis disjici. Nach Ascon. in orat. de toga cand. p. 84. Orelli ward C. Antonius von den Cenſoren aus dem Senat geſtoßen, weil er Schulden halber ſeinen Grundbeſitz veräußert hatte. 182) Labonlaye Recherches sur la condition civile et. politique des femmes. Paris 1843. S. 25, 65 fl.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/169>, abgerufen am 03.05.2024.