Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
thümer keine Beschränkungen auf. 175) Aus baupolizeilichen
Gründen sollte nach den XII Tafeln zwischen den Häusern ein
Zwischenraum von 5 Fuß 176) gelassen werden und verbautes
fremdes Material vom Eigenthümer nicht vindicirt werden dür-
fen, dafür ward letzterem aber eine Klage auf das Doppelte des
Werthes gegeben (act. de tigno juncto).

Damit haben wir die Beschränkungen des Eigenthums,
die dem ältern Recht angehören, genannt. Um sich zu überzeu-
gen, wie verhältnißmäßig unbedeutend sie sind, wie wenig diese
Seite der Gebundenheit des Eigenthums gegenüber der Frei-
heit desselben in Betracht kommt, braucht man letztere nur eines
Blickes zu würdigen. Zunächst und vor allem ist die freie Ver-
äußerlichkeit
des Eigenthums festgehalten, das ältere Recht
kannte keine Veräußerungsverbote, 177) wie das spätere, keine
Befugniß dritter Personen z. B. der Gläubiger im Con-
curse 178) geschehene Veräußerungen zu widerrufen. Ein Ge-
sichtspunkt, der anderwärts mannigfache Beschränkungen des
Veräußerungsrechts wenigstens für unbewegliche Sachen zur
Folge gehabt hat, ist die Rücksicht auf die Familie. Für das
älteste Recht sahen wir uns zu der Annahme veranlaßt (B. 1,
S. 188 fl.), daß der Familie ein gewisses Einspruchsrecht zu-
gestanden habe, für die gegenwärtige Periode hat sich das Ei-
genthum von dem Einfluß des Familienprinzips im Allgemeinen
frei gemacht. Es ließen sich etwa nur noch zwei Punkte als

175) Er kann also z. B. dem Nachbarn Licht und Aussicht verbauen (L. 9
de S. P. U. 8. 2
), ihm das Quellwasser abgraben (L. 24 §. ult. L. 26 de
damn. inf. 39. 2
) u. s. w.
176) Auch bei Ländereien (finis), aber hier hatte er eine religiöse Be-
deutung. Dirksen S. 413.
177) Nur so lange ein Prozeß über die Sache schwebt, soll sie nicht den
Göttern geweiht werden (L. 3 de litig. 44. 6). Das Uebertreten des Ver-
bots hatte die poena dupli zur Folge.
178) Ein sehr wirksames Sicherungsmittel gegen böswillige Veräuße-
rungen des Schuldners lag für sie übrigens in der alten Personalexekution.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
thümer keine Beſchränkungen auf. 175) Aus baupolizeilichen
Gründen ſollte nach den XII Tafeln zwiſchen den Häuſern ein
Zwiſchenraum von 5 Fuß 176) gelaſſen werden und verbautes
fremdes Material vom Eigenthümer nicht vindicirt werden dür-
fen, dafür ward letzterem aber eine Klage auf das Doppelte des
Werthes gegeben (act. de tigno juncto).

Damit haben wir die Beſchränkungen des Eigenthums,
die dem ältern Recht angehören, genannt. Um ſich zu überzeu-
gen, wie verhältnißmäßig unbedeutend ſie ſind, wie wenig dieſe
Seite der Gebundenheit des Eigenthums gegenüber der Frei-
heit deſſelben in Betracht kommt, braucht man letztere nur eines
Blickes zu würdigen. Zunächſt und vor allem iſt die freie Ver-
äußerlichkeit
des Eigenthums feſtgehalten, das ältere Recht
kannte keine Veräußerungsverbote, 177) wie das ſpätere, keine
Befugniß dritter Perſonen z. B. der Gläubiger im Con-
curſe 178) geſchehene Veräußerungen zu widerrufen. Ein Ge-
ſichtspunkt, der anderwärts mannigfache Beſchränkungen des
Veräußerungsrechts wenigſtens für unbewegliche Sachen zur
Folge gehabt hat, iſt die Rückſicht auf die Familie. Für das
älteſte Recht ſahen wir uns zu der Annahme veranlaßt (B. 1,
S. 188 fl.), daß der Familie ein gewiſſes Einſpruchsrecht zu-
geſtanden habe, für die gegenwärtige Periode hat ſich das Ei-
genthum von dem Einfluß des Familienprinzips im Allgemeinen
frei gemacht. Es ließen ſich etwa nur noch zwei Punkte als

175) Er kann alſo z. B. dem Nachbarn Licht und Ausſicht verbauen (L. 9
de S. P. U. 8. 2
), ihm das Quellwaſſer abgraben (L. 24 §. ult. L. 26 de
damn. inf. 39. 2
) u. ſ. w.
176) Auch bei Ländereien (finis), aber hier hatte er eine religiöſe Be-
deutung. Dirkſen S. 413.
177) Nur ſo lange ein Prozeß über die Sache ſchwebt, ſoll ſie nicht den
Göttern geweiht werden (L. 3 de litig. 44. 6). Das Uebertreten des Ver-
bots hatte die poena dupli zur Folge.
178) Ein ſehr wirkſames Sicherungsmittel gegen böswillige Veräuße-
rungen des Schuldners lag für ſie übrigens in der alten Perſonalexekution.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0168" n="154"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Er&#x017F;t. Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/>
thümer keine Be&#x017F;chränkungen auf. <note place="foot" n="175)">Er kann al&#x017F;o z. B. dem Nachbarn Licht und Aus&#x017F;icht verbauen (<hi rendition="#aq">L. 9<lb/>
de S. P. U. 8. 2</hi>), ihm das Quellwa&#x017F;&#x017F;er abgraben (<hi rendition="#aq">L. 24 §. ult. L. 26 de<lb/>
damn. inf. 39. 2</hi>) u. &#x017F;. w.</note> Aus baupolizeilichen<lb/>
Gründen &#x017F;ollte nach den <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln zwi&#x017F;chen den Häu&#x017F;ern ein<lb/>
Zwi&#x017F;chenraum von 5 Fuß <note place="foot" n="176)">Auch bei Ländereien (<hi rendition="#aq">finis</hi>), aber hier hatte er eine religiö&#x017F;e Be-<lb/>
deutung. Dirk&#x017F;en S. 413.</note> gela&#x017F;&#x017F;en werden und verbautes<lb/>
fremdes Material vom Eigenthümer nicht vindicirt werden dür-<lb/>
fen, dafür ward letzterem aber eine Klage auf das Doppelte des<lb/>
Werthes gegeben (<hi rendition="#aq">act. de tigno juncto</hi>).</p><lb/>
                    <p>Damit haben wir die Be&#x017F;chränkungen des Eigenthums,<lb/>
die dem ältern Recht angehören, genannt. Um &#x017F;ich zu überzeu-<lb/>
gen, wie verhältnißmäßig unbedeutend &#x017F;ie &#x017F;ind, wie wenig die&#x017F;e<lb/>
Seite der Gebundenheit des Eigenthums gegenüber der Frei-<lb/>
heit de&#x017F;&#x017F;elben in Betracht kommt, braucht man letztere nur eines<lb/>
Blickes zu würdigen. Zunäch&#x017F;t und vor allem i&#x017F;t die freie <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
äußerlichkeit</hi> des Eigenthums fe&#x017F;tgehalten, das ältere Recht<lb/>
kannte keine Veräußerungsverbote, <note place="foot" n="177)">Nur &#x017F;o lange ein Prozeß über die Sache &#x017F;chwebt, &#x017F;oll &#x017F;ie nicht den<lb/>
Göttern geweiht werden (<hi rendition="#aq">L. 3 de litig. 44. 6</hi>). Das Uebertreten des Ver-<lb/>
bots hatte die <hi rendition="#aq">poena dupli</hi> zur Folge.</note> wie das &#x017F;pätere, keine<lb/>
Befugniß dritter Per&#x017F;onen z. B. der Gläubiger im Con-<lb/>
cur&#x017F;e <note place="foot" n="178)">Ein &#x017F;ehr wirk&#x017F;ames Sicherungsmittel gegen böswillige Veräuße-<lb/>
rungen des Schuldners lag für &#x017F;ie übrigens in der alten Per&#x017F;onalexekution.</note> ge&#x017F;chehene Veräußerungen zu widerrufen. Ein Ge-<lb/>
&#x017F;ichtspunkt, der anderwärts mannigfache Be&#x017F;chränkungen des<lb/>
Veräußerungsrechts wenig&#x017F;tens für unbewegliche Sachen zur<lb/>
Folge gehabt hat, i&#x017F;t die Rück&#x017F;icht auf die Familie. Für das<lb/>
älte&#x017F;te Recht &#x017F;ahen wir uns zu der Annahme veranlaßt (B. 1,<lb/>
S. 188 fl.), daß der Familie ein gewi&#x017F;&#x017F;es Ein&#x017F;pruchsrecht zu-<lb/>
ge&#x017F;tanden habe, für die gegenwärtige Periode hat &#x017F;ich das Ei-<lb/>
genthum von dem Einfluß des Familienprinzips im Allgemeinen<lb/>
frei gemacht. Es ließen &#x017F;ich etwa nur noch zwei Punkte als<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0168] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. thümer keine Beſchränkungen auf. 175) Aus baupolizeilichen Gründen ſollte nach den XII Tafeln zwiſchen den Häuſern ein Zwiſchenraum von 5 Fuß 176) gelaſſen werden und verbautes fremdes Material vom Eigenthümer nicht vindicirt werden dür- fen, dafür ward letzterem aber eine Klage auf das Doppelte des Werthes gegeben (act. de tigno juncto). Damit haben wir die Beſchränkungen des Eigenthums, die dem ältern Recht angehören, genannt. Um ſich zu überzeu- gen, wie verhältnißmäßig unbedeutend ſie ſind, wie wenig dieſe Seite der Gebundenheit des Eigenthums gegenüber der Frei- heit deſſelben in Betracht kommt, braucht man letztere nur eines Blickes zu würdigen. Zunächſt und vor allem iſt die freie Ver- äußerlichkeit des Eigenthums feſtgehalten, das ältere Recht kannte keine Veräußerungsverbote, 177) wie das ſpätere, keine Befugniß dritter Perſonen z. B. der Gläubiger im Con- curſe 178) geſchehene Veräußerungen zu widerrufen. Ein Ge- ſichtspunkt, der anderwärts mannigfache Beſchränkungen des Veräußerungsrechts wenigſtens für unbewegliche Sachen zur Folge gehabt hat, iſt die Rückſicht auf die Familie. Für das älteſte Recht ſahen wir uns zu der Annahme veranlaßt (B. 1, S. 188 fl.), daß der Familie ein gewiſſes Einſpruchsrecht zu- geſtanden habe, für die gegenwärtige Periode hat ſich das Ei- genthum von dem Einfluß des Familienprinzips im Allgemeinen frei gemacht. Es ließen ſich etwa nur noch zwei Punkte als 175) Er kann alſo z. B. dem Nachbarn Licht und Ausſicht verbauen (L. 9 de S. P. U. 8. 2), ihm das Quellwaſſer abgraben (L. 24 §. ult. L. 26 de damn. inf. 39. 2) u. ſ. w. 176) Auch bei Ländereien (finis), aber hier hatte er eine religiöſe Be- deutung. Dirkſen S. 413. 177) Nur ſo lange ein Prozeß über die Sache ſchwebt, ſoll ſie nicht den Göttern geweiht werden (L. 3 de litig. 44. 6). Das Uebertreten des Ver- bots hatte die poena dupli zur Folge. 178) Ein ſehr wirkſames Sicherungsmittel gegen böswillige Veräuße- rungen des Schuldners lag für ſie übrigens in der alten Perſonalexekution.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/168
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/168>, abgerufen am 23.11.2024.