Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.II. Der Gleichheitstrieb. -- Die privatr. Verschiedenheiten. §. 29. mochten sie dieselben durch Statut festsetzen. 102) Es läßt sich alsoannehmen, daß im ältern Rom nicht weniger wie in Deutsch- land die nach Rang, Stand, Beruf u. s. w. verschiedenen In- teressen sich ihre entsprechende rechtliche Befriedigung verschafften, so daß das in Thesi für Alle gleiche Recht doch im Verkehr nach Maßgabe jener Verschiedenheiten eine verschiedene typische Ge- staltung erhielt. Darin aber gehen nun die ältere römische und germanische Rechtsbildung weit auseinander, daß dort diese Produktivität der Autonomie sich nur auf die Begründung der erforderlichen concreten Rechtsverhältnisse beschränkte und trotz der gleichmäßig wiederholten Procedur keine abstracten Rechtssätze abwarf, stets im Zustande der Flüssigkeit verblieb, hier hingegen, begünstigt durch die mangelnde Schärfe der Un- terscheidung zwischen Recht und Sitte, sich rasch als Recht dieses Standes, Kreises u. s. w. fixirte. Die Römer erfaßten den Unterschied zwischen Recht und Sitte, und Recht im objekti- ven und subjektiven Sinn zu scharf, als daß bei ihnen derselbe Hergang möglich gewesen wäre. Bei ihnen hätte es in älterer Zeit 103) zu dem Zweck, um die rechtliche Sitte und Gewohnheit eines Standes u. s. w. zum Recht desselben zu erheben, eines Gesetzes bedurft, die Anwendung dieses Mittels aber widerstritt dem Gleichheitstriebe des ältern Rechts und überhaupt dem Geist desselben. Mochte jedes korporative oder partikuläre In- teresse durch eigne Thätigkeit sich die ihm nöthige Gestaltung selbst verschaffen; was sollte die Gesetzgebung sich hier hinein- mischen? Die rechtlichen Verschiedenheiten der Personen, die das 102) S. Seite 68, Anm. 57. 103) Im dritten Rechtssystem ist dies anders geworden, und von manchen
Rechts sätzen läßt es sich dort nachweisen, daß sie nur die Ablagerung einer constanten autonomischen Gestaltung concreter Rechtsverhältnisse enthalten. II. Der Gleichheitstrieb. — Die privatr. Verſchiedenheiten. §. 29. mochten ſie dieſelben durch Statut feſtſetzen. 102) Es läßt ſich alſoannehmen, daß im ältern Rom nicht weniger wie in Deutſch- land die nach Rang, Stand, Beruf u. ſ. w. verſchiedenen In- tereſſen ſich ihre entſprechende rechtliche Befriedigung verſchafften, ſo daß das in Theſi für Alle gleiche Recht doch im Verkehr nach Maßgabe jener Verſchiedenheiten eine verſchiedene typiſche Ge- ſtaltung erhielt. Darin aber gehen nun die ältere römiſche und germaniſche Rechtsbildung weit auseinander, daß dort dieſe Produktivität der Autonomie ſich nur auf die Begründung der erforderlichen concreten Rechtsverhältniſſe beſchränkte und trotz der gleichmäßig wiederholten Procedur keine abſtracten Rechtsſätze abwarf, ſtets im Zuſtande der Flüſſigkeit verblieb, hier hingegen, begünſtigt durch die mangelnde Schärfe der Un- terſcheidung zwiſchen Recht und Sitte, ſich raſch als Recht dieſes Standes, Kreiſes u. ſ. w. fixirte. Die Römer erfaßten den Unterſchied zwiſchen Recht und Sitte, und Recht im objekti- ven und ſubjektiven Sinn zu ſcharf, als daß bei ihnen derſelbe Hergang möglich geweſen wäre. Bei ihnen hätte es in älterer Zeit 103) zu dem Zweck, um die rechtliche Sitte und Gewohnheit eines Standes u. ſ. w. zum Recht deſſelben zu erheben, eines Geſetzes bedurft, die Anwendung dieſes Mittels aber widerſtritt dem Gleichheitstriebe des ältern Rechts und überhaupt dem Geiſt deſſelben. Mochte jedes korporative oder partikuläre In- tereſſe durch eigne Thätigkeit ſich die ihm nöthige Geſtaltung ſelbſt verſchaffen; was ſollte die Geſetzgebung ſich hier hinein- miſchen? Die rechtlichen Verſchiedenheiten der Perſonen, die das 102) S. Seite 68, Anm. 57. 103) Im dritten Rechtsſyſtem iſt dies anders geworden, und von manchen
Rechts ſätzen läßt es ſich dort nachweiſen, daß ſie nur die Ablagerung einer conſtanten autonomiſchen Geſtaltung concreter Rechtsverhältniſſe enthalten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0115" n="101"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Der Gleichheitstrieb. — Die privatr. Verſchiedenheiten. §. 29.</fw><lb/> mochten ſie dieſelben durch Statut feſtſetzen. <note place="foot" n="102)">S. Seite 68, Anm. 57.</note> Es läßt ſich alſo<lb/> annehmen, daß im ältern Rom nicht weniger wie in Deutſch-<lb/> land die nach Rang, Stand, Beruf u. ſ. w. verſchiedenen In-<lb/> tereſſen ſich ihre entſprechende rechtliche Befriedigung verſchafften,<lb/> ſo daß das in Theſi für Alle gleiche Recht doch im Verkehr nach<lb/> Maßgabe jener Verſchiedenheiten eine verſchiedene typiſche Ge-<lb/> ſtaltung erhielt. Darin aber gehen nun die ältere römiſche und<lb/> germaniſche Rechtsbildung weit auseinander, daß dort dieſe<lb/> Produktivität der Autonomie ſich nur auf die Begründung der<lb/> erforderlichen <hi rendition="#g">concreten Rechtsverhältniſſe</hi> beſchränkte<lb/> und trotz der gleichmäßig wiederholten Procedur keine abſtracten<lb/> Rechtsſätze abwarf, ſtets im Zuſtande der Flüſſigkeit verblieb,<lb/> hier hingegen, begünſtigt durch die mangelnde Schärfe der Un-<lb/> terſcheidung zwiſchen Recht und Sitte, ſich raſch als Recht<lb/><hi rendition="#g">dieſes</hi> Standes, Kreiſes u. ſ. w. fixirte. Die Römer erfaßten<lb/> den Unterſchied zwiſchen Recht und Sitte, und Recht im objekti-<lb/> ven und ſubjektiven Sinn zu ſcharf, als daß bei ihnen derſelbe<lb/> Hergang möglich geweſen wäre. Bei ihnen hätte es in älterer<lb/> Zeit <note place="foot" n="103)">Im dritten Rechtsſyſtem iſt dies anders geworden, und von manchen<lb/> Rechts <hi rendition="#g">ſätzen</hi> läßt es ſich dort nachweiſen, daß ſie nur die Ablagerung einer<lb/> conſtanten autonomiſchen Geſtaltung concreter Rechtsverhältniſſe enthalten.</note> zu dem Zweck, um die rechtliche Sitte und Gewohnheit<lb/> eines Standes u. ſ. w. zum Recht deſſelben zu erheben, eines<lb/> Geſetzes bedurft, die Anwendung dieſes Mittels aber widerſtritt<lb/> dem Gleichheitstriebe des ältern Rechts und überhaupt dem<lb/> Geiſt deſſelben. Mochte jedes korporative oder partikuläre In-<lb/> tereſſe durch eigne Thätigkeit ſich die ihm nöthige Geſtaltung<lb/> ſelbſt verſchaffen; was ſollte die Geſetzgebung ſich hier hinein-<lb/> miſchen?</p><lb/> <p>Die rechtlichen Verſchiedenheiten der Perſonen, die das<lb/> ältere Recht wirklich darbietet, und die ſich, wie bereits erwähnt,<lb/> vorzugsweiſe an natürliche Unterſchiede anknüpfen, ſind weder<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0115]
II. Der Gleichheitstrieb. — Die privatr. Verſchiedenheiten. §. 29.
mochten ſie dieſelben durch Statut feſtſetzen. 102) Es läßt ſich alſo
annehmen, daß im ältern Rom nicht weniger wie in Deutſch-
land die nach Rang, Stand, Beruf u. ſ. w. verſchiedenen In-
tereſſen ſich ihre entſprechende rechtliche Befriedigung verſchafften,
ſo daß das in Theſi für Alle gleiche Recht doch im Verkehr nach
Maßgabe jener Verſchiedenheiten eine verſchiedene typiſche Ge-
ſtaltung erhielt. Darin aber gehen nun die ältere römiſche und
germaniſche Rechtsbildung weit auseinander, daß dort dieſe
Produktivität der Autonomie ſich nur auf die Begründung der
erforderlichen concreten Rechtsverhältniſſe beſchränkte
und trotz der gleichmäßig wiederholten Procedur keine abſtracten
Rechtsſätze abwarf, ſtets im Zuſtande der Flüſſigkeit verblieb,
hier hingegen, begünſtigt durch die mangelnde Schärfe der Un-
terſcheidung zwiſchen Recht und Sitte, ſich raſch als Recht
dieſes Standes, Kreiſes u. ſ. w. fixirte. Die Römer erfaßten
den Unterſchied zwiſchen Recht und Sitte, und Recht im objekti-
ven und ſubjektiven Sinn zu ſcharf, als daß bei ihnen derſelbe
Hergang möglich geweſen wäre. Bei ihnen hätte es in älterer
Zeit 103) zu dem Zweck, um die rechtliche Sitte und Gewohnheit
eines Standes u. ſ. w. zum Recht deſſelben zu erheben, eines
Geſetzes bedurft, die Anwendung dieſes Mittels aber widerſtritt
dem Gleichheitstriebe des ältern Rechts und überhaupt dem
Geiſt deſſelben. Mochte jedes korporative oder partikuläre In-
tereſſe durch eigne Thätigkeit ſich die ihm nöthige Geſtaltung
ſelbſt verſchaffen; was ſollte die Geſetzgebung ſich hier hinein-
miſchen?
Die rechtlichen Verſchiedenheiten der Perſonen, die das
ältere Recht wirklich darbietet, und die ſich, wie bereits erwähnt,
vorzugsweiſe an natürliche Unterſchiede anknüpfen, ſind weder
102) S. Seite 68, Anm. 57.
103) Im dritten Rechtsſyſtem iſt dies anders geworden, und von manchen
Rechts ſätzen läßt es ſich dort nachweiſen, daß ſie nur die Ablagerung einer
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