Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. auch auf besondere Lebenslagen (z. B. Abwesenheit, Armuthu. s. w.) gar keine Rücksicht. Es ist unter diesem Eindruck des ältern Rechts, daß Livius in der oben angeführten Stelle die Decemvirn sagen läßt: se omnibus summis infimisque jura exaequasse. Die strenge Regel, die einmal gilt, schreckt vor kei- nem Verhältniß zurück (z. B. die Personalexecution geht gegen Verwandte mit derselben Härte, wie gegen Fremde), Aus- nahmen sind dem ältern Recht fast gänzlich unbe- kannt. Der Gleichheitstrieb desselben äußert sich also -- und dies Nachdem wir jetzt das Wesen der ältern Gleichheit im All- Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. auch auf beſondere Lebenslagen (z. B. Abweſenheit, Armuthu. ſ. w.) gar keine Rückſicht. Es iſt unter dieſem Eindruck des ältern Rechts, daß Livius in der oben angeführten Stelle die Decemvirn ſagen läßt: se omnibus summis infimisque jura exaequasse. Die ſtrenge Regel, die einmal gilt, ſchreckt vor kei- nem Verhältniß zurück (z. B. die Perſonalexecution geht gegen Verwandte mit derſelben Härte, wie gegen Fremde), Aus- nahmen ſind dem ältern Recht faſt gänzlich unbe- kannt. Der Gleichheitstrieb deſſelben äußert ſich alſo — und dies Nachdem wir jetzt das Weſen der ältern Gleichheit im All- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0110" n="96"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw><lb/> auch auf beſondere Lebenslagen (z. B. Abweſenheit, Armuth<lb/> u. ſ. w.) gar keine Rückſicht. Es iſt unter dieſem Eindruck des<lb/> ältern Rechts, daß Livius in der oben angeführten Stelle die<lb/> Decemvirn ſagen läßt: <hi rendition="#aq">se omnibus summis infimisque jura<lb/> exaequasse.</hi> Die ſtrenge Regel, die einmal gilt, ſchreckt vor kei-<lb/> nem Verhältniß zurück (z. B. die Perſonalexecution geht gegen<lb/> Verwandte mit derſelben Härte, wie gegen Fremde), <hi rendition="#g">Aus-<lb/> nahmen ſind dem ältern Recht faſt gänzlich unbe-<lb/> kannt</hi>.</p><lb/> <p>Der Gleichheitstrieb deſſelben äußert ſich alſo — und dies<lb/> iſt das zweite Moment zu ſeiner Beſtimmung — auch darin,<lb/> daß daſſelbe bei ſeiner Generaliſirung die möglichſte Allgemein-<lb/> heit und Weite erſtrebt, ſich möglichſt wenig zum Partikulari-<lb/> ſiren herabläßt. Während andere Rechte z. B. das germa-<lb/> niſche mehr das Moment der Partikularität und Beſonderheit<lb/> ins Auge faſſen, und darüber das der Gemeinſamkeit aus dem<lb/> Auge verlieren, macht das ältere römiſche Recht es gerade um-<lb/> gekehrt. Wenn wir nun den Gleichheitstrieb des ältern Rechts<lb/> als eine charakteriſtiſche Eigenſchaft deſſelben bezeichnet haben,<lb/> ſo bedarf der Sinn, in dem hier der Ausdruck Gleichheit genom-<lb/> men wird, dem bisherigen nach die nähere Beſtimmung, daß es<lb/> nicht die wahre und ächte Gleichheit iſt, jene Gleichheit, die ſich<lb/> eben dadurch als ſolche bewährt, daß ſie den Verſchiedenheiten<lb/> gerecht wird, daß ſie partikulariſirt und individualiſirt — ſon-<lb/> dern eine mechaniſche Gleichheit, bei der ſich die innern Ver-<lb/> ſchiedenheiten der rückſichtsloſen Durchführung allgemeiner Ab-<lb/> ſtractionen fügen und beugen müſſen.</p><lb/> <p>Nachdem wir jetzt das Weſen der ältern Gleichheit im All-<lb/> gemeinen beſtimmt haben, wird es an der Zeit ſein, das Walten<lb/> derſelben im Einzelnen etwas näher ins Auge zu faſſen und<lb/> zwar zuerſt in politiſcher, ſodann in privatrechtlicher Beziehung.<lb/> In beiderlei Rückſicht war die Geſchichte des Kampfes der Pa-<lb/> tricier und Plebejer höchſt bedeutungsvoll, und wie es denn faſt<lb/> keine Seite der ältern Rechtsgeſchichte gibt, auf der dieſer Kampf<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0110]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
auch auf beſondere Lebenslagen (z. B. Abweſenheit, Armuth
u. ſ. w.) gar keine Rückſicht. Es iſt unter dieſem Eindruck des
ältern Rechts, daß Livius in der oben angeführten Stelle die
Decemvirn ſagen läßt: se omnibus summis infimisque jura
exaequasse. Die ſtrenge Regel, die einmal gilt, ſchreckt vor kei-
nem Verhältniß zurück (z. B. die Perſonalexecution geht gegen
Verwandte mit derſelben Härte, wie gegen Fremde), Aus-
nahmen ſind dem ältern Recht faſt gänzlich unbe-
kannt.
Der Gleichheitstrieb deſſelben äußert ſich alſo — und dies
iſt das zweite Moment zu ſeiner Beſtimmung — auch darin,
daß daſſelbe bei ſeiner Generaliſirung die möglichſte Allgemein-
heit und Weite erſtrebt, ſich möglichſt wenig zum Partikulari-
ſiren herabläßt. Während andere Rechte z. B. das germa-
niſche mehr das Moment der Partikularität und Beſonderheit
ins Auge faſſen, und darüber das der Gemeinſamkeit aus dem
Auge verlieren, macht das ältere römiſche Recht es gerade um-
gekehrt. Wenn wir nun den Gleichheitstrieb des ältern Rechts
als eine charakteriſtiſche Eigenſchaft deſſelben bezeichnet haben,
ſo bedarf der Sinn, in dem hier der Ausdruck Gleichheit genom-
men wird, dem bisherigen nach die nähere Beſtimmung, daß es
nicht die wahre und ächte Gleichheit iſt, jene Gleichheit, die ſich
eben dadurch als ſolche bewährt, daß ſie den Verſchiedenheiten
gerecht wird, daß ſie partikulariſirt und individualiſirt — ſon-
dern eine mechaniſche Gleichheit, bei der ſich die innern Ver-
ſchiedenheiten der rückſichtsloſen Durchführung allgemeiner Ab-
ſtractionen fügen und beugen müſſen.
Nachdem wir jetzt das Weſen der ältern Gleichheit im All-
gemeinen beſtimmt haben, wird es an der Zeit ſein, das Walten
derſelben im Einzelnen etwas näher ins Auge zu faſſen und
zwar zuerſt in politiſcher, ſodann in privatrechtlicher Beziehung.
In beiderlei Rückſicht war die Geſchichte des Kampfes der Pa-
tricier und Plebejer höchſt bedeutungsvoll, und wie es denn faſt
keine Seite der ältern Rechtsgeſchichte gibt, auf der dieſer Kampf
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