Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.II. Der Gleichheitstrieb -- Effektive u. rechtliche Gleichheit. §. 29. zugt werde, das ist es, was die römische Gleichheit will. DieUngleichheit des Resultats, die die natürliche Folge der Ver- schiedenheit der Kräfte ist, oder die durch die Zwecke des Staats bedingt wird, hat für die Römer nichts Verletzendes. Ungleich- heit in der Lebensstellung, Rang, Stand, Ehre, politischem Einfluß, Vermögen u. s. w. erschien dem Römer nicht als ein Verstoß gegen das republikanische Prinzip. Willig zollte er jenen Vorzügen seine Achtung, und von einem Hasse gegen die Besitzenden, dieser traurigen Erscheinung der heutigen Zeit, findet sich keine Spur. Der Grund lag darin, daß diese Ver- schiedenheiten in Rom das natürliche Produkt freier Entwick- lung waren. Wo sie dies sind, haben sie nichts Gehässiges; sie können nur da in einem solchen Lichte erscheinen, wo sie durch künstliche Mittel d. h. durch Privilegien hervorgerufen oder ge- schützt sind, wo also das Uebergewicht des Einen durch eine Zurücksetzung des Andern bewerkstelligt ist. Hier kann aller- dings das an sich völlig berechtigte Gefühl der Gleichheit, durch die Mißachtung, die es erfährt, gestachelt, sich in Haß und Groll gegen die Besitzenden verkehren, das Phantom der falschen, wi- dersinnigen Gleichheit bei den Massen Eingang finden, wäh- rend ein wahrhaft freies Volk von demselben nichts zu befürch- ten hat. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist durch die Idee der Gerech- 89) Aequitas, quae paribus in causis paria jura desiderat. Cicero Topic. c. 4. 90) Annal. III. 27. In demselben Sinn, in welchem Liv. III. 34 die
Decemvirn von den XII Tafeln sagen läßt: se omnibus summis infimisque jura exaequasse. II. Der Gleichheitstrieb — Effektive u. rechtliche Gleichheit. §. 29. zugt werde, das iſt es, was die römiſche Gleichheit will. DieUngleichheit des Reſultats, die die natürliche Folge der Ver- ſchiedenheit der Kräfte iſt, oder die durch die Zwecke des Staats bedingt wird, hat für die Römer nichts Verletzendes. Ungleich- heit in der Lebensſtellung, Rang, Stand, Ehre, politiſchem Einfluß, Vermögen u. ſ. w. erſchien dem Römer nicht als ein Verſtoß gegen das republikaniſche Prinzip. Willig zollte er jenen Vorzügen ſeine Achtung, und von einem Haſſe gegen die Beſitzenden, dieſer traurigen Erſcheinung der heutigen Zeit, findet ſich keine Spur. Der Grund lag darin, daß dieſe Ver- ſchiedenheiten in Rom das natürliche Produkt freier Entwick- lung waren. Wo ſie dies ſind, haben ſie nichts Gehäſſiges; ſie können nur da in einem ſolchen Lichte erſcheinen, wo ſie durch künſtliche Mittel d. h. durch Privilegien hervorgerufen oder ge- ſchützt ſind, wo alſo das Uebergewicht des Einen durch eine Zurückſetzung des Andern bewerkſtelligt iſt. Hier kann aller- dings das an ſich völlig berechtigte Gefühl der Gleichheit, durch die Mißachtung, die es erfährt, geſtachelt, ſich in Haß und Groll gegen die Beſitzenden verkehren, das Phantom der falſchen, wi- derſinnigen Gleichheit bei den Maſſen Eingang finden, wäh- rend ein wahrhaft freies Volk von demſelben nichts zu befürch- ten hat. Die Gleichheit vor dem Geſetz iſt durch die Idee der Gerech- 89) Aequitas, quae paribus in causis paria jura desiderat. Cicero Topic. c. 4. 90) Annal. III. 27. In demſelben Sinn, in welchem Liv. III. 34 die
Decemvirn von den XII Tafeln ſagen läßt: se omnibus summis infimisque jura exaequasse. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0103" n="89"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Der Gleichheitstrieb — Effektive u. rechtliche Gleichheit. §. 29.</fw><lb/> zugt werde, das iſt es, was die römiſche Gleichheit will. Die<lb/> Ungleichheit des Reſultats, die die natürliche Folge der Ver-<lb/> ſchiedenheit der Kräfte iſt, oder die durch die Zwecke des Staats<lb/> bedingt wird, hat für die Römer nichts Verletzendes. Ungleich-<lb/> heit in der Lebensſtellung, Rang, Stand, Ehre, politiſchem<lb/> Einfluß, Vermögen u. ſ. w. erſchien dem Römer nicht als ein<lb/> Verſtoß gegen das republikaniſche Prinzip. Willig zollte er<lb/> jenen Vorzügen ſeine Achtung, und von einem Haſſe gegen die<lb/> Beſitzenden, dieſer traurigen Erſcheinung der heutigen Zeit,<lb/> findet ſich keine Spur. Der Grund lag darin, daß dieſe Ver-<lb/> ſchiedenheiten in Rom das natürliche Produkt freier Entwick-<lb/> lung waren. Wo ſie dies ſind, haben ſie nichts Gehäſſiges; ſie<lb/> können nur da in einem ſolchen Lichte erſcheinen, wo ſie durch<lb/> künſtliche Mittel d. h. durch Privilegien <choice><sic>hervorgerufeu</sic><corr>hervorgerufen</corr></choice> oder ge-<lb/> ſchützt ſind, wo alſo das Uebergewicht des Einen durch eine<lb/> Zurückſetzung des Andern bewerkſtelligt iſt. Hier kann aller-<lb/> dings das an ſich völlig berechtigte Gefühl der Gleichheit, durch<lb/> die Mißachtung, die es erfährt, geſtachelt, ſich in Haß und Groll<lb/> gegen die Beſitzenden verkehren, das Phantom der falſchen, wi-<lb/> derſinnigen Gleichheit bei den Maſſen Eingang finden, wäh-<lb/> rend ein wahrhaft freies Volk von demſelben nichts zu befürch-<lb/> ten hat.</p><lb/> <p>Die Gleichheit vor dem Geſetz iſt durch die Idee der Gerech-<lb/> tigkeit geboten; das ſeiner Natur nach Gleiche ſoll auch vom<lb/> Geſetz gleich behandelt werden. Aber was iſt gleich? Das ältere<lb/> römiſche Recht ſtrebt nicht weniger wie das neuere, die Gleich-<lb/> heit (<hi rendition="#aq">aequum jus, aequitas</hi>)<note place="foot" n="89)"><hi rendition="#aq">Aequitas, quae paribus in causis paria jura desiderat. Cicero<lb/> Topic. c. 4.</hi></note> herzuſtellen, aber wie unendlich<lb/> verſchieden iſt die <hi rendition="#aq">aequitas</hi> im Sinne des neuern Rechts von der<lb/> im Sinne des ältern (in jenem Sinn, in welchem Tacitus<note place="foot" n="90)"><hi rendition="#aq">Annal. III.</hi> 27. In demſelben Sinn, in welchem <hi rendition="#aq">Liv. III.</hi> 34 die<lb/> Decemvirn von den <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln ſagen läßt: <hi rendition="#aq">se omnibus summis infimisque<lb/> jura exaequasse.</hi></note> die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0103]
II. Der Gleichheitstrieb — Effektive u. rechtliche Gleichheit. §. 29.
zugt werde, das iſt es, was die römiſche Gleichheit will. Die
Ungleichheit des Reſultats, die die natürliche Folge der Ver-
ſchiedenheit der Kräfte iſt, oder die durch die Zwecke des Staats
bedingt wird, hat für die Römer nichts Verletzendes. Ungleich-
heit in der Lebensſtellung, Rang, Stand, Ehre, politiſchem
Einfluß, Vermögen u. ſ. w. erſchien dem Römer nicht als ein
Verſtoß gegen das republikaniſche Prinzip. Willig zollte er
jenen Vorzügen ſeine Achtung, und von einem Haſſe gegen die
Beſitzenden, dieſer traurigen Erſcheinung der heutigen Zeit,
findet ſich keine Spur. Der Grund lag darin, daß dieſe Ver-
ſchiedenheiten in Rom das natürliche Produkt freier Entwick-
lung waren. Wo ſie dies ſind, haben ſie nichts Gehäſſiges; ſie
können nur da in einem ſolchen Lichte erſcheinen, wo ſie durch
künſtliche Mittel d. h. durch Privilegien hervorgerufen oder ge-
ſchützt ſind, wo alſo das Uebergewicht des Einen durch eine
Zurückſetzung des Andern bewerkſtelligt iſt. Hier kann aller-
dings das an ſich völlig berechtigte Gefühl der Gleichheit, durch
die Mißachtung, die es erfährt, geſtachelt, ſich in Haß und Groll
gegen die Beſitzenden verkehren, das Phantom der falſchen, wi-
derſinnigen Gleichheit bei den Maſſen Eingang finden, wäh-
rend ein wahrhaft freies Volk von demſelben nichts zu befürch-
ten hat.
Die Gleichheit vor dem Geſetz iſt durch die Idee der Gerech-
tigkeit geboten; das ſeiner Natur nach Gleiche ſoll auch vom
Geſetz gleich behandelt werden. Aber was iſt gleich? Das ältere
römiſche Recht ſtrebt nicht weniger wie das neuere, die Gleich-
heit (aequum jus, aequitas) 89) herzuſtellen, aber wie unendlich
verſchieden iſt die aequitas im Sinne des neuern Rechts von der
im Sinne des ältern (in jenem Sinn, in welchem Tacitus 90) die
89) Aequitas, quae paribus in causis paria jura desiderat. Cicero
Topic. c. 4.
90) Annal. III. 27. In demſelben Sinn, in welchem Liv. III. 34 die
Decemvirn von den XII Tafeln ſagen läßt: se omnibus summis infimisque
jura exaequasse.
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