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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Einleitung -- Plan der folgenden Darstellung.
beim Beginn der römischen Geschichte auftritt, enthält noch den
Grundzug jeglicher Anfangsbildung in sich, nämlich die Unun-
terschiedenheit, die Gebundenheit der inneren Verschiedenheiten.
Recht und Religion, öffentliches und Privat-Recht, Staat und
Individuum schlummern noch friedlich neben einander, haben
sich noch nicht von einander geschieden, um jeder in seinem
Kreise sich selbständig zum Besten des Ganzen zu bewegen.
Das öffentliche Recht trägt einen privatrechtlichen, das Privat-
recht einen öffentlichen Charakter, die Religion ist an das Recht
und das Recht an die Religion gefesselt. Das ganze System ist
nichts weiter als eine Erweiterung und Versteinerung der Fa-
milie, die Conservirung und Ausbildung der Familienverbin-
dung zu rechtlichen Zwecken und die Beibehaltung jener Unun-
terschiedenheit, in welcher in der Familie Religion, Sittlichkeit,
Gemeinschaft, Individuum neben einander auftreten.

Die wandernden Germanen mochten noch ein Jahrtausend
auf dieser niedersten Stufe stehen bleiben, aber das römische
Volk, das eine Begabung zur Cultur des Rechts in sich trug,
wie kein anderes, ließ sie bald hinter sich und legte in unserm
zweiten System, dessen Bildung bereits in der zweiten Hälfte
der Königszeit beginnt, eine glänzende Probe dieser Befähigung
ab. Dies System zeigt uns zunächst die Aufhebung jenes
Zustandes der Ununterschiedenheit. Recht und Religion, Staat
und Individuum sondern sich, und innerhalb der einzelnen Theile
des Rechts setzt sich der Sonderungsprozeß mit der höchsten
Meisterschaft fort und treibt hier im einzelnen Bildungen her-
vor, die durch die Schärfe ihres Gegensatzes in Form wie Kern,
durch die Fülle und ungebrochene Consequenz ihres Inhaltes,
kurz durch ihre scharfgeprägte Individualität den Eindruck pla-
stischer Gestalten machen. Was in diesem System zur Erschei-
nung kömmt, das ist kernig, wie die Römer jener Zeit selbst;

fassungsgeschichte B. I. hat den Einfluß des Familienprinzips, das jener
Schriftsteller mit Recht an die Spitze stellt, zu gering angeschlagen.

Einleitung — Plan der folgenden Darſtellung.
beim Beginn der römiſchen Geſchichte auftritt, enthält noch den
Grundzug jeglicher Anfangsbildung in ſich, nämlich die Unun-
terſchiedenheit, die Gebundenheit der inneren Verſchiedenheiten.
Recht und Religion, öffentliches und Privat-Recht, Staat und
Individuum ſchlummern noch friedlich neben einander, haben
ſich noch nicht von einander geſchieden, um jeder in ſeinem
Kreiſe ſich ſelbſtändig zum Beſten des Ganzen zu bewegen.
Das öffentliche Recht trägt einen privatrechtlichen, das Privat-
recht einen öffentlichen Charakter, die Religion iſt an das Recht
und das Recht an die Religion gefeſſelt. Das ganze Syſtem iſt
nichts weiter als eine Erweiterung und Verſteinerung der Fa-
milie, die Conſervirung und Ausbildung der Familienverbin-
dung zu rechtlichen Zwecken und die Beibehaltung jener Unun-
terſchiedenheit, in welcher in der Familie Religion, Sittlichkeit,
Gemeinſchaft, Individuum neben einander auftreten.

Die wandernden Germanen mochten noch ein Jahrtauſend
auf dieſer niederſten Stufe ſtehen bleiben, aber das römiſche
Volk, das eine Begabung zur Cultur des Rechts in ſich trug,
wie kein anderes, ließ ſie bald hinter ſich und legte in unſerm
zweiten Syſtem, deſſen Bildung bereits in der zweiten Hälfte
der Königszeit beginnt, eine glänzende Probe dieſer Befähigung
ab. Dies Syſtem zeigt uns zunächſt die Aufhebung jenes
Zuſtandes der Ununterſchiedenheit. Recht und Religion, Staat
und Individuum ſondern ſich, und innerhalb der einzelnen Theile
des Rechts ſetzt ſich der Sonderungsprozeß mit der höchſten
Meiſterſchaft fort und treibt hier im einzelnen Bildungen her-
vor, die durch die Schärfe ihres Gegenſatzes in Form wie Kern,
durch die Fülle und ungebrochene Conſequenz ihres Inhaltes,
kurz durch ihre ſcharfgeprägte Individualität den Eindruck pla-
ſtiſcher Geſtalten machen. Was in dieſem Syſtem zur Erſchei-
nung kömmt, das iſt kernig, wie die Römer jener Zeit ſelbſt;

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[78/0096] Einleitung — Plan der folgenden Darſtellung. beim Beginn der römiſchen Geſchichte auftritt, enthält noch den Grundzug jeglicher Anfangsbildung in ſich, nämlich die Unun- terſchiedenheit, die Gebundenheit der inneren Verſchiedenheiten. Recht und Religion, öffentliches und Privat-Recht, Staat und Individuum ſchlummern noch friedlich neben einander, haben ſich noch nicht von einander geſchieden, um jeder in ſeinem Kreiſe ſich ſelbſtändig zum Beſten des Ganzen zu bewegen. Das öffentliche Recht trägt einen privatrechtlichen, das Privat- recht einen öffentlichen Charakter, die Religion iſt an das Recht und das Recht an die Religion gefeſſelt. Das ganze Syſtem iſt nichts weiter als eine Erweiterung und Verſteinerung der Fa- milie, die Conſervirung und Ausbildung der Familienverbin- dung zu rechtlichen Zwecken und die Beibehaltung jener Unun- terſchiedenheit, in welcher in der Familie Religion, Sittlichkeit, Gemeinſchaft, Individuum neben einander auftreten. Die wandernden Germanen mochten noch ein Jahrtauſend auf dieſer niederſten Stufe ſtehen bleiben, aber das römiſche Volk, das eine Begabung zur Cultur des Rechts in ſich trug, wie kein anderes, ließ ſie bald hinter ſich und legte in unſerm zweiten Syſtem, deſſen Bildung bereits in der zweiten Hälfte der Königszeit beginnt, eine glänzende Probe dieſer Befähigung ab. Dies Syſtem zeigt uns zunächſt die Aufhebung jenes Zuſtandes der Ununterſchiedenheit. Recht und Religion, Staat und Individuum ſondern ſich, und innerhalb der einzelnen Theile des Rechts ſetzt ſich der Sonderungsprozeß mit der höchſten Meiſterſchaft fort und treibt hier im einzelnen Bildungen her- vor, die durch die Schärfe ihres Gegenſatzes in Form wie Kern, durch die Fülle und ungebrochene Conſequenz ihres Inhaltes, kurz durch ihre ſcharfgeprägte Individualität den Eindruck pla- ſtiſcher Geſtalten machen. Was in dieſem Syſtem zur Erſchei- nung kömmt, das iſt kernig, wie die Römer jener Zeit ſelbſt; 33) 33) faſſungsgeſchichte B. I. hat den Einfluß des Familienprinzips, das jener Schriftſteller mit Recht an die Spitze ſtellt, zu gering angeſchlagen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/96>, abgerufen am 25.11.2024.