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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Einleitung -- die Methode.
ter erkennbaren Voraussetzung wird also durch den Zweck des
Rechts, durch die wünschenswerthe Leichtigkeit und Sicherheit
seiner Functionirung geboten. Möge es auch in der Anwendung
hie und da zu Mißverhältnissen führen, in unserm Beispiel also
die Volljährigkeit und Wahlfähigkeit in einzelnen Fällen aus-
geschlossen oder gegeben sein, wo sie es der abstracten Idee nach
nicht sollte; immer wird jene Behandlungsweise vom Stand-
punkt des Lebens aus den Vorzug verdienen, und dieser Stand-
punkt ist ja für das Recht der allein richtige.

Der Gedanke der formalen Realisirbarkeit des Rechts ist
also ein der logischen Innerlichkeit der Rechtsbegriffe fremdes
Prinzip, das die freie Entwicklung derselben vielfach modificirt
und beeinträchtigt. Dieses Prinzip zwingt dazu, die Innerlich-
keit des Begriffes auf die Außenseite zu verlegen, für die inneren
Unterschiede und Begriffe äußere möglichst zutreffende Kriterien
aufzusuchen, kurz es führt zur Ausbildung einer juristischen
Symptomatik
. Als einzelne Ausflüsse dieses Prinzips mögen
hier außer der so eben besprochenen Veräußerlichung der "Vor-
aussetzungen" und der damit auf gleicher Linie stehenden Ver-
äußerlichung der "Folgen" 21) noch genannt werden die gesetzli-
chen Präsumtionen, 22) die durch Gegenbeweis entkräftet
werden können, die Fictionen, 23) bei denen diese Möglich-
keit ausgeschlossen ist, die Formen der Rechtsgeschäfte 24) u. s. w.

21) Z. B. statt der Zuerkennung des im einzelnen Falle erst zu liquidi-
renden Interesses die Annahme eines Aversionalquantums (im römischen
Recht Verzugszinsen, duplum des Werthes der Sache und der Früchte, be-
stimmte Geldstrafe, sponsio tertiae partis, Uebertragung des Besitzes zur
Strafe, fructus licitatio u. s. w.)
22) Die bona fides wird bei der Usucapion präsumirt, bis das Gegentheil
erwiesen ist, die ununterbrochene Fortdauer des Besitzes, ein anderes Re-
quisit der Usucapion, wird angenommen, wenn das Vorhandensein des Besitzes
zu einzelnen Zeitpunkten dargethan werden kann.
23) Z. B. Fiction der Zahlung, wenn Jemand eine vor längerer Zeit
ausgestellte Quittung producirt.
24) Z. B. beim Testament. Ohne solche Formen würde die Frage, ob

Einleitung — die Methode.
ter erkennbaren Vorausſetzung wird alſo durch den Zweck des
Rechts, durch die wünſchenswerthe Leichtigkeit und Sicherheit
ſeiner Functionirung geboten. Möge es auch in der Anwendung
hie und da zu Mißverhältniſſen führen, in unſerm Beiſpiel alſo
die Volljährigkeit und Wahlfähigkeit in einzelnen Fällen aus-
geſchloſſen oder gegeben ſein, wo ſie es der abſtracten Idee nach
nicht ſollte; immer wird jene Behandlungsweiſe vom Stand-
punkt des Lebens aus den Vorzug verdienen, und dieſer Stand-
punkt iſt ja für das Recht der allein richtige.

Der Gedanke der formalen Realiſirbarkeit des Rechts iſt
alſo ein der logiſchen Innerlichkeit der Rechtsbegriffe fremdes
Prinzip, das die freie Entwicklung derſelben vielfach modificirt
und beeinträchtigt. Dieſes Prinzip zwingt dazu, die Innerlich-
keit des Begriffes auf die Außenſeite zu verlegen, für die inneren
Unterſchiede und Begriffe äußere möglichſt zutreffende Kriterien
aufzuſuchen, kurz es führt zur Ausbildung einer juriſtiſchen
Symptomatik
. Als einzelne Ausflüſſe dieſes Prinzips mögen
hier außer der ſo eben beſprochenen Veräußerlichung der „Vor-
ausſetzungen“ und der damit auf gleicher Linie ſtehenden Ver-
äußerlichung der „Folgen“ 21) noch genannt werden die geſetzli-
chen Präſumtionen, 22) die durch Gegenbeweis entkräftet
werden können, die Fictionen, 23) bei denen dieſe Möglich-
keit ausgeſchloſſen iſt, die Formen der Rechtsgeſchäfte 24) u. ſ. w.

21) Z. B. ſtatt der Zuerkennung des im einzelnen Falle erſt zu liquidi-
renden Intereſſes die Annahme eines Averſionalquantums (im römiſchen
Recht Verzugszinſen, duplum des Werthes der Sache und der Früchte, be-
ſtimmte Geldſtrafe, sponsio tertiae partis, Uebertragung des Beſitzes zur
Strafe, fructus licitatio u. ſ. w.)
22) Die bona fides wird bei der Uſucapion präſumirt, bis das Gegentheil
erwieſen iſt, die ununterbrochene Fortdauer des Beſitzes, ein anderes Re-
quiſit der Uſucapion, wird angenommen, wenn das Vorhandenſein des Beſitzes
zu einzelnen Zeitpunkten dargethan werden kann.
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[46/0064] Einleitung — die Methode. ter erkennbaren Vorausſetzung wird alſo durch den Zweck des Rechts, durch die wünſchenswerthe Leichtigkeit und Sicherheit ſeiner Functionirung geboten. Möge es auch in der Anwendung hie und da zu Mißverhältniſſen führen, in unſerm Beiſpiel alſo die Volljährigkeit und Wahlfähigkeit in einzelnen Fällen aus- geſchloſſen oder gegeben ſein, wo ſie es der abſtracten Idee nach nicht ſollte; immer wird jene Behandlungsweiſe vom Stand- punkt des Lebens aus den Vorzug verdienen, und dieſer Stand- punkt iſt ja für das Recht der allein richtige. Der Gedanke der formalen Realiſirbarkeit des Rechts iſt alſo ein der logiſchen Innerlichkeit der Rechtsbegriffe fremdes Prinzip, das die freie Entwicklung derſelben vielfach modificirt und beeinträchtigt. Dieſes Prinzip zwingt dazu, die Innerlich- keit des Begriffes auf die Außenſeite zu verlegen, für die inneren Unterſchiede und Begriffe äußere möglichſt zutreffende Kriterien aufzuſuchen, kurz es führt zur Ausbildung einer juriſtiſchen Symptomatik. Als einzelne Ausflüſſe dieſes Prinzips mögen hier außer der ſo eben beſprochenen Veräußerlichung der „Vor- ausſetzungen“ und der damit auf gleicher Linie ſtehenden Ver- äußerlichung der „Folgen“ 21) noch genannt werden die geſetzli- chen Präſumtionen, 22) die durch Gegenbeweis entkräftet werden können, die Fictionen, 23) bei denen dieſe Möglich- keit ausgeſchloſſen iſt, die Formen der Rechtsgeſchäfte 24) u. ſ. w. 21) Z. B. ſtatt der Zuerkennung des im einzelnen Falle erſt zu liquidi- renden Intereſſes die Annahme eines Averſionalquantums (im römiſchen Recht Verzugszinſen, duplum des Werthes der Sache und der Früchte, be- ſtimmte Geldſtrafe, sponsio tertiae partis, Uebertragung des Beſitzes zur Strafe, fructus licitatio u. ſ. w.) 22) Die bona fides wird bei der Uſucapion präſumirt, bis das Gegentheil erwieſen iſt, die ununterbrochene Fortdauer des Beſitzes, ein anderes Re- quiſit der Uſucapion, wird angenommen, wenn das Vorhandenſein des Beſitzes zu einzelnen Zeitpunkten dargethan werden kann. 23) Z. B. Fiction der Zahlung, wenn Jemand eine vor längerer Zeit ausgeſtellte Quittung producirt. 24) Z. B. beim Teſtament. Ohne ſolche Formen würde die Frage, ob

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/64>, abgerufen am 26.11.2024.