Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Einleitung -- die Methode. terung und Vervollkommnung seines Stoffes nicht absprechenwollen, wenn gleich die wenigsten von derselben Gebrauch ma- chen, aber es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß auch vom Rechtshistoriker ganz dasselbe gilt, 11) und daß eine gedeih- liche Behandlung der Rechtsgeschichte sich ohne die Ausübung jener Berechtigung nicht denken läßt. 11) Er soll nur natürlich Rechenschaft darüber geben, wie er seine
Resultate gewonnen hat und eine Abstraction, die er macht, als solche be- zeichnen. Ich will hier eine Stelle mittheilen, die mich anfänglich sehr frap- pirte, nämlich aus Pott Etymologische Untersuchungen auf dem Gebiete der Indo-Germanischen Sprachen Bd. 1 S. 145: "In jeder ursprünglichen Sprache liegt eine Unendlichkeit von Bildungskeimen, deren nur ein sehr klei- ner Theil zur wirklichen Entwicklung gediehen ist; jede enthält einen Vorrath von wirklichen und bloß möglichen Wörtern und Formen; jene sind ein baares Kapital, worüber sie jeden Augenblick frei verfügen kann, diese ein ein- gebildetes, das nur erst dann wahrhaften Werth erhält, wenn ihm der Gebrauch diesen zugestanden hat. Ohne diese öffentliche Beglaubigung bleibt dasselbe immer, wie sicher und fest auch übrigens seine Gewähr sei, null und nichtig. -- -- -- Hieraus fließt nun für den Sprachforscher, wenn er nicht Gesetzgeber, sondern bloßer Berichterstatter des Realbestandes einer Sprache sein will, die Verpflichtung, nur die Befundnahme des wirk- lich in ihr vorhandenen Schatzes einzubringen, in keine Weise aber ihn zu vergrößern. Hierin wird nun aber unendlich oft gefehlt, in- dem man ganz willkührlich von dem wirklichen Befunde auf das, was möglicher Weise vorhanden sein könnte, schließt und so die Sprache reicher macht, als sie wirklich ist." Die Wahrheit dieser Bemerkung ist so einleuchtend, daß ich, während ich sie las, Gewissensbisse empfand, ob ich nicht für das Recht denselben Verstoß begangen habe, gegen den jener Gelehrte für sein Gebiet mit Recht sich erklärt. Da es mir hier nur um die Sache zu thun ist, so habe ich jene Stelle abdrucken lassen; wenn meine im Text vertheidigte Ansicht irrig ist, so führt diese Stelle sofort auf den Gesichtspunkt, aus dem sie widerlegt werden kann. Ich glaube jenes aber nicht, denn ich will der Vergangenheit keinen potentiellen Reichthum als actuellen, wirklichen andichten, sondern die Formulirung, die sie der Wirklich- keit gegeben, einer Kritik unterwerfen, also wenn ich die Analogie mit der Sprache beibehalten will, die grammatikalischen Abstractionen der Vergan- genheit aus der Sprache, wie sie leibte und lebte und aus der auf uns gekom- menen Literatur erkenntlich ist, berichtigen und vervollständigen. Einleitung — die Methode. terung und Vervollkommnung ſeines Stoffes nicht abſprechenwollen, wenn gleich die wenigſten von derſelben Gebrauch ma- chen, aber es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß auch vom Rechtshiſtoriker ganz daſſelbe gilt, 11) und daß eine gedeih- liche Behandlung der Rechtsgeſchichte ſich ohne die Ausübung jener Berechtigung nicht denken läßt. 11) Er ſoll nur natürlich Rechenſchaft darüber geben, wie er ſeine
Reſultate gewonnen hat und eine Abſtraction, die er macht, als ſolche be- zeichnen. Ich will hier eine Stelle mittheilen, die mich anfänglich ſehr frap- pirte, nämlich aus Pott Etymologiſche Unterſuchungen auf dem Gebiete der Indo-Germaniſchen Sprachen Bd. 1 S. 145: „In jeder urſprünglichen Sprache liegt eine Unendlichkeit von Bildungskeimen, deren nur ein ſehr klei- ner Theil zur wirklichen Entwicklung gediehen iſt; jede enthält einen Vorrath von wirklichen und bloß möglichen Wörtern und Formen; jene ſind ein baares Kapital, worüber ſie jeden Augenblick frei verfügen kann, dieſe ein ein- gebildetes, das nur erſt dann wahrhaften Werth erhält, wenn ihm der Gebrauch dieſen zugeſtanden hat. Ohne dieſe öffentliche Beglaubigung bleibt daſſelbe immer, wie ſicher und feſt auch übrigens ſeine Gewähr ſei, null und nichtig. — — — Hieraus fließt nun für den Sprachforſcher, wenn er nicht Geſetzgeber, ſondern bloßer Berichterſtatter des Realbeſtandes einer Sprache ſein will, die Verpflichtung, nur die Befundnahme des wirk- lich in ihr vorhandenen Schatzes einzubringen, in keine Weiſe aber ihn zu vergrößern. Hierin wird nun aber unendlich oft gefehlt, in- dem man ganz willkührlich von dem wirklichen Befunde auf das, was möglicher Weiſe vorhanden ſein könnte, ſchließt und ſo die Sprache reicher macht, als ſie wirklich iſt.“ Die Wahrheit dieſer Bemerkung iſt ſo einleuchtend, daß ich, während ich ſie las, Gewiſſensbiſſe empfand, ob ich nicht für das Recht denſelben Verſtoß begangen habe, gegen den jener Gelehrte für ſein Gebiet mit Recht ſich erklärt. Da es mir hier nur um die Sache zu thun iſt, ſo habe ich jene Stelle abdrucken laſſen; wenn meine im Text vertheidigte Anſicht irrig iſt, ſo führt dieſe Stelle ſofort auf den Geſichtspunkt, aus dem ſie widerlegt werden kann. Ich glaube jenes aber nicht, denn ich will der Vergangenheit keinen potentiellen Reichthum als actuellen, wirklichen andichten, ſondern die Formulirung, die ſie der Wirklich- keit gegeben, einer Kritik unterwerfen, alſo wenn ich die Analogie mit der Sprache beibehalten will, die grammatikaliſchen Abſtractionen der Vergan- genheit aus der Sprache, wie ſie leibte und lebte und aus der auf uns gekom- menen Literatur erkenntlich iſt, berichtigen und vervollſtändigen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0042" n="24"/><fw place="top" type="header">Einleitung — die Methode.</fw><lb/> terung und Vervollkommnung ſeines Stoffes nicht abſprechen<lb/> wollen, wenn gleich die wenigſten von derſelben Gebrauch ma-<lb/> chen, aber es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß auch<lb/> vom Rechtshiſtoriker ganz daſſelbe gilt, <note place="foot" n="11)">Er ſoll nur natürlich Rechenſchaft darüber geben, wie er ſeine<lb/> Reſultate gewonnen hat und eine Abſtraction, die <hi rendition="#g">er</hi> macht, als ſolche be-<lb/> zeichnen. 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Einleitung — die Methode.
terung und Vervollkommnung ſeines Stoffes nicht abſprechen
wollen, wenn gleich die wenigſten von derſelben Gebrauch ma-
chen, aber es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß auch
vom Rechtshiſtoriker ganz daſſelbe gilt, 11) und daß eine gedeih-
liche Behandlung der Rechtsgeſchichte ſich ohne die Ausübung
jener Berechtigung nicht denken läßt.
11) Er ſoll nur natürlich Rechenſchaft darüber geben, wie er ſeine
Reſultate gewonnen hat und eine Abſtraction, die er macht, als ſolche be-
zeichnen. Ich will hier eine Stelle mittheilen, die mich anfänglich ſehr frap-
pirte, nämlich aus Pott Etymologiſche Unterſuchungen auf dem Gebiete der
Indo-Germaniſchen Sprachen Bd. 1 S. 145: „In jeder urſprünglichen
Sprache liegt eine Unendlichkeit von Bildungskeimen, deren nur ein ſehr klei-
ner Theil zur wirklichen Entwicklung gediehen iſt; jede enthält einen Vorrath
von wirklichen und bloß möglichen Wörtern und Formen; jene ſind ein
baares Kapital, worüber ſie jeden Augenblick frei verfügen kann, dieſe ein ein-
gebildetes, das nur erſt dann wahrhaften Werth erhält, wenn ihm der Gebrauch
dieſen zugeſtanden hat. Ohne dieſe öffentliche Beglaubigung bleibt daſſelbe
immer, wie ſicher und feſt auch übrigens ſeine Gewähr ſei, null und nichtig.
— — — Hieraus fließt nun für den Sprachforſcher, wenn
er nicht Geſetzgeber, ſondern bloßer Berichterſtatter des Realbeſtandes
einer Sprache ſein will, die Verpflichtung, nur die Befundnahme des wirk-
lich in ihr vorhandenen Schatzes einzubringen, in keine Weiſe aber ihn zu
vergrößern. Hierin wird nun aber unendlich oft gefehlt, in-
dem man ganz willkührlich von dem wirklichen Befunde auf
das, was möglicher Weiſe vorhanden ſein könnte, ſchließt
und ſo die Sprache reicher macht, als ſie wirklich iſt.“ Die
Wahrheit dieſer Bemerkung iſt ſo einleuchtend, daß ich, während ich ſie las,
Gewiſſensbiſſe empfand, ob ich nicht für das Recht denſelben Verſtoß begangen
habe, gegen den jener Gelehrte für ſein Gebiet mit Recht ſich erklärt. Da es
mir hier nur um die Sache zu thun iſt, ſo habe ich jene Stelle abdrucken laſſen;
wenn meine im Text vertheidigte Anſicht irrig iſt, ſo führt dieſe Stelle ſofort
auf den Geſichtspunkt, aus dem ſie widerlegt werden kann. Ich glaube jenes
aber nicht, denn ich will der Vergangenheit keinen potentiellen Reichthum als
actuellen, wirklichen andichten, ſondern die Formulirung, die ſie der Wirklich-
keit gegeben, einer Kritik unterwerfen, alſo wenn ich die Analogie mit der
Sprache beibehalten will, die grammatikaliſchen Abſtractionen der Vergan-
genheit aus der Sprache, wie ſie leibte und lebte und aus der auf uns gekom-
menen Literatur erkenntlich iſt, berichtigen und vervollſtändigen.
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