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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht.
beruhte ursprünglich auf dem sittlichen Abscheu vor dem Frevel
gegen die Götter, die Gesetzgebung aber disponirte über dies
durch religiöse Ideen getragene und bedingte Institut wie über
ein gewöhnliches Strafmittel, wandte es z. B. als das poli-
tisch brauchbarste Mittel zum Schutz der Tribunen an.

Die Fetialen sollten bei der Kriegsankündigung den Speer
in Feindes Land werfen -- aber als diese Vorschrift bei der
Ausdehnung des Reichs beschwerlich wurde, half man sich, in-
dem man einen Platz vor dem Tempel der Bellona durch einen
gefangenen Soldaten des Pyrrhus ankaufen ließ und ihn als
Feindes Land behandelte. 250) Der Feldherr, den ein Unfall be-
troffen, sollte in Rom selbst neue günstige Auspicien erwarten;
auch von dieser lästigen Vorschrift befreiten sich die Römer in
ähnlicher Weise -- ein beliebiger Platz auf dem Kriegsschau-
platz ward zum ager Romanus gemacht und hier die Erneue-
rung der Auspicien vorgenommen. 251) Das gelobte Opfer sollte
gebracht werden -- "aber man muß wissen, sagt Servius, 252)
daß bei den Opfern der Schein für die Wirklichkeit genommen
wird; wenn daher schwer aufzutreibende Thiere zum Opfer ge-
fordert werden, so formt man dieselben von Brod oder Wachs
und bringt die Bilder dar;" statt der erforderlichen Hirschkühe
schlachtete man Schaafe, nannte sie aber Hirschkühe. Der Fla-
men Dialis
durfte nicht schwören, der Magistrat mußte sei-
nen Amtseid leisten, beide Aemter waren also unvereinbar.
Als man dennoch einen Flamen Dialis zum Aedilen wählte, 253)
und zwar zufälligerweise gerade einen solchen, der wegen seiner
Strenge allgemeines Aufsehn erregt hatte, 254) so half man sich

250) Die Stellen bei Hartung a. a. O. II. S. 271.
251) Die Stellen bei Rubino a. a. O. S. 89.
252) ad Aen. II, 116. Hartung a. a. O. I S. 160.
253) a. U. C. 552. Liv. XXXI, 50.
254) Liv. XXVII, 8, worauf Ambrosch S. 67 Anm. 127 aufmerksam
macht. In Note 236 war bereits von ihm die Rede.

Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
beruhte urſprünglich auf dem ſittlichen Abſcheu vor dem Frevel
gegen die Götter, die Geſetzgebung aber disponirte über dies
durch religiöſe Ideen getragene und bedingte Inſtitut wie über
ein gewöhnliches Strafmittel, wandte es z. B. als das poli-
tiſch brauchbarſte Mittel zum Schutz der Tribunen an.

Die Fetialen ſollten bei der Kriegsankündigung den Speer
in Feindes Land werfen — aber als dieſe Vorſchrift bei der
Ausdehnung des Reichs beſchwerlich wurde, half man ſich, in-
dem man einen Platz vor dem Tempel der Bellona durch einen
gefangenen Soldaten des Pyrrhus ankaufen ließ und ihn als
Feindes Land behandelte. 250) Der Feldherr, den ein Unfall be-
troffen, ſollte in Rom ſelbſt neue günſtige Auſpicien erwarten;
auch von dieſer läſtigen Vorſchrift befreiten ſich die Römer in
ähnlicher Weiſe — ein beliebiger Platz auf dem Kriegsſchau-
platz ward zum ager Romanus gemacht und hier die Erneue-
rung der Auſpicien vorgenommen. 251) Das gelobte Opfer ſollte
gebracht werden — „aber man muß wiſſen, ſagt Servius, 252)
daß bei den Opfern der Schein für die Wirklichkeit genommen
wird; wenn daher ſchwer aufzutreibende Thiere zum Opfer ge-
fordert werden, ſo formt man dieſelben von Brod oder Wachs
und bringt die Bilder dar;“ ſtatt der erforderlichen Hirſchkühe
ſchlachtete man Schaafe, nannte ſie aber Hirſchkühe. Der Fla-
men Dialis
durfte nicht ſchwören, der Magiſtrat mußte ſei-
nen Amtseid leiſten, beide Aemter waren alſo unvereinbar.
Als man dennoch einen Flamen Dialis zum Aedilen wählte, 253)
und zwar zufälligerweiſe gerade einen ſolchen, der wegen ſeiner
Strenge allgemeines Aufſehn erregt hatte, 254) ſo half man ſich

250) Die Stellen bei Hartung a. a. O. II. S. 271.
251) Die Stellen bei Rubino a. a. O. S. 89.
252) ad Aen. II, 116. Hartung a. a. O. I S. 160.
253) a. U. C. 552. Liv. XXXI, 50.
254) Liv. XXVII, 8, worauf Ambroſch S. 67 Anm. 127 aufmerkſam
macht. In Note 236 war bereits von ihm die Rede.
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[326/0344] Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. beruhte urſprünglich auf dem ſittlichen Abſcheu vor dem Frevel gegen die Götter, die Geſetzgebung aber disponirte über dies durch religiöſe Ideen getragene und bedingte Inſtitut wie über ein gewöhnliches Strafmittel, wandte es z. B. als das poli- tiſch brauchbarſte Mittel zum Schutz der Tribunen an. Die Fetialen ſollten bei der Kriegsankündigung den Speer in Feindes Land werfen — aber als dieſe Vorſchrift bei der Ausdehnung des Reichs beſchwerlich wurde, half man ſich, in- dem man einen Platz vor dem Tempel der Bellona durch einen gefangenen Soldaten des Pyrrhus ankaufen ließ und ihn als Feindes Land behandelte. 250) Der Feldherr, den ein Unfall be- troffen, ſollte in Rom ſelbſt neue günſtige Auſpicien erwarten; auch von dieſer läſtigen Vorſchrift befreiten ſich die Römer in ähnlicher Weiſe — ein beliebiger Platz auf dem Kriegsſchau- platz ward zum ager Romanus gemacht und hier die Erneue- rung der Auſpicien vorgenommen. 251) Das gelobte Opfer ſollte gebracht werden — „aber man muß wiſſen, ſagt Servius, 252) daß bei den Opfern der Schein für die Wirklichkeit genommen wird; wenn daher ſchwer aufzutreibende Thiere zum Opfer ge- fordert werden, ſo formt man dieſelben von Brod oder Wachs und bringt die Bilder dar;“ ſtatt der erforderlichen Hirſchkühe ſchlachtete man Schaafe, nannte ſie aber Hirſchkühe. Der Fla- men Dialis durfte nicht ſchwören, der Magiſtrat mußte ſei- nen Amtseid leiſten, beide Aemter waren alſo unvereinbar. Als man dennoch einen Flamen Dialis zum Aedilen wählte, 253) und zwar zufälligerweiſe gerade einen ſolchen, der wegen ſeiner Strenge allgemeines Aufſehn erregt hatte, 254) ſo half man ſich 250) Die Stellen bei Hartung a. a. O. II. S. 271. 251) Die Stellen bei Rubino a. a. O. S. 89. 252) ad Aen. II, 116. Hartung a. a. O. I S. 160. 253) a. U. C. 552. Liv. XXXI, 50. 254) Liv. XXVII, 8, worauf Ambroſch S. 67 Anm. 127 aufmerkſam macht. In Note 236 war bereits von ihm die Rede.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/344>, abgerufen am 05.07.2024.