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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.

Ich darf hier noch auf die von Manchen 246) bereits gemachte
Beobachtung aufmerksam machen, daß es römische Regierungs-
maxime war, den religiösen Strömungen, denen man zu wei-
chen für nöthig hielt, von Staatswegen ein bestimmtes Bett
vorzuzeichnen und sie dadurch in Abhängigkeit zu bringen.
Oeffentliche Anerkennung und Gleichstellung eines neuen Cul-
tus schien den Römern weniger gefährlich, als die bloße Dul-
dung desselben; wo eine Unterdrückung desselben nicht mehr
möglich war, entschloß man sich zu jener, und vom bloß politi-
schen Standpunkt beurtheilt, bewährte man damit einen richti-
gern Blick, als die neuere Zeit mit ihrer Mittelstufe bloß tolerirter
Glaubensbekenntnisse. Rom kannte keine Priester, die durch

ac vitio, creati honore abiere (tribuni militum), quod C. Curtius, qui
comitiis eorum praefuerat, parum recte tabernaculum cepisset. Liv.
VIII c. 23. (a. 428 U. C.) ... consulti augures vitiosum videri dictato-
rem pronuntiaverunt. Eam rem tribuni suspectam infamem-
que criminando fecerunt
. ... nec quemque mortalium exstare,
qui se vidisse aut audivisse quid dicat, quod auspicium dirimeret, neque
augures divinare Romae sedentes potuisse, quid in castris consuli vitii
obvenisset. Cui non apparere, quod plebejus dictator sit, id vitium
auguribus visum.
Schon im Jahre 293 läßt Livius III c. 10 einen Aus-
spruch der Duumviri librorum sacrorum durch die Tribunen verdächtigen:
id factum ad impediendam legem tribuni criminabantur ingensque ad-
erat certamen.
246) Z. B. Rubino a. a. O. S. 204 Anm.: "Es braucht hier nur
kurz an das spätere Verfahren in Bezug auf die haruspices, die sibyllinischen
Bücher, die vates, die Aufnahme der griechischen Culte und vieles Andere
erinnert zu werden, was zu einem Schlusse auf die Vorzeit berechtigt. Un-
empfänglich gegen den Eindruck neuer religiöser Erscheinungen und Künste
blieben die principes nicht, sie zogen sie in ihren Kreis, verarbeiteten und be-
nutzten sie in ihrer Weise." Mäcen empfahl diese Maxime dem Augustus
[Dio Cassius LII, 36. Hartung röm. Relig. I S. 236]: "Wahrsagung
müßte zwar sein, doch so, daß sie durch öffentliche dem Staate bekannte
Diener, nicht durch herumziehende Betrüger ausgeübt werde." August be-
folgte sie treulich, und seine Erfindung des jus respondendi enthält nur eine
Uebertragung derselben Maxime auf die Juristen. Puchta Cursus der Instit.
B. 1 S. 559.
21*
2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.

Ich darf hier noch auf die von Manchen 246) bereits gemachte
Beobachtung aufmerkſam machen, daß es römiſche Regierungs-
maxime war, den religiöſen Strömungen, denen man zu wei-
chen für nöthig hielt, von Staatswegen ein beſtimmtes Bett
vorzuzeichnen und ſie dadurch in Abhängigkeit zu bringen.
Oeffentliche Anerkennung und Gleichſtellung eines neuen Cul-
tus ſchien den Römern weniger gefährlich, als die bloße Dul-
dung deſſelben; wo eine Unterdrückung deſſelben nicht mehr
möglich war, entſchloß man ſich zu jener, und vom bloß politi-
ſchen Standpunkt beurtheilt, bewährte man damit einen richti-
gern Blick, als die neuere Zeit mit ihrer Mittelſtufe bloß tolerirter
Glaubensbekenntniſſe. Rom kannte keine Prieſter, die durch

ac vitio, creati honore abiere (tribuni militum), quod C. Curtius, qui
comitiis eorum praefuerat, parum recte tabernaculum cepisset. Liv.
VIII c. 23. (a. 428 U. C.) … consulti augures vitiosum videri dictato-
rem pronuntiaverunt. Eam rem tribuni suspectam infamem-
que criminando fecerunt
. … nec quemque mortalium exstare,
qui se vidisse aut audivisse quid dicat, quod auspicium dirimeret, neque
augures divinare Romae sedentes potuisse, quid in castris consuli vitii
obvenisset. Cui non apparere, quod plebejus dictator sit, id vitium
auguribus visum.
Schon im Jahre 293 läßt Livius III c. 10 einen Aus-
ſpruch der Duumviri librorum sacrorum durch die Tribunen verdächtigen:
id factum ad impediendam legem tribuni criminabantur ingensque ad-
erat certamen.
246) Z. B. Rubino a. a. O. S. 204 Anm.: „Es braucht hier nur
kurz an das ſpätere Verfahren in Bezug auf die haruspices, die ſibylliniſchen
Bücher, die vates, die Aufnahme der griechiſchen Culte und vieles Andere
erinnert zu werden, was zu einem Schluſſe auf die Vorzeit berechtigt. Un-
empfänglich gegen den Eindruck neuer religiöſer Erſcheinungen und Künſte
blieben die principes nicht, ſie zogen ſie in ihren Kreis, verarbeiteten und be-
nutzten ſie in ihrer Weiſe.“ Mäcen empfahl dieſe Maxime dem Auguſtus
[Dio Cassius LII, 36. Hartung röm. Relig. I S. 236]: „Wahrſagung
müßte zwar ſein, doch ſo, daß ſie durch öffentliche dem Staate bekannte
Diener, nicht durch herumziehende Betrüger ausgeübt werde.“ Auguſt be-
folgte ſie treulich, und ſeine Erfindung des jus respondendi enthält nur eine
Uebertragung derſelben Maxime auf die Juriſten. Puchta Curſus der Inſtit.
B. 1 S. 559.
21*
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[323/0341] 2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. Ich darf hier noch auf die von Manchen 246) bereits gemachte Beobachtung aufmerkſam machen, daß es römiſche Regierungs- maxime war, den religiöſen Strömungen, denen man zu wei- chen für nöthig hielt, von Staatswegen ein beſtimmtes Bett vorzuzeichnen und ſie dadurch in Abhängigkeit zu bringen. Oeffentliche Anerkennung und Gleichſtellung eines neuen Cul- tus ſchien den Römern weniger gefährlich, als die bloße Dul- dung deſſelben; wo eine Unterdrückung deſſelben nicht mehr möglich war, entſchloß man ſich zu jener, und vom bloß politi- ſchen Standpunkt beurtheilt, bewährte man damit einen richti- gern Blick, als die neuere Zeit mit ihrer Mittelſtufe bloß tolerirter Glaubensbekenntniſſe. Rom kannte keine Prieſter, die durch 245) 246) Z. B. Rubino a. a. O. S. 204 Anm.: „Es braucht hier nur kurz an das ſpätere Verfahren in Bezug auf die haruspices, die ſibylliniſchen Bücher, die vates, die Aufnahme der griechiſchen Culte und vieles Andere erinnert zu werden, was zu einem Schluſſe auf die Vorzeit berechtigt. Un- empfänglich gegen den Eindruck neuer religiöſer Erſcheinungen und Künſte blieben die principes nicht, ſie zogen ſie in ihren Kreis, verarbeiteten und be- nutzten ſie in ihrer Weiſe.“ Mäcen empfahl dieſe Maxime dem Auguſtus [Dio Cassius LII, 36. Hartung röm. Relig. I S. 236]: „Wahrſagung müßte zwar ſein, doch ſo, daß ſie durch öffentliche dem Staate bekannte Diener, nicht durch herumziehende Betrüger ausgeübt werde.“ Auguſt be- folgte ſie treulich, und ſeine Erfindung des jus respondendi enthält nur eine Uebertragung derſelben Maxime auf die Juriſten. Puchta Curſus der Inſtit. B. 1 S. 559. 245) ac vitio, creati honore abiere (tribuni militum), quod C. Curtius, qui comitiis eorum praefuerat, parum recte tabernaculum cepisset. Liv. VIII c. 23. (a. 428 U. C.) … consulti augures vitiosum videri dictato- rem pronuntiaverunt. Eam rem tribuni suspectam infamem- que criminando fecerunt. … nec quemque mortalium exstare, qui se vidisse aut audivisse quid dicat, quod auspicium dirimeret, neque augures divinare Romae sedentes potuisse, quid in castris consuli vitii obvenisset. Cui non apparere, quod plebejus dictator sit, id vitium auguribus visum. Schon im Jahre 293 läßt Livius III c. 10 einen Aus- ſpruch der Duumviri librorum sacrorum durch die Tribunen verdächtigen: id factum ad impediendam legem tribuni criminabantur ingensque ad- erat certamen. 21*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/341>, abgerufen am 22.11.2024.