Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht.
ziehen -- das Recht, wie es ist, d. h. die juristisch-praktische
Bearbeitung und technische Vervollkommnung desselben hat
keinen Reiz für sie. Darum kann eine Jurisprudenz nur bei
einem willensstarken Volk gedeihen; ohne Liebe, ohne Hingabe
an ihren Gegenstand ist sie ein kümmerliches Ding, diese Liebe
aber ist nicht möglich, wenn das Recht keinen innern Halt in
sich hat und wo das Volk oder die Zeit ihn nicht besitzt, wie
sollte das Recht dazu kommen?

Kein Recht ist geeigneter, uns diese Bedeutung des Wil-
lensmoments, und die Wechselwirkung zwischen moralischer und
intellektueller Kraft zu veranschaulichen, als das ältere römische;
einer Zeit, wie der unsrigen, kann es als Spiegel dienen, wo-
rin sie erkennt, was ihr fehlt. Was jene beiden Kräfte aus
dem ältern römischen Recht gemacht haben, wie sie unmittelbar
in den Instituten desselben sich bethätigen, das wird das fol-
gende System lehren, hier aber möge es mir erlaubt sein, an
einigen allgemeinen Tendenzen und Eigenschaften des römischen
Charakters sowohl die gewaltige Kraft, die dem römischen Volk
innewohnte, als die Relevanz moralischer Eigenschaf-
ten für die technische Ausbildung des Rechts
zu
veranschaulichen.

Ich hebe zuerst zwei Eigenschaften hervor, die sich beide --
nur nach verschiedenen Seiten hin -- als Ausflüsse eines festen,
energischen Willens bezeichnen lassen, die Consequenz und die
conservative Tendenz des römischen Charakters. Etwas wirklich
wollen, heißt es ganz und dauernd wollen; Consequenz und
Ausdauer sind die Kennzeichen und unzertrennlichen Begleiter
der Willensstärke.

Der Verstand mag die Consequenzen ziehen, aber der Wille
ist es, der sie verwirklicht. Hier ist so recht Gelegenheit gegeben
sich von der Wahrheit der obigen Bemerkung, daß auf dem Ge-
biete des Rechts Wille und Verstand nur gemeinschaftlich ope-
riren können, zu überzeugen. Wenn das römische Recht sich
mehr als irgend ein anderes durch seine Logik auszeichnet, so

Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
ziehen — das Recht, wie es iſt, d. h. die juriſtiſch-praktiſche
Bearbeitung und techniſche Vervollkommnung deſſelben hat
keinen Reiz für ſie. Darum kann eine Jurisprudenz nur bei
einem willensſtarken Volk gedeihen; ohne Liebe, ohne Hingabe
an ihren Gegenſtand iſt ſie ein kümmerliches Ding, dieſe Liebe
aber iſt nicht möglich, wenn das Recht keinen innern Halt in
ſich hat und wo das Volk oder die Zeit ihn nicht beſitzt, wie
ſollte das Recht dazu kommen?

Kein Recht iſt geeigneter, uns dieſe Bedeutung des Wil-
lensmoments, und die Wechſelwirkung zwiſchen moraliſcher und
intellektueller Kraft zu veranſchaulichen, als das ältere römiſche;
einer Zeit, wie der unſrigen, kann es als Spiegel dienen, wo-
rin ſie erkennt, was ihr fehlt. Was jene beiden Kräfte aus
dem ältern römiſchen Recht gemacht haben, wie ſie unmittelbar
in den Inſtituten deſſelben ſich bethätigen, das wird das fol-
gende Syſtem lehren, hier aber möge es mir erlaubt ſein, an
einigen allgemeinen Tendenzen und Eigenſchaften des römiſchen
Charakters ſowohl die gewaltige Kraft, die dem römiſchen Volk
innewohnte, als die Relevanz moraliſcher Eigenſchaf-
ten für die techniſche Ausbildung des Rechts
zu
veranſchaulichen.

Ich hebe zuerſt zwei Eigenſchaften hervor, die ſich beide —
nur nach verſchiedenen Seiten hin — als Ausflüſſe eines feſten,
energiſchen Willens bezeichnen laſſen, die Conſequenz und die
conſervative Tendenz des römiſchen Charakters. Etwas wirklich
wollen, heißt es ganz und dauernd wollen; Conſequenz und
Ausdauer ſind die Kennzeichen und unzertrennlichen Begleiter
der Willensſtärke.

Der Verſtand mag die Conſequenzen ziehen, aber der Wille
iſt es, der ſie verwirklicht. Hier iſt ſo recht Gelegenheit gegeben
ſich von der Wahrheit der obigen Bemerkung, daß auf dem Ge-
biete des Rechts Wille und Verſtand nur gemeinſchaftlich ope-
riren können, zu überzeugen. Wenn das römiſche Recht ſich
mehr als irgend ein anderes durch ſeine Logik auszeichnet, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0324" n="306"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;tes Buch &#x2014; Uebergang zum &#x017F;pezifi&#x017F;ch römi&#x017F;chen Recht.</fw><lb/>
ziehen &#x2014; das Recht, wie es i&#x017F;t, d. h. die juri&#x017F;ti&#x017F;ch-prakti&#x017F;che<lb/>
Bearbeitung und techni&#x017F;che Vervollkommnung de&#x017F;&#x017F;elben hat<lb/>
keinen Reiz für &#x017F;ie. Darum kann eine Jurisprudenz nur bei<lb/>
einem willens&#x017F;tarken Volk gedeihen; ohne Liebe, ohne Hingabe<lb/>
an ihren Gegen&#x017F;tand i&#x017F;t &#x017F;ie ein kümmerliches Ding, die&#x017F;e Liebe<lb/>
aber i&#x017F;t nicht möglich, wenn das Recht keinen innern Halt in<lb/>
&#x017F;ich hat und wo das Volk oder die Zeit ihn nicht be&#x017F;itzt, wie<lb/>
&#x017F;ollte das Recht dazu kommen?</p><lb/>
                <p>Kein Recht i&#x017F;t geeigneter, uns die&#x017F;e Bedeutung des Wil-<lb/>
lensmoments, und die Wech&#x017F;elwirkung zwi&#x017F;chen morali&#x017F;cher und<lb/>
intellektueller Kraft zu veran&#x017F;chaulichen, als das ältere römi&#x017F;che;<lb/>
einer Zeit, wie der un&#x017F;rigen, kann es als Spiegel dienen, wo-<lb/>
rin &#x017F;ie erkennt, was ihr fehlt. Was jene beiden Kräfte aus<lb/>
dem ältern römi&#x017F;chen Recht gemacht haben, wie &#x017F;ie unmittelbar<lb/>
in den In&#x017F;tituten de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;ich bethätigen, das wird das fol-<lb/>
gende Sy&#x017F;tem lehren, hier aber möge es mir erlaubt &#x017F;ein, an<lb/>
einigen allgemeinen Tendenzen und Eigen&#x017F;chaften des römi&#x017F;chen<lb/>
Charakters &#x017F;owohl die gewaltige Kraft, die dem römi&#x017F;chen Volk<lb/>
innewohnte, als die <hi rendition="#g">Relevanz morali&#x017F;cher Eigen&#x017F;chaf-<lb/>
ten für die techni&#x017F;che Ausbildung des Rechts</hi> zu<lb/>
veran&#x017F;chaulichen.</p><lb/>
                <p>Ich hebe zuer&#x017F;t zwei Eigen&#x017F;chaften hervor, die &#x017F;ich beide &#x2014;<lb/>
nur nach ver&#x017F;chiedenen Seiten hin &#x2014; als Ausflü&#x017F;&#x017F;e eines fe&#x017F;ten,<lb/>
energi&#x017F;chen Willens bezeichnen la&#x017F;&#x017F;en, die Con&#x017F;equenz und die<lb/>
con&#x017F;ervative Tendenz des römi&#x017F;chen Charakters. Etwas wirklich<lb/>
wollen, heißt es <hi rendition="#g">ganz</hi> und <hi rendition="#g">dauernd</hi> wollen; Con&#x017F;equenz und<lb/>
Ausdauer &#x017F;ind die Kennzeichen und unzertrennlichen Begleiter<lb/>
der Willens&#x017F;tärke.</p><lb/>
                <p>Der Ver&#x017F;tand mag die Con&#x017F;equenzen ziehen, aber der Wille<lb/>
i&#x017F;t es, der &#x017F;ie verwirklicht. Hier i&#x017F;t &#x017F;o recht Gelegenheit gegeben<lb/>
&#x017F;ich von der Wahrheit der obigen Bemerkung, daß auf dem Ge-<lb/>
biete des Rechts Wille und Ver&#x017F;tand nur gemein&#x017F;chaftlich ope-<lb/>
riren können, zu überzeugen. Wenn das römi&#x017F;che Recht &#x017F;ich<lb/>
mehr als irgend ein anderes durch &#x017F;eine Logik auszeichnet, &#x017F;o<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0324] Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. ziehen — das Recht, wie es iſt, d. h. die juriſtiſch-praktiſche Bearbeitung und techniſche Vervollkommnung deſſelben hat keinen Reiz für ſie. Darum kann eine Jurisprudenz nur bei einem willensſtarken Volk gedeihen; ohne Liebe, ohne Hingabe an ihren Gegenſtand iſt ſie ein kümmerliches Ding, dieſe Liebe aber iſt nicht möglich, wenn das Recht keinen innern Halt in ſich hat und wo das Volk oder die Zeit ihn nicht beſitzt, wie ſollte das Recht dazu kommen? Kein Recht iſt geeigneter, uns dieſe Bedeutung des Wil- lensmoments, und die Wechſelwirkung zwiſchen moraliſcher und intellektueller Kraft zu veranſchaulichen, als das ältere römiſche; einer Zeit, wie der unſrigen, kann es als Spiegel dienen, wo- rin ſie erkennt, was ihr fehlt. Was jene beiden Kräfte aus dem ältern römiſchen Recht gemacht haben, wie ſie unmittelbar in den Inſtituten deſſelben ſich bethätigen, das wird das fol- gende Syſtem lehren, hier aber möge es mir erlaubt ſein, an einigen allgemeinen Tendenzen und Eigenſchaften des römiſchen Charakters ſowohl die gewaltige Kraft, die dem römiſchen Volk innewohnte, als die Relevanz moraliſcher Eigenſchaf- ten für die techniſche Ausbildung des Rechts zu veranſchaulichen. Ich hebe zuerſt zwei Eigenſchaften hervor, die ſich beide — nur nach verſchiedenen Seiten hin — als Ausflüſſe eines feſten, energiſchen Willens bezeichnen laſſen, die Conſequenz und die conſervative Tendenz des römiſchen Charakters. Etwas wirklich wollen, heißt es ganz und dauernd wollen; Conſequenz und Ausdauer ſind die Kennzeichen und unzertrennlichen Begleiter der Willensſtärke. Der Verſtand mag die Conſequenzen ziehen, aber der Wille iſt es, der ſie verwirklicht. Hier iſt ſo recht Gelegenheit gegeben ſich von der Wahrheit der obigen Bemerkung, daß auf dem Ge- biete des Rechts Wille und Verſtand nur gemeinſchaftlich ope- riren können, zu überzeugen. Wenn das römiſche Recht ſich mehr als irgend ein anderes durch ſeine Logik auszeichnet, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/324
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/324>, abgerufen am 05.07.2024.