Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht.
hätte. 226) Diese Götter gehn aber, wie die Römer selbst, ganz und gar in ihren Zwecken auf, sind nichts als personificirte Zwecke.
Auch die Religiosität der Römer, von ihnen selbst und an- dern so viel gepriesen, war im wesentlichen durch das Motiv der Zweckmäßigkeit oder der Selbstsucht bestimmt. Die Römer ehrten die Götter nicht, weil sie Götter waren, sondern damit letztere ihnen dafür ihren Beistand zuwendeten. Das Maß der Beistandsbedürftigkeit, der Noth, in der man sich befand, war zugleich das der römischen Religiösität. Natürlich unterhielt man auch in glücklichen Zeiten ein gutes Vernehmen mit den Göttern und ließ es an nichts fehlen, worauf sie einmal ein Recht hatten; man zahlte ihnen, wenn es erlaubt ist, das obige Bild weiter auszuführen, ihren Gehalt, den Preis, um den sie im allge- meinen Rom ihre Gunst bewahrten, unverkürzt aus. Begehrte Jemand aber außergewöhnliche Dienstleistungen von ihnen -- der Staat, wie die Einzelnen -- so mußte er, da auch die Göt- ter nichts umsonst thaten, sie dafür entsprechend entschädigen. Eine beliebte Form, um die Götter zu gewinnen, war das Vo- tum; beliebt nämlich, weil man dabei am sichersten ging d. h. den Göttern erst seinerseits das Versprechen zu leisten hatte, wenn sie ihrerseits den erwarteten Dienst erwiesen hatten. Das Votum enthält eine Uebertragung des Obligationenrechts auf die Götter und bewegte sich auch in der Terminologie desselben.
Je ehr dies Urtheil über die römische Religiösität, das den Egoismus zur Triebfeder derselben macht, auf Widerspruch stoßen wird, und je weniger der Versuch einer ausführlichen Begründung desselben hier am Ort sein würde, um so mehr muß ich an die obige Bemerkung von dem instinktartigen Walten des römischen Geistes erinnern. Es ist nicht meine Meinung, als ob bewußte Absicht und Berechnung in Rom mit dem heiligsten
226) Ich verweise vor allem auf die Abhandlung von Ambrosch über die Religionsbücher der Römer. Bonn 1843. S. 11 u. fl.
Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
hätte. 226) Dieſe Götter gehn aber, wie die Römer ſelbſt, ganz und gar in ihren Zwecken auf, ſind nichts als perſonificirte Zwecke.
Auch die Religioſität der Römer, von ihnen ſelbſt und an- dern ſo viel geprieſen, war im weſentlichen durch das Motiv der Zweckmäßigkeit oder der Selbſtſucht beſtimmt. Die Römer ehrten die Götter nicht, weil ſie Götter waren, ſondern damit letztere ihnen dafür ihren Beiſtand zuwendeten. Das Maß der Beiſtandsbedürftigkeit, der Noth, in der man ſich befand, war zugleich das der römiſchen Religiöſität. Natürlich unterhielt man auch in glücklichen Zeiten ein gutes Vernehmen mit den Göttern und ließ es an nichts fehlen, worauf ſie einmal ein Recht hatten; man zahlte ihnen, wenn es erlaubt iſt, das obige Bild weiter auszuführen, ihren Gehalt, den Preis, um den ſie im allge- meinen Rom ihre Gunſt bewahrten, unverkürzt aus. Begehrte Jemand aber außergewöhnliche Dienſtleiſtungen von ihnen — der Staat, wie die Einzelnen — ſo mußte er, da auch die Göt- ter nichts umſonſt thaten, ſie dafür entſprechend entſchädigen. Eine beliebte Form, um die Götter zu gewinnen, war das Vo- tum; beliebt nämlich, weil man dabei am ſicherſten ging d. h. den Göttern erſt ſeinerſeits das Verſprechen zu leiſten hatte, wenn ſie ihrerſeits den erwarteten Dienſt erwieſen hatten. Das Votum enthält eine Uebertragung des Obligationenrechts auf die Götter und bewegte ſich auch in der Terminologie deſſelben.
Je ehr dies Urtheil über die römiſche Religiöſität, das den Egoismus zur Triebfeder derſelben macht, auf Widerſpruch ſtoßen wird, und je weniger der Verſuch einer ausführlichen Begründung deſſelben hier am Ort ſein würde, um ſo mehr muß ich an die obige Bemerkung von dem inſtinktartigen Walten des römiſchen Geiſtes erinnern. Es iſt nicht meine Meinung, als ob bewußte Abſicht und Berechnung in Rom mit dem heiligſten
226) Ich verweiſe vor allem auf die Abhandlung von Ambroſch über die Religionsbücher der Römer. Bonn 1843. S. 11 u. fl.
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Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
hätte. 226) Dieſe Götter gehn aber, wie die Römer ſelbſt, ganz
und gar in ihren Zwecken auf, ſind nichts als perſonificirte
Zwecke.
Auch die Religioſität der Römer, von ihnen ſelbſt und an-
dern ſo viel geprieſen, war im weſentlichen durch das Motiv
der Zweckmäßigkeit oder der Selbſtſucht beſtimmt. Die Römer
ehrten die Götter nicht, weil ſie Götter waren, ſondern damit
letztere ihnen dafür ihren Beiſtand zuwendeten. Das Maß der
Beiſtandsbedürftigkeit, der Noth, in der man ſich befand, war
zugleich das der römiſchen Religiöſität. Natürlich unterhielt man
auch in glücklichen Zeiten ein gutes Vernehmen mit den Göttern
und ließ es an nichts fehlen, worauf ſie einmal ein Recht hatten;
man zahlte ihnen, wenn es erlaubt iſt, das obige Bild weiter
auszuführen, ihren Gehalt, den Preis, um den ſie im allge-
meinen Rom ihre Gunſt bewahrten, unverkürzt aus. Begehrte
Jemand aber außergewöhnliche Dienſtleiſtungen von ihnen —
der Staat, wie die Einzelnen — ſo mußte er, da auch die Göt-
ter nichts umſonſt thaten, ſie dafür entſprechend entſchädigen.
Eine beliebte Form, um die Götter zu gewinnen, war das Vo-
tum; beliebt nämlich, weil man dabei am ſicherſten ging d. h.
den Göttern erſt ſeinerſeits das Verſprechen zu leiſten hatte,
wenn ſie ihrerſeits den erwarteten Dienſt erwieſen hatten. Das
Votum enthält eine Uebertragung des Obligationenrechts auf die
Götter und bewegte ſich auch in der Terminologie deſſelben.
Je ehr dies Urtheil über die römiſche Religiöſität, das den
Egoismus zur Triebfeder derſelben macht, auf Widerſpruch
ſtoßen wird, und je weniger der Verſuch einer ausführlichen
Begründung deſſelben hier am Ort ſein würde, um ſo mehr muß
ich an die obige Bemerkung von dem inſtinktartigen Walten des
römiſchen Geiſtes erinnern. Es iſt nicht meine Meinung, als
ob bewußte Abſicht und Berechnung in Rom mit dem heiligſten
226) Ich verweiſe vor allem auf die Abhandlung von Ambroſch über die
Religionsbücher der Römer. Bonn 1843. S. 11 u. fl.
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/314>, abgerufen am 26.07.2024.
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