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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht.
Sanskrit hat nachgewiesen, daß diese Annahme eine irrige, die
lateinische Sprache vielmehr eine Schwester der griechischen ist,
die die gemeinsame Muttersprache in vielen Stücken reiner und
getreuer bewahrt hat, als letztere. 222) Das Verhältniß der
Sprachen aber bezeichnet das der Völker selbst; sie sind Ge-
schwister, die einst mit den übrigen indogermanischen Völkern
unter einem Dache lebten, und als sie sich trennten, eine ge-
meinsame Ausstattung an Sprache, Sitte, Religion u. s. w.
mitnahmen. 223) Aber wie verschieden entwickelte sich ihr Cha-
rakter nach jener Trennung, wie weit ging Recht, Religion,
Sprache u. s. w. bei den verschiedenen Völkern aus einander.
Was insbesondere das Recht anbetrifft, so ist bis jetzt zwar der
Versuch noch nicht gemacht, die Spuren der ursprünglichen
Rechts-Gemeinschaft aller indogermanischen Völker zu sammeln,
allein so viel läßt sich schon jetzt sagen, daß die Sprache wenig
Aufschlüsse gewähren wird. Für den Begriff des Rechts wie
die meisten Institute desselben hat jede indogermanische Sprache
eine andere, dieselben von einer verschiedenen Seite auffassende
Bezeichnung. Was also auch die indogermanische Völker-Fa-
milie an gemeinsamen Rechtseinrichtungen ursprünglich besaß:
die Thätigkeit der Sprache in der Bezeichnung derselben d. h.
das Erwachen des Bewußtseins über dieselben fällt in die Zeit
nach der Trennung. Dies gilt nun insbesondere auch von dem
Verhältniß des griechischen zum römischen Recht. So groß auch
die Zahl der in der griechischen und lateinischen Sprache gleich

stitute selbst einen sehr nachtheiligen Einfluß ausgeübt; namentlich in Hüll-
manns Grundverfassung und Ballhorn-Rosen über dominium.
222) Pott hat sich an vielen Stellen seines oft citirten Werkes hierüber
ausgesprochen z. B. B. 1. S. XXVIII, S. 75, B. 2. S. 433 u. fl.
223) Ein gewisser Grad der Cultur war damals bereits erreicht. Das
Gottesbewußtsein war entwickelt (in den meisten Sprachen hat sich noch das
Wort dewa, Gott, erhalten. Pott B. 1. S. LVI), die Stufe des Noma-
denthums zurückgelegt, man kannte Häuser, Dörfer, den Pflug, Müh-
len u. s. w. Vergleiche hierüber Kuhn zur ältesten Geschichte der indogerma-
nischen Völker. S. 12, 16, 17.

Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
Sanskrit hat nachgewieſen, daß dieſe Annahme eine irrige, die
lateiniſche Sprache vielmehr eine Schweſter der griechiſchen iſt,
die die gemeinſame Mutterſprache in vielen Stücken reiner und
getreuer bewahrt hat, als letztere. 222) Das Verhältniß der
Sprachen aber bezeichnet das der Völker ſelbſt; ſie ſind Ge-
ſchwiſter, die einſt mit den übrigen indogermaniſchen Völkern
unter einem Dache lebten, und als ſie ſich trennten, eine ge-
meinſame Ausſtattung an Sprache, Sitte, Religion u. ſ. w.
mitnahmen. 223) Aber wie verſchieden entwickelte ſich ihr Cha-
rakter nach jener Trennung, wie weit ging Recht, Religion,
Sprache u. ſ. w. bei den verſchiedenen Völkern aus einander.
Was insbeſondere das Recht anbetrifft, ſo iſt bis jetzt zwar der
Verſuch noch nicht gemacht, die Spuren der urſprünglichen
Rechts-Gemeinſchaft aller indogermaniſchen Völker zu ſammeln,
allein ſo viel läßt ſich ſchon jetzt ſagen, daß die Sprache wenig
Aufſchlüſſe gewähren wird. Für den Begriff des Rechts wie
die meiſten Inſtitute deſſelben hat jede indogermaniſche Sprache
eine andere, dieſelben von einer verſchiedenen Seite auffaſſende
Bezeichnung. Was alſo auch die indogermaniſche Völker-Fa-
milie an gemeinſamen Rechtseinrichtungen urſprünglich beſaß:
die Thätigkeit der Sprache in der Bezeichnung derſelben d. h.
das Erwachen des Bewußtſeins über dieſelben fällt in die Zeit
nach der Trennung. Dies gilt nun insbeſondere auch von dem
Verhältniß des griechiſchen zum römiſchen Recht. So groß auch
die Zahl der in der griechiſchen und lateiniſchen Sprache gleich

ſtitute ſelbſt einen ſehr nachtheiligen Einfluß ausgeübt; namentlich in Hüll-
manns Grundverfaſſung und Ballhorn-Roſen über dominium.
222) Pott hat ſich an vielen Stellen ſeines oft citirten Werkes hierüber
ausgeſprochen z. B. B. 1. S. XXVIII, S. 75, B. 2. S. 433 u. fl.
223) Ein gewiſſer Grad der Cultur war damals bereits erreicht. Das
Gottesbewußtſein war entwickelt (in den meiſten Sprachen hat ſich noch das
Wort dewa, Gott, erhalten. Pott B. 1. S. LVI), die Stufe des Noma-
denthums zurückgelegt, man kannte Häuſer, Dörfer, den Pflug, Müh-
len u. ſ. w. Vergleiche hierüber Kuhn zur älteſten Geſchichte der indogerma-
niſchen Völker. S. 12, 16, 17.
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[290/0308] Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. Sanskrit hat nachgewieſen, daß dieſe Annahme eine irrige, die lateiniſche Sprache vielmehr eine Schweſter der griechiſchen iſt, die die gemeinſame Mutterſprache in vielen Stücken reiner und getreuer bewahrt hat, als letztere. 222) Das Verhältniß der Sprachen aber bezeichnet das der Völker ſelbſt; ſie ſind Ge- ſchwiſter, die einſt mit den übrigen indogermaniſchen Völkern unter einem Dache lebten, und als ſie ſich trennten, eine ge- meinſame Ausſtattung an Sprache, Sitte, Religion u. ſ. w. mitnahmen. 223) Aber wie verſchieden entwickelte ſich ihr Cha- rakter nach jener Trennung, wie weit ging Recht, Religion, Sprache u. ſ. w. bei den verſchiedenen Völkern aus einander. Was insbeſondere das Recht anbetrifft, ſo iſt bis jetzt zwar der Verſuch noch nicht gemacht, die Spuren der urſprünglichen Rechts-Gemeinſchaft aller indogermaniſchen Völker zu ſammeln, allein ſo viel läßt ſich ſchon jetzt ſagen, daß die Sprache wenig Aufſchlüſſe gewähren wird. Für den Begriff des Rechts wie die meiſten Inſtitute deſſelben hat jede indogermaniſche Sprache eine andere, dieſelben von einer verſchiedenen Seite auffaſſende Bezeichnung. Was alſo auch die indogermaniſche Völker-Fa- milie an gemeinſamen Rechtseinrichtungen urſprünglich beſaß: die Thätigkeit der Sprache in der Bezeichnung derſelben d. h. das Erwachen des Bewußtſeins über dieſelben fällt in die Zeit nach der Trennung. Dies gilt nun insbeſondere auch von dem Verhältniß des griechiſchen zum römiſchen Recht. So groß auch die Zahl der in der griechiſchen und lateiniſchen Sprache gleich 221) 222) Pott hat ſich an vielen Stellen ſeines oft citirten Werkes hierüber ausgeſprochen z. B. B. 1. S. XXVIII, S. 75, B. 2. S. 433 u. fl. 223) Ein gewiſſer Grad der Cultur war damals bereits erreicht. Das Gottesbewußtſein war entwickelt (in den meiſten Sprachen hat ſich noch das Wort dewa, Gott, erhalten. Pott B. 1. S. LVI), die Stufe des Noma- denthums zurückgelegt, man kannte Häuſer, Dörfer, den Pflug, Müh- len u. ſ. w. Vergleiche hierüber Kuhn zur älteſten Geſchichte der indogerma- niſchen Völker. S. 12, 16, 17. 221) ſtitute ſelbſt einen ſehr nachtheiligen Einfluß ausgeübt; namentlich in Hüll- manns Grundverfaſſung und Ballhorn-Roſen über dominium.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/308>, abgerufen am 25.11.2024.