Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.3. Das religiöse Prinzip -- der homo sacer. §. 18. so wird dies darin seine Rechtfertigung finden, daß es sich hiernicht um vereinzelte Spuren des religiösen Prinzips handelt, sondern um eine Fundamentalanschauung, einen uns bisher noch unbekannt gebliebenen Ausgangspunkt des ganzen Straf- rechts. Nicht jedes Unrecht oder Vergehn, wenn es auch die vin- Die Sacertät war meiner Ansicht nach die nothwendige Jhering, Geist d. röm. Rechts. 18
3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18. ſo wird dies darin ſeine Rechtfertigung finden, daß es ſich hiernicht um vereinzelte Spuren des religiöſen Prinzips handelt, ſondern um eine Fundamentalanſchauung, einen uns bisher noch unbekannt gebliebenen Ausgangspunkt des ganzen Straf- rechts. Nicht jedes Unrecht oder Vergehn, wenn es auch die vin- Die Sacertät war meiner Anſicht nach die nothwendige Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 18
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3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18.
ſo wird dies darin ſeine Rechtfertigung finden, daß es ſich hier
nicht um vereinzelte Spuren des religiöſen Prinzips handelt,
ſondern um eine Fundamentalanſchauung, einen uns bisher
noch unbekannt gebliebenen Ausgangspunkt des ganzen Straf-
rechts.
Nicht jedes Unrecht oder Vergehn, wenn es auch die vin-
dicta des Einzelnen wie des Volks oder die Strafgewalt des
Königs in Thätigkeit verſetzte, erſchien als ein Frevel gegen die
Götter. Der Dieb, der Räuber hatten ſich gegen Menſchen ver-
gangen, und Menſchen forderten Strafe von ihnen. Aber ge-
wiſſe Verbrechen ſchloſſen zugleich eine Verletzung der Götter
in ſich und zogen den Zorn und die Rache derſelben auf das
ſchuldige Haupt herab. Die Entweihung der Altäre, die Schän-
dung einer veſtaliſchen Jungfrau enthielt einen unmittelbaren
Frevel gegen die Götter, der Fluch der von ihren Kindern miß-
handelten Eltern, die Klagen des von ſeinem Patron verrathe-
nen Clienten drangen zu ihrem Ohr, vergoſſenes Blut ſchrie um
Rache gen Himmel. Welche Verbrechen alle dieſer Auffaſſung
unterlagen, können wir nicht mehr beſtimmen, aber der Unter-
ſchied der bloß gegen Menſchen und der zugleich auch gegen die
Götter gerichteten Verbrechen iſt völlig unzweifelhaft. Die Folge
dieſer letzteren, die wir fortan vorzugsweiſe Verbrechen nennen
werden, beſtand darin, daß der Verbrecher ein homo sacer
wurde d. i. den Göttern heilig, ihrer Rache verfallen. Es war
dies nicht ſowohl eine Strafe, als ein Zuſtand des Verbre-
chers, der mit ſeiner That ſelbſt gegeben war, der Zuſtand der
Verworfenheit und weltlicher und religiöſer Acht.
Die Sacertät war meiner Anſicht nach die nothwendige
Folge einer jeden That, die im Geiſte der ältern Auffaſſung als
Verbrechen betrachtet wurde. Der Verbrecher hatte die Rache
der Götter und Menſchen auf ſich geladen und war, ſo lange
er ſich nicht mit beiden ausgeſöhnt hatte, von ihrer Gemein-
ſchaft ausgeſchloſſen. Nicht nahen durfte ſich der Unreine den
Altären, um durch Opfer die zürnenden Götter zu erwei-
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 18
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