Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. Volks von den Fetialen (das foedus). 194) Gerade für das Völker-recht, das den Gedanken des Rechts zu allen Zeiten am mühsam- sten realisirt, war die Unterstützung von Seiten der Religion am unentbehrlichsten. Die beiderseitigen Götter überwachten die beschwornen Verträge, und darum wurden auch die Urkun- den derselben im Tempel des capitolinischen Jupiter, diesem religiösen Centralpunkt des gesammten Staates, aufbewahrt. 195) Erhebung eines Krieges gegen ein Volk, mit dem früher ein solcher Vertrag abgeschlossen, war daher eine religiöse Frage und erforderte zunächst einen religiös-völkerrechtlichen Prozeß gegen das wortbrüchige Volk und sodann den Ausspruch der Fetialen, daß der Krieg ein purum piumque bellum sei. Der beschlossene Krieg ward von ihnen in feierlicher Weise angekün- digt. So kleidete sich Krieg und Frieden in religiöse Formen! Der Theil des Rechts, an dem der Einfluß religiöser Ideen 194) Beruhte der Name des pater patratus, der den Eid ableistete, vielleicht auf der Idee, daß er das römische Volk nach außen hin ebenso ver- trete, wie der Vater seine Kinder? Die völkerrechtliche noxae deditio wäre dadurch mit der privatrechtlichen von Seiten des Vaters auf denselben Ge- sichtspunkt zurückgeführt. 195) Hartung Relig. der Römer Bd. 2 S. 11. 196) Sie sind bereits gelegentlich angegeben, nämlich die Eingehung
der Ehe durch confarreatio, die eidliche Bekräftigung der Verträge, die Zu- ziehung der Pontifices zur arrogatio und zum testamentum in comitiis ca- latis. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. Volks von den Fetialen (das foedus). 194) Gerade für das Völker-recht, das den Gedanken des Rechts zu allen Zeiten am mühſam- ſten realiſirt, war die Unterſtützung von Seiten der Religion am unentbehrlichſten. Die beiderſeitigen Götter überwachten die beſchwornen Verträge, und darum wurden auch die Urkun- den derſelben im Tempel des capitoliniſchen Jupiter, dieſem religiöſen Centralpunkt des geſammten Staates, aufbewahrt. 195) Erhebung eines Krieges gegen ein Volk, mit dem früher ein ſolcher Vertrag abgeſchloſſen, war daher eine religiöſe Frage und erforderte zunächſt einen religiös-völkerrechtlichen Prozeß gegen das wortbrüchige Volk und ſodann den Ausſpruch der Fetialen, daß der Krieg ein purum piumque bellum ſei. Der beſchloſſene Krieg ward von ihnen in feierlicher Weiſe angekün- digt. So kleidete ſich Krieg und Frieden in religiöſe Formen! Der Theil des Rechts, an dem der Einfluß religiöſer Ideen 194) Beruhte der Name des pater patratus, der den Eid ableiſtete, vielleicht auf der Idee, daß er das römiſche Volk nach außen hin ebenſo ver- trete, wie der Vater ſeine Kinder? Die völkerrechtliche noxae deditio wäre dadurch mit der privatrechtlichen von Seiten des Vaters auf denſelben Ge- ſichtspunkt zurückgeführt. 195) Hartung Relig. der Römer Bd. 2 S. 11. 196) Sie ſind bereits gelegentlich angegeben, nämlich die Eingehung
der Ehe durch confarreatio, die eidliche Bekräftigung der Verträge, die Zu- ziehung der Pontifices zur arrogatio und zum testamentum in comitiis ca- latis. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0290" n="272"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> Volks von den Fetialen (das <hi rendition="#aq">foedus</hi>). <note place="foot" n="194)">Beruhte der Name des <hi rendition="#aq">pater patratus,</hi> der den Eid ableiſtete,<lb/> vielleicht auf der Idee, daß er das römiſche Volk nach außen hin ebenſo ver-<lb/> trete, wie der Vater ſeine Kinder? Die völkerrechtliche <hi rendition="#aq">noxae deditio</hi> wäre<lb/> dadurch mit der privatrechtlichen von Seiten des Vaters auf denſelben Ge-<lb/> ſichtspunkt zurückgeführt.</note> Gerade für das Völker-<lb/> recht, das den Gedanken des Rechts zu allen Zeiten am mühſam-<lb/> ſten realiſirt, war die Unterſtützung von Seiten der Religion<lb/> am unentbehrlichſten. Die beiderſeitigen Götter überwachten<lb/> die beſchwornen Verträge, und darum wurden auch die Urkun-<lb/> den derſelben im Tempel des capitoliniſchen Jupiter, dieſem<lb/> religiöſen Centralpunkt des geſammten Staates, aufbewahrt. <note place="foot" n="195)">Hartung Relig. der Römer Bd. 2 S. 11.</note><lb/> Erhebung eines Krieges gegen ein Volk, mit dem früher ein<lb/> ſolcher Vertrag abgeſchloſſen, war daher eine religiöſe Frage<lb/> und erforderte zunächſt einen religiös-völkerrechtlichen Prozeß<lb/> gegen das wortbrüchige Volk und ſodann den Ausſpruch der<lb/> Fetialen, daß der Krieg ein <hi rendition="#aq">purum piumque bellum</hi> ſei. Der<lb/> beſchloſſene Krieg ward von ihnen in feierlicher Weiſe angekün-<lb/> digt. So kleidete ſich Krieg und Frieden in religiöſe Formen!</p><lb/> <p>Der Theil des Rechts, an dem der Einfluß religiöſer Ideen<lb/> bei allen Völkern auf einer gewiſſen Stufe ihrer Entwicklung<lb/> in beſonders hohem Grade hervortritt, iſt das Strafrecht. Auch<lb/> das römiſche Recht beſtätigt dieſe Beobachtung. Im Privat-<lb/> recht ſind nur mit Mühe einige religiöſe Beziehungen und Spu-<lb/> ren wahrnehmbar, <note place="foot" n="196)">Sie ſind bereits gelegentlich angegeben, nämlich die Eingehung<lb/> der Ehe durch <hi rendition="#aq">confarreatio,</hi> die eidliche Bekräftigung der Verträge, die Zu-<lb/> ziehung der Pontifices zur <hi rendition="#aq">arrogatio</hi> und zum <hi rendition="#aq">testamentum in comitiis ca-<lb/> latis.</hi></note> im Kriminalrecht hingegen hat die reli-<lb/> giöſe Anſchauung recht eigentlich ihren Sitz aufgeſchlagen. Die<lb/> beiden Grundbegriffe deſſelben, das Verbrechen und die Strafe,<lb/> erſcheinen der älteſten Zeit im Lichte dieſer Auffaſſung, das<lb/> Verbrechen als Vergehn gegen die Gottheit, die Strafe als<lb/> Sühnemittel. Wenn wir uns bei dieſem Punkt etwas verweilen,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [272/0290]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Volks von den Fetialen (das foedus). 194) Gerade für das Völker-
recht, das den Gedanken des Rechts zu allen Zeiten am mühſam-
ſten realiſirt, war die Unterſtützung von Seiten der Religion
am unentbehrlichſten. Die beiderſeitigen Götter überwachten
die beſchwornen Verträge, und darum wurden auch die Urkun-
den derſelben im Tempel des capitoliniſchen Jupiter, dieſem
religiöſen Centralpunkt des geſammten Staates, aufbewahrt. 195)
Erhebung eines Krieges gegen ein Volk, mit dem früher ein
ſolcher Vertrag abgeſchloſſen, war daher eine religiöſe Frage
und erforderte zunächſt einen religiös-völkerrechtlichen Prozeß
gegen das wortbrüchige Volk und ſodann den Ausſpruch der
Fetialen, daß der Krieg ein purum piumque bellum ſei. Der
beſchloſſene Krieg ward von ihnen in feierlicher Weiſe angekün-
digt. So kleidete ſich Krieg und Frieden in religiöſe Formen!
Der Theil des Rechts, an dem der Einfluß religiöſer Ideen
bei allen Völkern auf einer gewiſſen Stufe ihrer Entwicklung
in beſonders hohem Grade hervortritt, iſt das Strafrecht. Auch
das römiſche Recht beſtätigt dieſe Beobachtung. Im Privat-
recht ſind nur mit Mühe einige religiöſe Beziehungen und Spu-
ren wahrnehmbar, 196) im Kriminalrecht hingegen hat die reli-
giöſe Anſchauung recht eigentlich ihren Sitz aufgeſchlagen. Die
beiden Grundbegriffe deſſelben, das Verbrechen und die Strafe,
erſcheinen der älteſten Zeit im Lichte dieſer Auffaſſung, das
Verbrechen als Vergehn gegen die Gottheit, die Strafe als
Sühnemittel. Wenn wir uns bei dieſem Punkt etwas verweilen,
194) Beruhte der Name des pater patratus, der den Eid ableiſtete,
vielleicht auf der Idee, daß er das römiſche Volk nach außen hin ebenſo ver-
trete, wie der Vater ſeine Kinder? Die völkerrechtliche noxae deditio wäre
dadurch mit der privatrechtlichen von Seiten des Vaters auf denſelben Ge-
ſichtspunkt zurückgeführt.
195) Hartung Relig. der Römer Bd. 2 S. 11.
196) Sie ſind bereits gelegentlich angegeben, nämlich die Eingehung
der Ehe durch confarreatio, die eidliche Bekräftigung der Verträge, die Zu-
ziehung der Pontifices zur arrogatio und zum testamentum in comitiis ca-
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