Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. ist das jus canonicum des spätern; zu beiden Zeiten gab es dasjus utrumque, in dem sowohl geistliche wie weltliche Richter bewandert sein mußten. Zu dem jus pontificium, qua ex parte cum jure civili conjunctum esset (Cic. Brut. c. 42) gehörte, wie Rubino 167) bemerkt hat, namentlich das Familienrecht, und es finden sich noch in den Pandekten Spuren der Pontifi- caljurisprudenz. "Ob eine Ehe gültig vollzogen, um Rubino selbst reden zu lassen, ob ein Eheverbot überschritten sei, ob rechtmäßige Vaterschaft und Verwandschaft bestanden habe, war ebenso sehr von Einfluß auf die Verpflichtung zur Trauer, zur Vollziehung der Sacra, zur Expiation des Incestes, als auf bürgerliche Verhältnisse. Aehnliches mußte auch im Sachen- recht z. B. bei Eigenthumsfragen, so oft es sich um die Unter- scheidung heiliger Orte von Privatgrundstücken handelte, ins- besondere aber bei Erbschaften wegen der damit verbundenen Sacra und in vielen andern Fällen vorkommen. Hieraus mußte die Wechselwirkung entstehen, daß die an dem einen Ort an- genommenen Regeln an dem andern nicht unbeachtet bleiben konnten; es läßt sich jedoch voraussetzen, daß sich hierbei in ältern Zeiten das Uebergewicht auf die Seite der Priester, schon wegen ihrer umfassenden Gelehrsamkeit, neigte." Aber der Einfluß der Pontifices auf das Civilrecht war doch wohl ein noch unmittelbarerer, als hier angenommen ist; es gab wahr- scheinlich Klagen und Ansprüche, die, wie im Mittelalter, ur- sprünglich nur bei dem geistlichen Gericht erhoben werden konn- ten, 168) andere, die wenn auch beim weltlichen Gericht durch- 167) Rubino in seinem bekannten Werk S. 218 hat meines Wissens zuerst den Zusammenhang des jus civile mit dem jus pontificium in Anre- gung gebracht und an einzelnen Punkten nachgewiesen. Möchte er das Ver- dienst, das er sich dadurch erworben, noch erhöhen, indem er selbst sich zu einer umfassenderen Behandlung dieses Gegenstandes, von dem er mit Recht wichtige Aufschlüsse über den Entwicklungsgang der römischen Jurisprudenz erwartet, entschlösse! Hüllmanns "Jus pontificium der Römer" hat den Ge- genstand nach der Seite, nach der er uns hier interessirt, wenig gefördert. 168) Dies möchte ich z. B. annehmen hinsichtlich der Ansprüche, die
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. iſt das jus canonicum des ſpätern; zu beiden Zeiten gab es dasjus utrumque, in dem ſowohl geiſtliche wie weltliche Richter bewandert ſein mußten. Zu dem jus pontificium, qua ex parte cum jure civili conjunctum esset (Cic. Brut. c. 42) gehörte, wie Rubino 167) bemerkt hat, namentlich das Familienrecht, und es finden ſich noch in den Pandekten Spuren der Pontifi- caljurisprudenz. „Ob eine Ehe gültig vollzogen, um Rubino ſelbſt reden zu laſſen, ob ein Eheverbot überſchritten ſei, ob rechtmäßige Vaterſchaft und Verwandſchaft beſtanden habe, war ebenſo ſehr von Einfluß auf die Verpflichtung zur Trauer, zur Vollziehung der Sacra, zur Expiation des Inceſtes, als auf bürgerliche Verhältniſſe. Aehnliches mußte auch im Sachen- recht z. B. bei Eigenthumsfragen, ſo oft es ſich um die Unter- ſcheidung heiliger Orte von Privatgrundſtücken handelte, ins- beſondere aber bei Erbſchaften wegen der damit verbundenen Sacra und in vielen andern Fällen vorkommen. Hieraus mußte die Wechſelwirkung entſtehen, daß die an dem einen Ort an- genommenen Regeln an dem andern nicht unbeachtet bleiben konnten; es läßt ſich jedoch vorausſetzen, daß ſich hierbei in ältern Zeiten das Uebergewicht auf die Seite der Prieſter, ſchon wegen ihrer umfaſſenden Gelehrſamkeit, neigte.“ Aber der Einfluß der Pontifices auf das Civilrecht war doch wohl ein noch unmittelbarerer, als hier angenommen iſt; es gab wahr- ſcheinlich Klagen und Anſprüche, die, wie im Mittelalter, ur- ſprünglich nur bei dem geiſtlichen Gericht erhoben werden konn- ten, 168) andere, die wenn auch beim weltlichen Gericht durch- 167) Rubino in ſeinem bekannten Werk S. 218 hat meines Wiſſens zuerſt den Zuſammenhang des jus civile mit dem jus pontificium in Anre- gung gebracht und an einzelnen Punkten nachgewieſen. Möchte er das Ver- dienſt, das er ſich dadurch erworben, noch erhöhen, indem er ſelbſt ſich zu einer umfaſſenderen Behandlung dieſes Gegenſtandes, von dem er mit Recht wichtige Aufſchlüſſe über den Entwicklungsgang der römiſchen Jurisprudenz erwartet, entſchlöſſe! Hüllmanns „Jus pontificium der Römer“ hat den Ge- genſtand nach der Seite, nach der er uns hier intereſſirt, wenig gefördert. 168) Dies möchte ich z. B. annehmen hinſichtlich der Anſprüche, die
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
iſt das jus canonicum des ſpätern; zu beiden Zeiten gab es das
jus utrumque, in dem ſowohl geiſtliche wie weltliche Richter
bewandert ſein mußten. Zu dem jus pontificium, qua ex parte
cum jure civili conjunctum esset (Cic. Brut. c. 42) gehörte,
wie Rubino 167) bemerkt hat, namentlich das Familienrecht,
und es finden ſich noch in den Pandekten Spuren der Pontifi-
caljurisprudenz. „Ob eine Ehe gültig vollzogen, um Rubino
ſelbſt reden zu laſſen, ob ein Eheverbot überſchritten ſei, ob
rechtmäßige Vaterſchaft und Verwandſchaft beſtanden habe,
war ebenſo ſehr von Einfluß auf die Verpflichtung zur Trauer,
zur Vollziehung der Sacra, zur Expiation des Inceſtes, als
auf bürgerliche Verhältniſſe. Aehnliches mußte auch im Sachen-
recht z. B. bei Eigenthumsfragen, ſo oft es ſich um die Unter-
ſcheidung heiliger Orte von Privatgrundſtücken handelte, ins-
beſondere aber bei Erbſchaften wegen der damit verbundenen
Sacra und in vielen andern Fällen vorkommen. Hieraus mußte
die Wechſelwirkung entſtehen, daß die an dem einen Ort an-
genommenen Regeln an dem andern nicht unbeachtet bleiben
konnten; es läßt ſich jedoch vorausſetzen, daß ſich hierbei in
ältern Zeiten das Uebergewicht auf die Seite der Prieſter, ſchon
wegen ihrer umfaſſenden Gelehrſamkeit, neigte.“ Aber der
Einfluß der Pontifices auf das Civilrecht war doch wohl ein
noch unmittelbarerer, als hier angenommen iſt; es gab wahr-
ſcheinlich Klagen und Anſprüche, die, wie im Mittelalter, ur-
ſprünglich nur bei dem geiſtlichen Gericht erhoben werden konn-
ten, 168) andere, die wenn auch beim weltlichen Gericht durch-
167) Rubino in ſeinem bekannten Werk S. 218 hat meines Wiſſens
zuerſt den Zuſammenhang des jus civile mit dem jus pontificium in Anre-
gung gebracht und an einzelnen Punkten nachgewieſen. Möchte er das Ver-
dienſt, das er ſich dadurch erworben, noch erhöhen, indem er ſelbſt ſich zu
einer umfaſſenderen Behandlung dieſes Gegenſtandes, von dem er mit Recht
wichtige Aufſchlüſſe über den Entwicklungsgang der römiſchen Jurisprudenz
erwartet, entſchlöſſe! Hüllmanns „Jus pontificium der Römer“ hat den Ge-
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168) Dies möchte ich z. B. annehmen hinſichtlich der Anſprüche, die
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