Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
klar zu machen, der übrigens im Fas selbst nicht hervortritt. Zu dem Jus, das wir in §. 15 haben kennen lernen, gesellt sich also im Fas ein Seitenstück, und dieser Gegensatz ist von hoher Bedeutung. Er zeigt uns, daß die Scheidung zwischen profa- nem und religiösem Recht, die wir im Orient vergebens suchen, in Rom von altersher vollbracht ist.
Nicht das ganze Recht hat einen religiösen Charakter, die religiöse Substanz durchdringt, wenn ich so sagen darf, nicht mehr den ganzen Organismus, sondern Gott und Menschen, Religion und Staat haben sich bereits getheilt, eine Gränzschei- dung vorgenommen. Das Jus ist Menschensatzung und als solche veränderlich, bildsam. Die bindende Kraft desselben be- ruht auf der gemeinsamen Vereinbarung des Volks, die Nicht- achtung desselben verletzt bloß menschliche Interessen. Das Fas hingegen stützt sich auf den Willen der Götter, ist also unabän- derlich, insoweit nicht die Götter selbst eine Neuerung belieben; die Uebertretung desselben enthält einen Frevel gegen die Göt- ter. Mit dem Fas blickt das römische Recht, möchte ich sagen, nach dem Orient, mit dem Jus nach dem Occident; jenes ist die stabile, dieses die progressive Seite desselben. So bewährt also dieser sprachlich ausgeprägte, d. h. zum Bewußtsein ge- kommene Dualismus des Rechts, dem wir beim ersten Eintritt in unser Gebiet begegnen, bereits die zersetzende Kraft des rö- mischen Geistes. In culturhistorischer Beziehung ist er eine sehr beachtenswerthe Erscheinung und bezeichnet einen höchst wich- tigen Fortschritt des menschlichen Selbstbewußtseins.
Stellte dieser Dualismus sich nun auch äußerlich dar durch eine Verschiedenheit der Behörden, die die beiden Seiten des Rechts zur Anwendung zu bringen hatten? Allerdings. Zwar schloß das Königthum an sich auch die volle geistliche Gewalt in sich, allein wenn schon Romulus nach der Sage aus jeder Tribus einen Augur bestellt, wenn Numa das Pontificalcolle- gium und Ancus die Fetialen einführt, so heißt das nichts an- ders, als die Einsetzung dieser drei geistlichen Aemter verliert
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
klar zu machen, der übrigens im Fas ſelbſt nicht hervortritt. Zu dem Jus, das wir in §. 15 haben kennen lernen, geſellt ſich alſo im Fas ein Seitenſtück, und dieſer Gegenſatz iſt von hoher Bedeutung. Er zeigt uns, daß die Scheidung zwiſchen profa- nem und religiöſem Recht, die wir im Orient vergebens ſuchen, in Rom von altersher vollbracht iſt.
Nicht das ganze Recht hat einen religiöſen Charakter, die religiöſe Subſtanz durchdringt, wenn ich ſo ſagen darf, nicht mehr den ganzen Organismus, ſondern Gott und Menſchen, Religion und Staat haben ſich bereits getheilt, eine Gränzſchei- dung vorgenommen. Das Jus iſt Menſchenſatzung und als ſolche veränderlich, bildſam. Die bindende Kraft deſſelben be- ruht auf der gemeinſamen Vereinbarung des Volks, die Nicht- achtung deſſelben verletzt bloß menſchliche Intereſſen. Das Fas hingegen ſtützt ſich auf den Willen der Götter, iſt alſo unabän- derlich, inſoweit nicht die Götter ſelbſt eine Neuerung belieben; die Uebertretung deſſelben enthält einen Frevel gegen die Göt- ter. Mit dem Fas blickt das römiſche Recht, möchte ich ſagen, nach dem Orient, mit dem Jus nach dem Occident; jenes iſt die ſtabile, dieſes die progreſſive Seite deſſelben. So bewährt alſo dieſer ſprachlich ausgeprägte, d. h. zum Bewußtſein ge- kommene Dualismus des Rechts, dem wir beim erſten Eintritt in unſer Gebiet begegnen, bereits die zerſetzende Kraft des rö- miſchen Geiſtes. In culturhiſtoriſcher Beziehung iſt er eine ſehr beachtenswerthe Erſcheinung und bezeichnet einen höchſt wich- tigen Fortſchritt des menſchlichen Selbſtbewußtſeins.
Stellte dieſer Dualismus ſich nun auch äußerlich dar durch eine Verſchiedenheit der Behörden, die die beiden Seiten des Rechts zur Anwendung zu bringen hatten? Allerdings. Zwar ſchloß das Königthum an ſich auch die volle geiſtliche Gewalt in ſich, allein wenn ſchon Romulus nach der Sage aus jeder Tribus einen Augur beſtellt, wenn Numa das Pontificalcolle- gium und Ancus die Fetialen einführt, ſo heißt das nichts an- ders, als die Einſetzung dieſer drei geiſtlichen Aemter verliert
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
klar zu machen, der übrigens im Fas ſelbſt nicht hervortritt. Zu
dem Jus, das wir in §. 15 haben kennen lernen, geſellt ſich alſo
im Fas ein Seitenſtück, und dieſer Gegenſatz iſt von hoher
Bedeutung. Er zeigt uns, daß die Scheidung zwiſchen profa-
nem und religiöſem Recht, die wir im Orient vergebens ſuchen,
in Rom von altersher vollbracht iſt.
Nicht das ganze Recht hat einen religiöſen Charakter, die
religiöſe Subſtanz durchdringt, wenn ich ſo ſagen darf, nicht
mehr den ganzen Organismus, ſondern Gott und Menſchen,
Religion und Staat haben ſich bereits getheilt, eine Gränzſchei-
dung vorgenommen. Das Jus iſt Menſchenſatzung und als
ſolche veränderlich, bildſam. Die bindende Kraft deſſelben be-
ruht auf der gemeinſamen Vereinbarung des Volks, die Nicht-
achtung deſſelben verletzt bloß menſchliche Intereſſen. Das Fas
hingegen ſtützt ſich auf den Willen der Götter, iſt alſo unabän-
derlich, inſoweit nicht die Götter ſelbſt eine Neuerung belieben;
die Uebertretung deſſelben enthält einen Frevel gegen die Göt-
ter. Mit dem Fas blickt das römiſche Recht, möchte ich ſagen,
nach dem Orient, mit dem Jus nach dem Occident; jenes iſt
die ſtabile, dieſes die progreſſive Seite deſſelben. So bewährt
alſo dieſer ſprachlich ausgeprägte, d. h. zum Bewußtſein ge-
kommene Dualismus des Rechts, dem wir beim erſten Eintritt
in unſer Gebiet begegnen, bereits die zerſetzende Kraft des rö-
miſchen Geiſtes. In culturhiſtoriſcher Beziehung iſt er eine ſehr
beachtenswerthe Erſcheinung und bezeichnet einen höchſt wich-
tigen Fortſchritt des menſchlichen Selbſtbewußtſeins.
Stellte dieſer Dualismus ſich nun auch äußerlich dar durch
eine Verſchiedenheit der Behörden, die die beiden Seiten des
Rechts zur Anwendung zu bringen hatten? Allerdings. Zwar
ſchloß das Königthum an ſich auch die volle geiſtliche Gewalt
in ſich, allein wenn ſchon Romulus nach der Sage aus jeder
Tribus einen Augur beſtellt, wenn Numa das Pontificalcolle-
gium und Ancus die Fetialen einführt, ſo heißt das nichts an-
ders, als die Einſetzung dieſer drei geiſtlichen Aemter verliert
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/276>, abgerufen am 16.02.2025.
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