Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
Kein Wunder, daß es im Lauf der Zeit seinen Antheil an der Strafrechtspflege auf das Minimum beschränkt sah, das der König ihm einzuräumen für gut fand.
Hat uns die bisherige Darstellung gezeigt, daß die Wehr- verfassung mit ihrer Volkseintheilung und dem Königthum ei- nen bedeutenden Einfluß auf die äußere Organisation des Staats ausgeübt hat, so bleibt uns jetzt ihre mittelbare Einwirkung auf die Entwicklung des römischen Rechts, und so wenig die- selbe auf den ersten Blick in die Augen fällt, so wird man doch, wie ich glaube, bei näherer Prüfung nicht umhin können, sie als höchst nachhaltig und bedeutungsvoll anzuerkennen.
Mit der Wehrverfassung tritt auf dem Schauplatz der Bil- dungsgeschichte des Staats und Rechts, auf dem wir bisher nur das privatrechtliche Prinzip des subjektiven Willens in un- gehemmter Weise sich bewegen sahen, ein neues Prinzip auf, das der Ueber- und Unterordnung, zunächst zwar beschränkt auf den Kreis der militärischen Interessen, aber selbst in dieser Beschränkung ein heilsames Schutzmittel gegen die dem sub- jektiven Prinzip drohende Gefahr einer Selbstverzehrung, ge- gen den verführerischen Reiz, den berauschenden und zugleich schwächenden Einfluß einer zügellosen Begeisterung für Freiheit und Unabhängigkeit. Wir bedauern die Völker, in deren Brust nie der edle Funke einer solchen Begeisterung gefallen, dieser Funke, der wie ein elektrischer Strahl belebend, erwärmend und zündend durch den ganzen Organismus dringt; aber wehe andererseits den Völkern, in denen der Trieb der Freiheit kein Maß, kein Gegengewicht vorfindet und der Funke zur verzeh- renden Flamme emporlodert! Von den drei Völkern, dem grie- chischen, römischen und germanischen, die einst ein Volk bilde- ten, hatte jedes den Sinn für individuelle und politische Freiheit
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Kein Wunder, daß es im Lauf der Zeit ſeinen Antheil an der Strafrechtspflege auf das Minimum beſchränkt ſah, das der König ihm einzuräumen für gut fand.
Hat uns die bisherige Darſtellung gezeigt, daß die Wehr- verfaſſung mit ihrer Volkseintheilung und dem Königthum ei- nen bedeutenden Einfluß auf die äußere Organiſation des Staats ausgeübt hat, ſo bleibt uns jetzt ihre mittelbare Einwirkung auf die Entwicklung des römiſchen Rechts, und ſo wenig die- ſelbe auf den erſten Blick in die Augen fällt, ſo wird man doch, wie ich glaube, bei näherer Prüfung nicht umhin können, ſie als höchſt nachhaltig und bedeutungsvoll anzuerkennen.
Mit der Wehrverfaſſung tritt auf dem Schauplatz der Bil- dungsgeſchichte des Staats und Rechts, auf dem wir bisher nur das privatrechtliche Prinzip des ſubjektiven Willens in un- gehemmter Weiſe ſich bewegen ſahen, ein neues Prinzip auf, das der Ueber- und Unterordnung, zunächſt zwar beſchränkt auf den Kreis der militäriſchen Intereſſen, aber ſelbſt in dieſer Beſchränkung ein heilſames Schutzmittel gegen die dem ſub- jektiven Prinzip drohende Gefahr einer Selbſtverzehrung, ge- gen den verführeriſchen Reiz, den berauſchenden und zugleich ſchwächenden Einfluß einer zügelloſen Begeiſterung für Freiheit und Unabhängigkeit. Wir bedauern die Völker, in deren Bruſt nie der edle Funke einer ſolchen Begeiſterung gefallen, dieſer Funke, der wie ein elektriſcher Strahl belebend, erwärmend und zündend durch den ganzen Organismus dringt; aber wehe andererſeits den Völkern, in denen der Trieb der Freiheit kein Maß, kein Gegengewicht vorfindet und der Funke zur verzeh- renden Flamme emporlodert! Von den drei Völkern, dem grie- chiſchen, römiſchen und germaniſchen, die einſt ein Volk bilde- ten, hatte jedes den Sinn für individuelle und politiſche Freiheit
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Kein Wunder, daß es im Lauf der Zeit ſeinen Antheil an der
Strafrechtspflege auf das Minimum beſchränkt ſah, das der
König ihm einzuräumen für gut fand.
Hat uns die bisherige Darſtellung gezeigt, daß die Wehr-
verfaſſung mit ihrer Volkseintheilung und dem Königthum ei-
nen bedeutenden Einfluß auf die äußere Organiſation des Staats
ausgeübt hat, ſo bleibt uns jetzt ihre mittelbare Einwirkung
auf die Entwicklung des römiſchen Rechts, und ſo wenig die-
ſelbe auf den erſten Blick in die Augen fällt, ſo wird man doch,
wie ich glaube, bei näherer Prüfung nicht umhin können, ſie
als höchſt nachhaltig und bedeutungsvoll anzuerkennen.
Mit der Wehrverfaſſung tritt auf dem Schauplatz der Bil-
dungsgeſchichte des Staats und Rechts, auf dem wir bisher
nur das privatrechtliche Prinzip des ſubjektiven Willens in un-
gehemmter Weiſe ſich bewegen ſahen, ein neues Prinzip auf,
das der Ueber- und Unterordnung, zunächſt zwar beſchränkt
auf den Kreis der militäriſchen Intereſſen, aber ſelbſt in dieſer
Beſchränkung ein heilſames Schutzmittel gegen die dem ſub-
jektiven Prinzip drohende Gefahr einer Selbſtverzehrung, ge-
gen den verführeriſchen Reiz, den berauſchenden und zugleich
ſchwächenden Einfluß einer zügelloſen Begeiſterung für Freiheit
und Unabhängigkeit. Wir bedauern die Völker, in deren Bruſt
nie der edle Funke einer ſolchen Begeiſterung gefallen, dieſer
Funke, der wie ein elektriſcher Strahl belebend, erwärmend
und zündend durch den ganzen Organismus dringt; aber wehe
andererſeits den Völkern, in denen der Trieb der Freiheit kein
Maß, kein Gegengewicht vorfindet und der Funke zur verzeh-
renden Flamme emporlodert! Von den drei Völkern, dem grie-
chiſchen, römiſchen und germaniſchen, die einſt ein Volk bilde-
ten, hatte jedes den Sinn für individuelle und politiſche Freiheit
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/270>, abgerufen am 16.02.2025.
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