mitien wirklich eine Abstimmung erfolgt sei, so darf wegen der nähern Begründung dieser Behauptung auf §. 11 u. 15 verwie- sen und mag an dieser Stelle nur darauf aufmerksam gemacht werden, wie sehr uns auch die Stellung der Gens zu derselben Annahme drängt.
Wir haben im bisherigen die innere Organisation der Gens betrachtet, und damit ist das Wesentliche der Gentilver- fassung angegeben. Das Verhältniß der Gentes zum Ge- sammtstaat läßt sich für unsern Zweck mit wenig Worten erle- digen. Letzterer ist ein Staatenbund, der seinem letzten Grunde nach auf den Gentes beruht. Nach den Gentes sind die Rechte und Lasten des Staats vertheilt, mit dem einzelnen Bürger steht der Staat in keiner unmittelbaren politischen Beziehung. Die Curien und Tribus sind Zusammensetzungen der Gentes, deren ursprüngliches Motiv ich in dem Interesse der Wehrverfassung erblicke; ihre politische Bedeutung und ihre corporative In- nigkeit tritt gegen die der Gentes ganz in den Hintergrund. Letztere sind sittlich und juristisch am stärksten entwickelt, die Verbindung wird loser, je weiter sie hinaufsteigt, und der Ge- sammtstaat steht nicht über den Gentes, sondern besteht aus ihnen d. h. seine Macht ist nur die Summe der ihrigen. Wie die Gens nur ein coordinirtes Verhältniß der Gentilen begrün- det, so auch der Gesammtstaat nur eine coordinirte Verbindung der einzelnen Gentes. Die weitere Ausführung dieses Ge- dankens verschieben wir passender auf den nächsten Paragraphen und gedenken hier nur noch, bevor wir die Gens verlassen, der Rückwirkung, die sie unserer Ansicht nach auf die Familie aus- geübt hat.
Im ältern römischen Recht hat sich die Familie von ihrer natürlichen Basis, der Blutsverwandtschaft, weit entfernt. Blutsverwandtschaft ist hier eine so ziemlich gleichgültige That- sache geworden; die civilen Verwandten, die Agnaten, haben
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
mitien wirklich eine Abſtimmung erfolgt ſei, ſo darf wegen der nähern Begründung dieſer Behauptung auf §. 11 u. 15 verwie- ſen und mag an dieſer Stelle nur darauf aufmerkſam gemacht werden, wie ſehr uns auch die Stellung der Gens zu derſelben Annahme drängt.
Wir haben im bisherigen die innere Organiſation der Gens betrachtet, und damit iſt das Weſentliche der Gentilver- faſſung angegeben. Das Verhältniß der Gentes zum Ge- ſammtſtaat läßt ſich für unſern Zweck mit wenig Worten erle- digen. Letzterer iſt ein Staatenbund, der ſeinem letzten Grunde nach auf den Gentes beruht. Nach den Gentes ſind die Rechte und Laſten des Staats vertheilt, mit dem einzelnen Bürger ſteht der Staat in keiner unmittelbaren politiſchen Beziehung. Die Curien und Tribus ſind Zuſammenſetzungen der Gentes, deren urſprüngliches Motiv ich in dem Intereſſe der Wehrverfaſſung erblicke; ihre politiſche Bedeutung und ihre corporative In- nigkeit tritt gegen die der Gentes ganz in den Hintergrund. Letztere ſind ſittlich und juriſtiſch am ſtärkſten entwickelt, die Verbindung wird loſer, je weiter ſie hinaufſteigt, und der Ge- ſammtſtaat ſteht nicht über den Gentes, ſondern beſteht aus ihnen d. h. ſeine Macht iſt nur die Summe der ihrigen. Wie die Gens nur ein coordinirtes Verhältniß der Gentilen begrün- det, ſo auch der Geſammtſtaat nur eine coordinirte Verbindung der einzelnen Gentes. Die weitere Ausführung dieſes Ge- dankens verſchieben wir paſſender auf den nächſten Paragraphen und gedenken hier nur noch, bevor wir die Gens verlaſſen, der Rückwirkung, die ſie unſerer Anſicht nach auf die Familie aus- geübt hat.
Im ältern römiſchen Recht hat ſich die Familie von ihrer natürlichen Baſis, der Blutsverwandtſchaft, weit entfernt. Blutsverwandtſchaft iſt hier eine ſo ziemlich gleichgültige That- ſache geworden; die civilen Verwandten, die Agnaten, haben
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
mitien wirklich eine Abſtimmung erfolgt ſei, ſo darf wegen der
nähern Begründung dieſer Behauptung auf §. 11 u. 15 verwie-
ſen und mag an dieſer Stelle nur darauf aufmerkſam gemacht
werden, wie ſehr uns auch die Stellung der Gens zu derſelben
Annahme drängt.
Wir haben im bisherigen die innere Organiſation der
Gens betrachtet, und damit iſt das Weſentliche der Gentilver-
faſſung angegeben. Das Verhältniß der Gentes zum Ge-
ſammtſtaat läßt ſich für unſern Zweck mit wenig Worten erle-
digen. Letzterer iſt ein Staatenbund, der ſeinem letzten Grunde
nach auf den Gentes beruht. Nach den Gentes ſind die Rechte
und Laſten des Staats vertheilt, mit dem einzelnen Bürger ſteht
der Staat in keiner unmittelbaren politiſchen Beziehung. Die
Curien und Tribus ſind Zuſammenſetzungen der Gentes, deren
urſprüngliches Motiv ich in dem Intereſſe der Wehrverfaſſung
erblicke; ihre politiſche Bedeutung und ihre corporative In-
nigkeit tritt gegen die der Gentes ganz in den Hintergrund.
Letztere ſind ſittlich und juriſtiſch am ſtärkſten entwickelt, die
Verbindung wird loſer, je weiter ſie hinaufſteigt, und der Ge-
ſammtſtaat ſteht nicht über den Gentes, ſondern beſteht aus
ihnen d. h. ſeine Macht iſt nur die Summe der ihrigen. Wie
die Gens nur ein coordinirtes Verhältniß der Gentilen begrün-
det, ſo auch der Geſammtſtaat nur eine coordinirte Verbindung
der einzelnen Gentes. Die weitere Ausführung dieſes Ge-
dankens verſchieben wir paſſender auf den nächſten Paragraphen
und gedenken hier nur noch, bevor wir die Gens verlaſſen, der
Rückwirkung, die ſie unſerer Anſicht nach auf die Familie aus-
geübt hat.
Im ältern römiſchen Recht hat ſich die Familie von ihrer
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Blutsverwandtſchaft iſt hier eine ſo ziemlich gleichgültige That-
ſache geworden; die civilen Verwandten, die Agnaten, haben
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/208>, abgerufen am 26.07.2024.
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