Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Der Staat -- 1. Familienprinzip. Veräußerung d. Vermög. §. 14. nichts mehr begehrte, von dem durfte sie auch ihrerseits nichtsfordern. In dieser Freizügigkeit lag auch in der That keine sonderliche Gefahr, wie wir in §. 16 sehen werden. Ganz anders aber stand die Sache, wenn Jemand seine Gens ver- lassen wollte, nicht um sein Staatsbürgerrecht aufzugeben, son- dern um in eine andere Gens überzutreten; ein Erfolg, der auf dem Wege der Arrogation erreicht werden konnte, indem nämlich der Austretende sich von einem Mitgliede der neuen Gens als Sohn annehmen ließ. Sein ganzes Vermögen fiel damit dem Adoptivvater zu, kam also aus seiner bisherigen Gens heraus. 102) Derselbe Erfolg konnte dadurch eintreten, daß Jemand das Mitglied einer andern Gens zum Erben ein- setzte. In beiden Fällen hieng aber nach älterm Recht diese Disposition weder ganz von der Zustimmung der betheiligten Gens ab, noch war sie ganz ins Belieben des Subjekts ge- stellt. Das System der öffentlichen Garantie, das bereits S. 141 angedeutet ward, und das wir im folgenden Paragra- phen näher kennen lernen werden, gab dem Volk Gelegenheit, den Conflikt zwischen dem Interesse der Gens und dem Willen eines ihrer Mitglieder je nach Befund der Umstände zu Gunsten des einen oder andern Theils zu schlichten. Es konnte eben- sowohl Voraussetzungen geben, unter denen jene beiden Maß- regeln durchaus gerechtfertigt und wohl gar dem Interesse des Staats förderlich erschienen, als umgekehrte Fälle, in denen der Widerspruch der Gens zu respectiren war. Die der Ab- stimmung des Volks vorausgehende Verhandlung gab den interessirten Personen, wozu bei der Arrogation auch die Gläu- biger gehörten, Gelegenheit, ihr Interesse geltend zu machen. Wenn wir aber annehmen, daß ursprünglich in den zum Zweck der Testamentserrichtung und der Arrogation abgehaltenen Co- 102) Die in adoptionem datio konnte gleichfalls einen Uebertritt in
eine fremde Gens begründen, allein hier ging kein Vermögen mit über, weil der Haussohn vermögensunfähig war, und darum brauchte man hier dem Willen des Vaters keine Beschränkung aufzulegen. 2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Veräußerung d. Vermög. §. 14. nichts mehr begehrte, von dem durfte ſie auch ihrerſeits nichtsfordern. In dieſer Freizügigkeit lag auch in der That keine ſonderliche Gefahr, wie wir in §. 16 ſehen werden. Ganz anders aber ſtand die Sache, wenn Jemand ſeine Gens ver- laſſen wollte, nicht um ſein Staatsbürgerrecht aufzugeben, ſon- dern um in eine andere Gens überzutreten; ein Erfolg, der auf dem Wege der Arrogation erreicht werden konnte, indem nämlich der Austretende ſich von einem Mitgliede der neuen Gens als Sohn annehmen ließ. Sein ganzes Vermögen fiel damit dem Adoptivvater zu, kam alſo aus ſeiner bisherigen Gens heraus. 102) Derſelbe Erfolg konnte dadurch eintreten, daß Jemand das Mitglied einer andern Gens zum Erben ein- ſetzte. In beiden Fällen hieng aber nach älterm Recht dieſe Dispoſition weder ganz von der Zuſtimmung der betheiligten Gens ab, noch war ſie ganz ins Belieben des Subjekts ge- ſtellt. Das Syſtem der öffentlichen Garantie, das bereits S. 141 angedeutet ward, und das wir im folgenden Paragra- phen näher kennen lernen werden, gab dem Volk Gelegenheit, den Conflikt zwiſchen dem Intereſſe der Gens und dem Willen eines ihrer Mitglieder je nach Befund der Umſtände zu Gunſten des einen oder andern Theils zu ſchlichten. Es konnte eben- ſowohl Vorausſetzungen geben, unter denen jene beiden Maß- regeln durchaus gerechtfertigt und wohl gar dem Intereſſe des Staats förderlich erſchienen, als umgekehrte Fälle, in denen der Widerſpruch der Gens zu reſpectiren war. Die der Ab- ſtimmung des Volks vorausgehende Verhandlung gab den intereſſirten Perſonen, wozu bei der Arrogation auch die Gläu- biger gehörten, Gelegenheit, ihr Intereſſe geltend zu machen. Wenn wir aber annehmen, daß urſprünglich in den zum Zweck der Teſtamentserrichtung und der Arrogation abgehaltenen Co- 102) Die in adoptionem datio konnte gleichfalls einen Uebertritt in
eine fremde Gens begründen, allein hier ging kein Vermögen mit über, weil der Hausſohn vermögensunfähig war, und darum brauchte man hier dem Willen des Vaters keine Beſchränkung aufzulegen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0207" n="189"/><fw place="top" type="header">2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Veräußerung d. Vermög. §. 14.</fw><lb/> nichts mehr begehrte, von dem durfte ſie auch ihrerſeits nichts<lb/> fordern. In dieſer Freizügigkeit lag auch in der That keine<lb/> ſonderliche Gefahr, wie wir in §. 16 ſehen werden. Ganz<lb/> anders aber ſtand die Sache, wenn Jemand ſeine Gens ver-<lb/> laſſen wollte, nicht um ſein Staatsbürgerrecht aufzugeben, ſon-<lb/> dern um in eine andere Gens überzutreten; ein Erfolg, der<lb/> auf dem Wege der Arrogation erreicht werden konnte, indem<lb/> nämlich der Austretende ſich von einem Mitgliede der neuen<lb/> Gens als Sohn annehmen ließ. Sein ganzes Vermögen fiel<lb/> damit dem Adoptivvater zu, kam alſo aus ſeiner bisherigen<lb/> Gens heraus. <note place="foot" n="102)">Die <hi rendition="#aq">in adoptionem datio</hi> konnte gleichfalls einen Uebertritt in<lb/> eine fremde Gens begründen, allein hier ging kein Vermögen mit über, weil<lb/> der Hausſohn vermögensunfähig war, und darum brauchte man hier dem<lb/> Willen des Vaters keine Beſchränkung aufzulegen.</note> Derſelbe Erfolg konnte dadurch eintreten,<lb/> daß Jemand das Mitglied einer andern Gens zum Erben ein-<lb/> ſetzte. In beiden Fällen hieng aber nach älterm Recht dieſe<lb/> Dispoſition weder ganz von der Zuſtimmung der betheiligten<lb/> Gens ab, noch war ſie ganz ins Belieben des Subjekts ge-<lb/> ſtellt. Das Syſtem der öffentlichen Garantie, das bereits<lb/> S. 141 angedeutet ward, und das wir im folgenden Paragra-<lb/> phen näher kennen lernen werden, gab dem Volk Gelegenheit,<lb/> den Conflikt zwiſchen dem Intereſſe der Gens und dem Willen<lb/> eines ihrer Mitglieder je nach Befund der Umſtände zu Gunſten<lb/> des einen oder andern Theils zu ſchlichten. Es konnte eben-<lb/> ſowohl Vorausſetzungen geben, unter denen jene beiden Maß-<lb/> regeln durchaus gerechtfertigt und wohl gar dem Intereſſe des<lb/> Staats förderlich erſchienen, als umgekehrte Fälle, in denen<lb/> der Widerſpruch der Gens zu reſpectiren war. Die der Ab-<lb/> ſtimmung des Volks vorausgehende Verhandlung gab den<lb/> intereſſirten Perſonen, wozu bei der Arrogation auch die Gläu-<lb/> biger gehörten, Gelegenheit, ihr Intereſſe geltend zu machen.<lb/> Wenn wir aber annehmen, daß urſprünglich in den zum Zweck<lb/> der Teſtamentserrichtung und der Arrogation abgehaltenen Co-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [189/0207]
2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Veräußerung d. Vermög. §. 14.
nichts mehr begehrte, von dem durfte ſie auch ihrerſeits nichts
fordern. In dieſer Freizügigkeit lag auch in der That keine
ſonderliche Gefahr, wie wir in §. 16 ſehen werden. Ganz
anders aber ſtand die Sache, wenn Jemand ſeine Gens ver-
laſſen wollte, nicht um ſein Staatsbürgerrecht aufzugeben, ſon-
dern um in eine andere Gens überzutreten; ein Erfolg, der
auf dem Wege der Arrogation erreicht werden konnte, indem
nämlich der Austretende ſich von einem Mitgliede der neuen
Gens als Sohn annehmen ließ. Sein ganzes Vermögen fiel
damit dem Adoptivvater zu, kam alſo aus ſeiner bisherigen
Gens heraus. 102) Derſelbe Erfolg konnte dadurch eintreten,
daß Jemand das Mitglied einer andern Gens zum Erben ein-
ſetzte. In beiden Fällen hieng aber nach älterm Recht dieſe
Dispoſition weder ganz von der Zuſtimmung der betheiligten
Gens ab, noch war ſie ganz ins Belieben des Subjekts ge-
ſtellt. Das Syſtem der öffentlichen Garantie, das bereits
S. 141 angedeutet ward, und das wir im folgenden Paragra-
phen näher kennen lernen werden, gab dem Volk Gelegenheit,
den Conflikt zwiſchen dem Intereſſe der Gens und dem Willen
eines ihrer Mitglieder je nach Befund der Umſtände zu Gunſten
des einen oder andern Theils zu ſchlichten. Es konnte eben-
ſowohl Vorausſetzungen geben, unter denen jene beiden Maß-
regeln durchaus gerechtfertigt und wohl gar dem Intereſſe des
Staats förderlich erſchienen, als umgekehrte Fälle, in denen
der Widerſpruch der Gens zu reſpectiren war. Die der Ab-
ſtimmung des Volks vorausgehende Verhandlung gab den
intereſſirten Perſonen, wozu bei der Arrogation auch die Gläu-
biger gehörten, Gelegenheit, ihr Intereſſe geltend zu machen.
Wenn wir aber annehmen, daß urſprünglich in den zum Zweck
der Teſtamentserrichtung und der Arrogation abgehaltenen Co-
102) Die in adoptionem datio konnte gleichfalls einen Uebertritt in
eine fremde Gens begründen, allein hier ging kein Vermögen mit über, weil
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