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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
folgen sollen. Zwar wurden diese Comitien nur zwei Mal im
Jahr gehalten, allein gerade darin liegt ein Argument für unsere
Ansicht. Denn wenn das Volk nichts bieten konnte, als ein
Zeugniß: in welchem Mißverhältniß stand zu dieser Gabe jene
Beschränkung auf zwei bestimmte Zeitpunkte im Jahr! Andere
Zeugen konnte man zuziehen, wenn das Bedürfniß drängte, oder
der Zufall den Abschluß eines Geschäfts herbeiführte. Warum
sich denn eines Zeugnisses wegen an das Volk wenden?

Nein, das Volk hatte etwas anderes zu bieten, als ein bloßes
Zeugniß, und die Thätigkeit desselben bestand nicht im bloßen
Hören, sondern erforderte Abstimmung, das Testament ward
durch eine lex genehmigt. Der Gesichtspunkt, daß das Testa-
ment eine lex sei, hat sich noch im spätern Recht in manchen
Punkten erhalten. An die Testamentszeugen wird, wie an das
Volk bei einem Gesetzvorschlage, eine "rogatio" gerichtet, die
Thätigkeit des Testators wird mit "legare" bezeichnet, seine
Anordnungen müssen in imperativischer Form gehalten sein, und
in seinen materiellen Wirkungen geht das Testament, wie erst
im zweiten System gezeigt werden kann, weit über die Kraft der
Privatgeschäfte hinaus und äußert eine Wirksamkeit, wie sie
sonst nur bei Gesetzen oder vom Volk ausgehenden Maßregeln
vorkömmt. 57) Vom Standpunkt des ältesten Rechts aus können
wir von zwei verschiedenen Seiten zu der Einsicht gelangen, daß
die Bestätigung des Testaments durch einen Beschluß des Volks
eine Consequenz dieses Rechts enthielt. Einmal nämlich von
Seiten des Familienprinzips als eine durch das Interesse der
Gentes gebotene Sicherungsmaßregel gegen die Willkühr letzt-
williger Dispositionen -- davon kann erst in §. 14 die Rede

57) Beispielshalber mache ich hier auf zwei Punkte aufmerksam. Der
Legatar erwirbt das Eigenthum der legirten Sache ipso jure ohne Besitzan-
eignung, was sonst nur bei Verleihungen von Seiten des Volks oder seiner
Beauftragten vorkömmt. Ferner tritt jedes Rechtsgeschäft des alten Rechts
sofort in Wirksamkeit, das Testament aber disponirt wie ein Gesetz über
zukünftige Verhältnisse.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
folgen ſollen. Zwar wurden dieſe Comitien nur zwei Mal im
Jahr gehalten, allein gerade darin liegt ein Argument für unſere
Anſicht. Denn wenn das Volk nichts bieten konnte, als ein
Zeugniß: in welchem Mißverhältniß ſtand zu dieſer Gabe jene
Beſchränkung auf zwei beſtimmte Zeitpunkte im Jahr! Andere
Zeugen konnte man zuziehen, wenn das Bedürfniß drängte, oder
der Zufall den Abſchluß eines Geſchäfts herbeiführte. Warum
ſich denn eines Zeugniſſes wegen an das Volk wenden?

Nein, das Volk hatte etwas anderes zu bieten, als ein bloßes
Zeugniß, und die Thätigkeit deſſelben beſtand nicht im bloßen
Hören, ſondern erforderte Abſtimmung, das Teſtament ward
durch eine lex genehmigt. Der Geſichtspunkt, daß das Teſta-
ment eine lex ſei, hat ſich noch im ſpätern Recht in manchen
Punkten erhalten. An die Teſtamentszeugen wird, wie an das
Volk bei einem Geſetzvorſchlage, eine „rogatio“ gerichtet, die
Thätigkeit des Teſtators wird mit „legare“ bezeichnet, ſeine
Anordnungen müſſen in imperativiſcher Form gehalten ſein, und
in ſeinen materiellen Wirkungen geht das Teſtament, wie erſt
im zweiten Syſtem gezeigt werden kann, weit über die Kraft der
Privatgeſchäfte hinaus und äußert eine Wirkſamkeit, wie ſie
ſonſt nur bei Geſetzen oder vom Volk ausgehenden Maßregeln
vorkömmt. 57) Vom Standpunkt des älteſten Rechts aus können
wir von zwei verſchiedenen Seiten zu der Einſicht gelangen, daß
die Beſtätigung des Teſtaments durch einen Beſchluß des Volks
eine Conſequenz dieſes Rechts enthielt. Einmal nämlich von
Seiten des Familienprinzips als eine durch das Intereſſe der
Gentes gebotene Sicherungsmaßregel gegen die Willkühr letzt-
williger Dispoſitionen — davon kann erſt in §. 14 die Rede

57) Beiſpielshalber mache ich hier auf zwei Punkte aufmerkſam. Der
Legatar erwirbt das Eigenthum der legirten Sache ipso jure ohne Beſitzan-
eignung, was ſonſt nur bei Verleihungen von Seiten des Volks oder ſeiner
Beauftragten vorkömmt. Ferner tritt jedes Rechtsgeſchäft des alten Rechts
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zukünftige Verhältniſſe.
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[138/0156] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. folgen ſollen. Zwar wurden dieſe Comitien nur zwei Mal im Jahr gehalten, allein gerade darin liegt ein Argument für unſere Anſicht. Denn wenn das Volk nichts bieten konnte, als ein Zeugniß: in welchem Mißverhältniß ſtand zu dieſer Gabe jene Beſchränkung auf zwei beſtimmte Zeitpunkte im Jahr! Andere Zeugen konnte man zuziehen, wenn das Bedürfniß drängte, oder der Zufall den Abſchluß eines Geſchäfts herbeiführte. Warum ſich denn eines Zeugniſſes wegen an das Volk wenden? Nein, das Volk hatte etwas anderes zu bieten, als ein bloßes Zeugniß, und die Thätigkeit deſſelben beſtand nicht im bloßen Hören, ſondern erforderte Abſtimmung, das Teſtament ward durch eine lex genehmigt. Der Geſichtspunkt, daß das Teſta- ment eine lex ſei, hat ſich noch im ſpätern Recht in manchen Punkten erhalten. An die Teſtamentszeugen wird, wie an das Volk bei einem Geſetzvorſchlage, eine „rogatio“ gerichtet, die Thätigkeit des Teſtators wird mit „legare“ bezeichnet, ſeine Anordnungen müſſen in imperativiſcher Form gehalten ſein, und in ſeinen materiellen Wirkungen geht das Teſtament, wie erſt im zweiten Syſtem gezeigt werden kann, weit über die Kraft der Privatgeſchäfte hinaus und äußert eine Wirkſamkeit, wie ſie ſonſt nur bei Geſetzen oder vom Volk ausgehenden Maßregeln vorkömmt. 57) Vom Standpunkt des älteſten Rechts aus können wir von zwei verſchiedenen Seiten zu der Einſicht gelangen, daß die Beſtätigung des Teſtaments durch einen Beſchluß des Volks eine Conſequenz dieſes Rechts enthielt. Einmal nämlich von Seiten des Familienprinzips als eine durch das Intereſſe der Gentes gebotene Sicherungsmaßregel gegen die Willkühr letzt- williger Dispoſitionen — davon kann erſt in §. 14 die Rede 57) Beiſpielshalber mache ich hier auf zwei Punkte aufmerkſam. Der Legatar erwirbt das Eigenthum der legirten Sache ipso jure ohne Beſitzan- eignung, was ſonſt nur bei Verleihungen von Seiten des Volks oder ſeiner Beauftragten vorkömmt. Ferner tritt jedes Rechtsgeſchäft des alten Rechts ſofort in Wirkſamkeit, das Teſtament aber disponirt wie ein Geſetz über zukünftige Verhältniſſe.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/156>, abgerufen am 27.11.2024.