Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. zu machen. 43) Auch die öffentliche Meinung und die Sitte warhier gewiß nicht ohne Einfluß. Hatte letztere, wie anzunehmen ist, wenigstens einige allgemeinere Anhaltspunkte für die Be- stimmung der Abfindungssumme aufgebracht, z. B. nach Ver- schiedenheit der Delikte das Vierfache, Doppelte des Schadens oder eine bestimmte Anzahl Rinder und Schaafe u. s. w., so mochte ein Einzelner, um die öffentliche Meinung nicht gegen sich zu erbittern, es nicht wagen, sich bei seiner Forderung gar zu weit von diesen Anhaltspunkten zu entfernen. Wir haben uns hier einen Handel zu denken, bei dem von der einen Seite vorgeschlagen, von der andern so lange accordirt ward, bis man endlich handelseinig geworden war. Der Ausdruck dafür war pacere, 44) pacisci, depecisci und für die Einigung selbst pactum. Die ursprüngliche Bedeutung von pactum ist also nicht die eines Vertrages überhaupt, sondern die von pax, Frieden, nämlich Beilegung der Feindseligkeiten; der "Vertrag" macht der "Un- verträglichkeit" ein Ende. 45) 43) Man nehme z. B. an, daß er dem ihm zugesprochenen Schuldner das doppelte von dem abforderte, was letzterer als Sklav werth war, und was er also bei dem vorgeschriebenen Verkauf trans Tiberim aus ihm lösen konnte. War letzterer alt und schwach, so brachte jener Verkauf wenig auf. Eine weise Bestimmung der XII Tafeln war die, daß sie die Frist, innerhalb deren der Gläubiger den Schuldner bei sich behalten durfte, fest bestimmten und zwar sehr eng zumaßen (60 Tage). Dem Gläubiger war damit das Mittel entzogen, den Schuldner durch fortgesetzte Quälereien mürbe zu machen, und andererseits mußte auch der Schuldner selbst innerhalb dieser 60 Tage seinen Entschluß fassen. Eine billige Auslösungssumme brachte letzterer innerhalb dieser Zeit vielleicht zusammen; wies der Gläubiger sie bis zu Ablauf der Frist von sich, so mußte er jenen Verkauf vornehmen, der ihm vielleicht viel weniger einbrachte. 44) Sanskr. Wurzel pac (binden), daher Sanskr. paca Strick. Pott a. a. O. B. 1 S. 267. 45) "Pactum" und "Vertrag", weisen also ursprünglich auf dieselbe
Idee hin, nämlich auf die des "sich vertragens" "pacem condere." Diesen ursprünglichen Begriff von pactum, der also ein bereits bestehendes Rechtsverhältniß voraussetzt und ein Ablassen von einem der Strenge nach zuständigen Recht in sich schließt, darf man für das römische Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. zu machen. 43) Auch die öffentliche Meinung und die Sitte warhier gewiß nicht ohne Einfluß. Hatte letztere, wie anzunehmen iſt, wenigſtens einige allgemeinere Anhaltspunkte für die Be- ſtimmung der Abfindungsſumme aufgebracht, z. B. nach Ver- ſchiedenheit der Delikte das Vierfache, Doppelte des Schadens oder eine beſtimmte Anzahl Rinder und Schaafe u. ſ. w., ſo mochte ein Einzelner, um die öffentliche Meinung nicht gegen ſich zu erbittern, es nicht wagen, ſich bei ſeiner Forderung gar zu weit von dieſen Anhaltspunkten zu entfernen. Wir haben uns hier einen Handel zu denken, bei dem von der einen Seite vorgeſchlagen, von der andern ſo lange accordirt ward, bis man endlich handelseinig geworden war. Der Ausdruck dafür war pacere, 44) pacisci, depecisci und für die Einigung ſelbſt pactum. Die urſprüngliche Bedeutung von pactum iſt alſo nicht die eines Vertrages überhaupt, ſondern die von pax, Frieden, nämlich Beilegung der Feindſeligkeiten; der „Vertrag“ macht der „Un- verträglichkeit“ ein Ende. 45) 43) Man nehme z. B. an, daß er dem ihm zugeſprochenen Schuldner das doppelte von dem abforderte, was letzterer als Sklav werth war, und was er alſo bei dem vorgeſchriebenen Verkauf trans Tiberim aus ihm löſen konnte. War letzterer alt und ſchwach, ſo brachte jener Verkauf wenig auf. Eine weiſe Beſtimmung der XII Tafeln war die, daß ſie die Friſt, innerhalb deren der Gläubiger den Schuldner bei ſich behalten durfte, feſt beſtimmten und zwar ſehr eng zumaßen (60 Tage). Dem Gläubiger war damit das Mittel entzogen, den Schuldner durch fortgeſetzte Quälereien mürbe zu machen, und andererſeits mußte auch der Schuldner ſelbſt innerhalb dieſer 60 Tage ſeinen Entſchluß faſſen. Eine billige Auslöſungsſumme brachte letzterer innerhalb dieſer Zeit vielleicht zuſammen; wies der Gläubiger ſie bis zu Ablauf der Friſt von ſich, ſo mußte er jenen Verkauf vornehmen, der ihm vielleicht viel weniger einbrachte. 44) Sanskr. Wurzel pac (binden), daher Sanskr. paca Strick. Pott a. a. O. B. 1 S. 267. 45) „Pactum“ und „Vertrag“, weiſen alſo urſprünglich auf dieſelbe
Idee hin, nämlich auf die des „ſich vertragens“ „pacem condere.“ Dieſen urſprünglichen Begriff von pactum, der alſo ein bereits beſtehendes Rechtsverhältniß vorausſetzt und ein Ablaſſen von einem der Strenge nach zuſtändigen Recht in ſich ſchließt, darf man für das römiſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0146" n="128"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.</fw><lb/> zu machen. <note place="foot" n="43)">Man nehme z. B. an, daß er dem ihm zugeſprochenen Schuldner<lb/> das doppelte von dem abforderte, was letzterer als Sklav werth war, und was<lb/> er alſo bei dem vorgeſchriebenen Verkauf <hi rendition="#aq">trans Tiberim</hi> aus ihm löſen konnte.<lb/> War letzterer alt und ſchwach, ſo brachte jener Verkauf wenig auf. Eine<lb/> weiſe Beſtimmung der <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln war die, daß ſie die Friſt, innerhalb deren<lb/> der Gläubiger den Schuldner bei ſich behalten durfte, feſt beſtimmten und<lb/> zwar ſehr eng zumaßen (60 Tage). Dem Gläubiger war damit das Mittel<lb/> entzogen, den Schuldner durch fortgeſetzte Quälereien mürbe zu machen, und<lb/> andererſeits mußte auch der Schuldner ſelbſt innerhalb dieſer 60 Tage ſeinen<lb/> Entſchluß faſſen. Eine billige Auslöſungsſumme brachte letzterer innerhalb<lb/> dieſer Zeit vielleicht zuſammen; wies der Gläubiger ſie bis zu Ablauf der<lb/> Friſt von ſich, ſo mußte er jenen Verkauf vornehmen, der ihm vielleicht viel<lb/> weniger einbrachte.</note> Auch die öffentliche Meinung und die Sitte war<lb/> hier gewiß nicht ohne Einfluß. Hatte letztere, wie anzunehmen<lb/> iſt, wenigſtens einige allgemeinere Anhaltspunkte für die Be-<lb/> ſtimmung der Abfindungsſumme aufgebracht, z. B. nach Ver-<lb/> ſchiedenheit der Delikte das Vierfache, Doppelte des Schadens<lb/> oder eine beſtimmte Anzahl Rinder und Schaafe u. ſ. w., ſo<lb/> mochte ein Einzelner, um die öffentliche Meinung nicht gegen<lb/> ſich zu erbittern, es nicht wagen, ſich bei ſeiner Forderung gar<lb/> zu weit von dieſen Anhaltspunkten zu entfernen. Wir haben<lb/> uns hier einen Handel zu denken, bei dem von der einen Seite<lb/> vorgeſchlagen, von der andern ſo lange accordirt ward, bis man<lb/> endlich handelseinig geworden war. Der Ausdruck dafür war<lb/><hi rendition="#aq">pacere,</hi> <note place="foot" n="44)">Sanskr. Wurzel <hi rendition="#aq">pac</hi> (binden), daher Sanskr. <hi rendition="#aq">paca</hi> Strick. Pott<lb/> a. a. O. B. 1 S. 267.</note> <hi rendition="#aq">pacisci, depecisci</hi> und für die Einigung ſelbſt <hi rendition="#aq">pactum.</hi><lb/> Die urſprüngliche Bedeutung von <hi rendition="#aq">pactum</hi> iſt alſo nicht die eines<lb/> Vertrages überhaupt, ſondern die von <hi rendition="#aq">pax,</hi> Frieden, nämlich<lb/> Beilegung der Feindſeligkeiten; der „Vertrag“ macht der „Un-<lb/> verträglichkeit“ ein Ende. <note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="45)"><hi rendition="#aq">„Pactum“</hi> und „Vertrag“, weiſen alſo urſprünglich auf dieſelbe<lb/> Idee hin, nämlich auf die des „ſich vertragens“ <hi rendition="#aq">„pacem condere.“</hi> Dieſen<lb/> urſprünglichen Begriff von <hi rendition="#aq">pactum,</hi> der alſo ein <hi rendition="#g">bereits beſtehendes<lb/> Rechtsverhältniß</hi> vorausſetzt und ein <hi rendition="#g">Ablaſſen</hi> von einem der Strenge<lb/> nach <hi rendition="#g">zuſtändigen Recht</hi> in ſich ſchließt, darf man für das römiſche</note></p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [128/0146]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
zu machen. 43) Auch die öffentliche Meinung und die Sitte war
hier gewiß nicht ohne Einfluß. Hatte letztere, wie anzunehmen
iſt, wenigſtens einige allgemeinere Anhaltspunkte für die Be-
ſtimmung der Abfindungsſumme aufgebracht, z. B. nach Ver-
ſchiedenheit der Delikte das Vierfache, Doppelte des Schadens
oder eine beſtimmte Anzahl Rinder und Schaafe u. ſ. w., ſo
mochte ein Einzelner, um die öffentliche Meinung nicht gegen
ſich zu erbittern, es nicht wagen, ſich bei ſeiner Forderung gar
zu weit von dieſen Anhaltspunkten zu entfernen. Wir haben
uns hier einen Handel zu denken, bei dem von der einen Seite
vorgeſchlagen, von der andern ſo lange accordirt ward, bis man
endlich handelseinig geworden war. Der Ausdruck dafür war
pacere, 44) pacisci, depecisci und für die Einigung ſelbſt pactum.
Die urſprüngliche Bedeutung von pactum iſt alſo nicht die eines
Vertrages überhaupt, ſondern die von pax, Frieden, nämlich
Beilegung der Feindſeligkeiten; der „Vertrag“ macht der „Un-
verträglichkeit“ ein Ende. 45)
43) Man nehme z. B. an, daß er dem ihm zugeſprochenen Schuldner
das doppelte von dem abforderte, was letzterer als Sklav werth war, und was
er alſo bei dem vorgeſchriebenen Verkauf trans Tiberim aus ihm löſen konnte.
War letzterer alt und ſchwach, ſo brachte jener Verkauf wenig auf. Eine
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der Gläubiger den Schuldner bei ſich behalten durfte, feſt beſtimmten und
zwar ſehr eng zumaßen (60 Tage). Dem Gläubiger war damit das Mittel
entzogen, den Schuldner durch fortgeſetzte Quälereien mürbe zu machen, und
andererſeits mußte auch der Schuldner ſelbſt innerhalb dieſer 60 Tage ſeinen
Entſchluß faſſen. Eine billige Auslöſungsſumme brachte letzterer innerhalb
dieſer Zeit vielleicht zuſammen; wies der Gläubiger ſie bis zu Ablauf der
Friſt von ſich, ſo mußte er jenen Verkauf vornehmen, der ihm vielleicht viel
weniger einbrachte.
44) Sanskr. Wurzel pac (binden), daher Sanskr. paca Strick. Pott
a. a. O. B. 1 S. 267.
45) „Pactum“ und „Vertrag“, weiſen alſo urſprünglich auf dieſelbe
Idee hin, nämlich auf die des „ſich vertragens“ „pacem condere.“ Dieſen
urſprünglichen Begriff von pactum, der alſo ein bereits beſtehendes
Rechtsverhältniß vorausſetzt und ein Ablaſſen von einem der Strenge
nach zuſtändigen Recht in ſich ſchließt, darf man für das römiſche
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