131. An Referendar Haering (Willibald Alexis) in Berlin.
Baireut d. 22ten Dec. 1820
Schon Ihr Brief allein hätte mich genugsam erfreuet durch den Ausdruck Ihres Wohlwollens und Ihrer Anspruchlosigkeit und so mancher andern zarten Seelenzüge, die man eben darum nicht wieder5 bezeichnen darf; zu welchem allen auch Ihr Besuchen und Grüßen der Fr. Rolwänzel gehört. Aber Ihr Gedicht besiegelte Ihren Brief; und ich fand dieselbe Gemüthlichkeit und Klarheit und Milde darin. Bei Ihrer Herrschaft über den Stoff dürfen Sie schon -- ob mir gleich die Wahl des Metrums und des Gegenstandes (Treib-Jagd) nicht recht10 zusagt -- einem von geschwefelten Weinen abgestumpften Publikum sich entgegenzusetzen wagen, im Falle dasselbe Ihre Gabe nicht genug würdigen sollte. Denken Sie mehr an die Pflege des Weinstocks als an ein falsches Schönen des Weins.
Es geh' Ihnen und Ihrer Muse recht wohl!15
Jean Paul Fr. Richter
Beiliegendes Briefchen bitt' ich Sie auf die Post zu schicken.
d. 26. Dec. N.S. Verzeihen Sie, daß ich in kein bestimmteres Lob Ihres heitern Gedichts eingegangen. Noch warten 2 Trauerspiele neben mir auf Lesen, Beurtheilen, und Ausstatten mit Vorreden und20 Verlegern; von welchem allen ich aber nichts thun kann als das erste.
*132. An Max Richter in Heidelberg.
Baireut d. 25 Dec. 1820
Mein guter Max! Deine Briefe haben mich sehr erfreuet und gerührt. Aber die theologische Kanne-gießerei, die du bei Feuerbach einsaugst,25 beängstigt mich für deine Jugend; eine unwiederbringliche Zeit, die du heiter ohne Mönchgrillen zubringen mußt, wenn nicht meine Erwar- tungen von dir untergehen sollen. Dieser immer und ewig einseitige Kanne ist gerade so schwärmerisch in seiner Theologie und sinnlosen Typologie und in dem erbärmlichen Leben seiner Heiligen, wie ers in seinen30 "Urkunden" war, wo er alle historische Personen des Alten Testaments für bloße astronomische Zeichen Sinnbilder ansah. Studiere doch die
131. An Referendar Haering (Willibald Alexis) in Berlin.
Baireut d. 22ten Dec. 1820
Schon Ihr Brief allein hätte mich genugſam erfreuet durch den Ausdruck Ihres Wohlwollens und Ihrer Anſpruchloſigkeit und ſo mancher andern zarten Seelenzüge, die man eben darum nicht wieder5 bezeichnen darf; zu welchem allen auch Ihr Beſuchen und Grüßen der Fr. Rolwänzel gehört. Aber Ihr Gedicht beſiegelte Ihren Brief; und ich fand dieſelbe Gemüthlichkeit und Klarheit und Milde darin. Bei Ihrer Herrſchaft über den Stoff dürfen Sie ſchon — ob mir gleich die Wahl des Metrums und des Gegenſtandes (Treib-Jagd) nicht recht10 zuſagt — einem von geſchwefelten Weinen abgeſtumpften Publikum ſich entgegenzuſetzen wagen, im Falle daſſelbe Ihre Gabe nicht genug würdigen ſollte. Denken Sie mehr an die Pflege des Weinſtocks als an ein falſches Schönen des Weins.
Es geh’ Ihnen und Ihrer Muſe recht wohl!15
Jean Paul Fr. Richter
Beiliegendes Briefchen bitt’ ich Sie auf die Poſt zu ſchicken.
d. 26. Dec. N.S. Verzeihen Sie, daß ich in kein beſtimmteres Lob Ihres heitern Gedichts eingegangen. Noch warten 2 Trauerſpiele neben mir auf Leſen, Beurtheilen, und Ausſtatten mit Vorreden und20 Verlegern; von welchem allen ich aber nichts thun kann als das erſte.
*132. An Max Richter in Heidelberg.
Baireut d. 25 Dec. 1820
Mein guter Max! Deine Briefe haben mich ſehr erfreuet und gerührt. Aber die theologiſche Kanne-gießerei, die du bei Feuerbach einſaugſt,25 beängſtigt mich für deine Jugend; eine unwiederbringliche Zeit, die du heiter ohne Mönchgrillen zubringen mußt, wenn nicht meine Erwar- tungen von dir untergehen ſollen. Dieſer immer und ewig einſeitige Kanne iſt gerade ſo ſchwärmeriſch in ſeiner Theologie und ſinnloſen Typologie und in dem erbärmlichen Leben ſeiner Heiligen, wie ers in ſeinen30 „Urkunden“ war, wo er alle hiſtoriſche Perſonen des Alten Teſtaments für bloße aſtronomiſche Zeichen 〈Sinnbilder〉 anſah. Studiere doch die
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131. An Referendar Haering (Willibald Alexis) in Berlin.
Baireut d. 22ten Dec. 1820
Schon Ihr Brief allein hätte mich genugſam erfreuet durch den
Ausdruck Ihres Wohlwollens und Ihrer Anſpruchloſigkeit und ſo
mancher andern zarten Seelenzüge, die man eben darum nicht wieder 5
bezeichnen darf; zu welchem allen auch Ihr Beſuchen und Grüßen der
Fr. Rolwänzel gehört. Aber Ihr Gedicht beſiegelte Ihren Brief; und
ich fand dieſelbe Gemüthlichkeit und Klarheit und Milde darin. Bei
Ihrer Herrſchaft über den Stoff dürfen Sie ſchon — ob mir gleich die
Wahl des Metrums und des Gegenſtandes (Treib-Jagd) nicht recht 10
zuſagt — einem von geſchwefelten Weinen abgeſtumpften Publikum
ſich entgegenzuſetzen wagen, im Falle daſſelbe Ihre Gabe nicht genug
würdigen ſollte. Denken Sie mehr an die Pflege des Weinſtocks als an
ein falſches Schönen des Weins.
Es geh’ Ihnen und Ihrer Muſe recht wohl! 15
Jean Paul Fr. Richter
Beiliegendes Briefchen bitt’ ich Sie auf die Poſt zu ſchicken.
d. 26. Dec. N.S. Verzeihen Sie, daß ich in kein beſtimmteres
Lob Ihres heitern Gedichts eingegangen. Noch warten 2 Trauerſpiele
neben mir auf Leſen, Beurtheilen, und Ausſtatten mit Vorreden und 20
Verlegern; von welchem allen ich aber nichts thun kann als das erſte.
*132. An Max Richter in Heidelberg.
Baireut d. 25 Dec. 1820
Mein guter Max! Deine Briefe haben mich ſehr erfreuet und gerührt.
Aber die theologiſche Kanne-gießerei, die du bei Feuerbach einſaugſt, 25
beängſtigt mich für deine Jugend; eine unwiederbringliche Zeit, die du
heiter ohne Mönchgrillen zubringen mußt, wenn nicht meine Erwar-
tungen von dir untergehen ſollen. Dieſer immer und ewig einſeitige
Kanne iſt gerade ſo ſchwärmeriſch in ſeiner Theologie und ſinnloſen
Typologie und in dem erbärmlichen Leben ſeiner Heiligen, wie ers in ſeinen 30
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/92>, abgerufen am 20.07.2024.
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