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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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doch so unsichtbar zu stechen, daß man ihn nicht fangen kann. Ein solcher
Mitarbeiter am Morgenblatt hat nun alle meine Lust, auch einer zu sein,
sehr geschwächt; und ich begreife an der Redakzion die Aufnahme einer
solchen Bosheit nicht. Welches Gift, besonders politisches, kann nun die
Hornisse nicht vollends aus dem "Damentaschenbuche" und aus dem5
"Kometen" destillieren, um es andern einzuflößen und anstatt wie die
neue Chemie die Lumpen in Zucker, umgekehrt den Zucker in Lumpen zu
verwandeln?

Verzeihen Sie meine Aufrichtigkeit. Leben Sie wohl.

Ihr10
ergebener
Jean Paul Fr. Richter
111. An Heinrich Voß in Heidelberg.

Mein guter Heinrich! Habe Dank für die "Wiederbringung aller15
Dinge" nicht so wol als deiner Briefe, ohne die ich ordentlich nicht recht
mehr leben kann. Denn sie bringen mir so viel Neues an Sachen und
Gedanken und so viel Altes, nämlich deine schöne Liebe. -- Tausend
Dank sei euch allen für die gegen meinen glücklichen Max gesagt! Ach
mit seinem Viertels-Glück hätt' ich in meiner farblosen Jugend ein20
ganzes gehabt.


Eben las ich im Morgenblatt N. 89. von Müllner eine Rezension
meiner Doppelwörter, die nichts als eine lange Lüge und Bosheit*) ist;
denn die Vorrede zur 3ten Auflage des Hesperus S. 11 hat ihn zum25
Feinde eingesäuert. Die Einkleidung einer so trocknen Sache, die selber
Thiersch gefiel, ist ihm verhaßt. Das Widerlegte behauptet er ohne
Weiteres nur zum 2ten male. Aber vollends das, was ich lange gegen
Wolke vertheidige, wie Rosenblatt, Rattenschwanz etc. (S. 57), läßt
er mich verwerfen und auf Rosblatt etc. dringen; und wieder umgekehrt30
läßt er mich Nüssebaum behaupten, indeß ich gerade auf das rechte
Nußbaum etc. etc. S. 141 so viel baue. Das Schlimmste ist, daß der

*) und Unwissenheit; so ist z. B. der Style de Marot bei den Franzosen kein
epigrammatischer, sondern ein altväterlicher lustiger.

doch ſo unſichtbar zu ſtechen, daß man ihn nicht fangen kann. Ein ſolcher
Mitarbeiter am Morgenblatt hat nun alle meine Luſt, auch einer zu ſein,
ſehr geſchwächt; und ich begreife an der Redakzion die Aufnahme einer
ſolchen Bosheit nicht. Welches Gift, beſonders politiſches, kann nun die
Horniſſe nicht vollends aus dem „Damentaſchenbuche“ und aus dem5
„Kometen“ deſtillieren, um es andern einzuflößen und anſtatt wie die
neue Chemie die Lumpen in Zucker, umgekehrt den Zucker in Lumpen zu
verwandeln?

Verzeihen Sie meine Aufrichtigkeit. Leben Sie wohl.

Ihr10
ergebener
Jean Paul Fr. Richter
111. An Heinrich Voß in Heidelberg.

Mein guter Heinrich! Habe Dank für die „Wiederbringung aller15
Dinge“ nicht ſo wol als deiner Briefe, ohne die ich ordentlich nicht recht
mehr leben kann. Denn ſie bringen mir ſo viel Neues an Sachen und
Gedanken und ſo viel Altes, nämlich deine ſchöne Liebe. — Tauſend
Dank ſei euch allen für die gegen meinen glücklichen Max geſagt! Ach
mit ſeinem Viertels-Glück hätt’ ich in meiner farbloſen Jugend ein20
ganzes gehabt.


Eben las ich im Morgenblatt N. 89. von Müllner eine Rezenſion
meiner Doppelwörter, die nichts als eine lange Lüge und Bosheit*) iſt;
denn die Vorrede zur 3ten Auflage des Hesperus S. 11 hat ihn zum25
Feinde eingeſäuert. Die Einkleidung einer ſo trocknen Sache, die ſelber
Thierſch gefiel, iſt ihm verhaßt. Das Widerlegte behauptet er ohne
Weiteres nur zum 2ten male. Aber vollends das, was ich lange gegen
Wolke vertheidige, wie Roſenblatt, Rattenſchwanz ꝛc. (S. 57), läßt
er mich verwerfen und auf Rosblatt ꝛc. dringen; und wieder umgekehrt30
läßt er mich Nüſſebaum behaupten, indeß ich gerade auf das rechte
Nußbaum ꝛc. ꝛc. S. 141 ſo viel baue. Das Schlimmſte iſt, daß der

*) und Unwiſſenheit; ſo iſt z. B. der Style de Marot bei den Franzoſen kein
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[75/0081] doch ſo unſichtbar zu ſtechen, daß man ihn nicht fangen kann. Ein ſolcher Mitarbeiter am Morgenblatt hat nun alle meine Luſt, auch einer zu ſein, ſehr geſchwächt; und ich begreife an der Redakzion die Aufnahme einer ſolchen Bosheit nicht. Welches Gift, beſonders politiſches, kann nun die Horniſſe nicht vollends aus dem „Damentaſchenbuche“ und aus dem 5 „Kometen“ deſtillieren, um es andern einzuflößen und anſtatt wie die neue Chemie die Lumpen in Zucker, umgekehrt den Zucker in Lumpen zu verwandeln? Verzeihen Sie meine Aufrichtigkeit. Leben Sie wohl. Ihr 10 ergebener Jean Paul Fr. Richter 111. An Heinrich Voß in Heidelberg. Baireut d. 30. Okt. 1820 Mein guter Heinrich! Habe Dank für die „Wiederbringung aller 15 Dinge“ nicht ſo wol als deiner Briefe, ohne die ich ordentlich nicht recht mehr leben kann. Denn ſie bringen mir ſo viel Neues an Sachen und Gedanken und ſo viel Altes, nämlich deine ſchöne Liebe. — Tauſend Dank ſei euch allen für die gegen meinen glücklichen Max geſagt! Ach mit ſeinem Viertels-Glück hätt’ ich in meiner farbloſen Jugend ein 20 ganzes gehabt. d. 1 Nov. Eben las ich im Morgenblatt N. 89. von Müllner eine Rezenſion meiner Doppelwörter, die nichts als eine lange Lüge und Bosheit *) iſt; denn die Vorrede zur 3ten Auflage des Hesperus S. 11 hat ihn zum 25 Feinde eingeſäuert. Die Einkleidung einer ſo trocknen Sache, die ſelber Thierſch gefiel, iſt ihm verhaßt. Das Widerlegte behauptet er ohne Weiteres nur zum 2ten male. Aber vollends das, was ich lange gegen Wolke vertheidige, wie Roſenblatt, Rattenſchwanz ꝛc. (S. 57), läßt er mich verwerfen und auf Rosblatt ꝛc. dringen; und wieder umgekehrt 30 läßt er mich Nüſſebaum behaupten, indeß ich gerade auf das rechte Nußbaum ꝛc. ꝛc. S. 141 ſo viel baue. Das Schlimmſte iſt, daß der *) und Unwiſſenheit; ſo iſt z. B. der Style de Marot bei den Franzoſen kein epigrammatiſcher, ſondern ein altväterlicher luſtiger.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/81>, abgerufen am 29.03.2024.