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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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muß man früh pflücken und zwar sogleich den Mai, denn der Juny
und July und ein Augusttheil versprechen wenig Sonne und selber wenig
Ernte. -- Aber diese Weissagung geb' ich nicht in das welke ein-
gerunzelte Abendblatt Hells, diese matte Ehrenbegräbnislampe um
literarische Scheinleichen unserer Zeit -- -- -- -- --5

Desto mehr erquickt mich der wackere Tieck mit seinen scharfen und
doch nicht zu scharfen Kritiken; wie Alexander nur von Apelles gemalt
sein wollte, so ist er der einzige rechte Shakespeare's Portrait-
maler.

Meinen herzlichsten Gruß Ihrem geliebten Gatten, der mit seinen10
trefflichen Gedichten gerade so oft erscheinen sollte als viele andere mit
ihren selten.

Grüßen Sie Tiedge und seine Gönnerin, die Familien Rosenberg
und Schwarz in Friedstein[, diesen] dreifachen Familienbund.

Liebe Marie! Sieh herein auf diese Zeile: ich grüße dich hier,15
Mariechen!

Und Sie, meine theure Luise, leben Sie heiter in dieser wechselnden
Welt!

Ihr
Jean Paul Fr. Richter20
*427. An Gottfried Weber in Darmstadt.

Für den Mai -- in diesem Jahre vielleicht der einzige genießbare
Monat -- ist meine Reise nach Darmstadt entschieden, das immer
stärker magnetisch mich zieht durch Gegend, Musik, Theater und25
Menschen. Und die gütige Einladung in Ihr Haus ist freilich ein freund-
schaftlicher Pol mehr. Nur folgen darf ich diesem nicht. Ein Sechziger
bedarf bei seinen vielen eigensinnigen Bedürfnissen so viele Freiheit,
daß er damit fremde stören muß. Sie werden aber genug für mich thun
-- beinahe so viel als wenn Sie ein Zimmer Ihres Hauses öffneten --30
wenn Sie im Vorbeigehen sich nach einem engen St. Marino-Stübchen
für mich umsehen, wo ich als Republikaner lebe und herrsche und bezahle
und keine Möbeln habe als ein altes Kanapee und ein gutes Bett und
eine unscheinbare Aufwartung. Und kaum dieß ist so nothwendig vor
meiner Ankunft, wenn man in Darmstadt einige Wahl unter den35

muß man früh pflücken und zwar ſogleich den Mai, denn der Juny
und July und ein Auguſttheil verſprechen wenig Sonne und ſelber wenig
Ernte. — Aber dieſe Weiſſagung geb’ ich nicht in das welke ein-
gerunzelte Abendblatt Hells, dieſe matte Ehrenbegräbnislampe um
literariſche Scheinleichen unſerer Zeit — — — — —5

Deſto mehr erquickt mich der wackere Tieck mit ſeinen ſcharfen und
doch nicht zu ſcharfen Kritiken; wie Alexander nur von Apelles gemalt
ſein wollte, ſo iſt er der einzige rechte Shakespeare’s Portrait-
maler.

Meinen herzlichſten Gruß Ihrem geliebten Gatten, der mit ſeinen10
trefflichen Gedichten gerade ſo oft erſcheinen ſollte als viele andere mit
ihren ſelten.

Grüßen Sie Tiedge und ſeine Gönnerin, die Familien Roſenberg
und Schwarz in Friedſtein[, dieſen] dreifachen Familienbund.

Liebe Marie! Sieh herein auf dieſe Zeile: ich grüße dich hier,15
Mariechen!

Und Sie, meine theure Luiſe, leben Sie heiter in dieſer wechſelnden
Welt!

Ihr
Jean Paul Fr. Richter20
*427. An Gottfried Weber in Darmſtadt.

Für den Mai — in dieſem Jahre vielleicht der einzige genießbare
Monat — iſt meine Reiſe nach Darmstadt entſchieden, das immer
ſtärker magnetiſch mich zieht durch Gegend, Muſik, Theater und25
Menſchen. Und die gütige Einladung in Ihr Haus iſt freilich ein freund-
ſchaftlicher Pol mehr. Nur folgen darf ich dieſem nicht. Ein Sechziger
bedarf bei ſeinen vielen eigenſinnigen Bedürfniſſen ſo viele Freiheit,
daß er damit fremde ſtören muß. Sie werden aber genug für mich thun
— beinahe ſo viel als wenn Sie ein Zimmer Ihres Hauſes öffneten —30
wenn Sie im Vorbeigehen ſich nach einem engen St. Marino-Stübchen
für mich umſehen, wo ich als Republikaner lebe und herrſche und bezahle
und keine Möbeln habe als ein altes Kanapée und ein gutes Bett und
eine unſcheinbare Aufwartung. Und kaum dieß iſt ſo nothwendig vor
meiner Ankunft, wenn man in Darmstadt einige Wahl unter den35

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[254/0266] muß man früh pflücken und zwar ſogleich den Mai, denn der Juny und July und ein Auguſttheil verſprechen wenig Sonne und ſelber wenig Ernte. — Aber dieſe Weiſſagung geb’ ich nicht in das welke ein- gerunzelte Abendblatt Hells, dieſe matte Ehrenbegräbnislampe um literariſche Scheinleichen unſerer Zeit — — — — — 5 Deſto mehr erquickt mich der wackere Tieck mit ſeinen ſcharfen und doch nicht zu ſcharfen Kritiken; wie Alexander nur von Apelles gemalt ſein wollte, ſo iſt er der einzige rechte Shakespeare’s Portrait- maler. Meinen herzlichſten Gruß Ihrem geliebten Gatten, der mit ſeinen 10 trefflichen Gedichten gerade ſo oft erſcheinen ſollte als viele andere mit ihren ſelten. Grüßen Sie Tiedge und ſeine Gönnerin, die Familien Roſenberg und Schwarz in Friedſtein[, dieſen] dreifachen Familienbund. Liebe Marie! Sieh herein auf dieſe Zeile: ich grüße dich hier, 15 Mariechen! Und Sie, meine theure Luiſe, leben Sie heiter in dieſer wechſelnden Welt! Ihr Jean Paul Fr. Richter 20 *427. An Gottfried Weber in Darmſtadt. Baireut d. 13ten Apr. 1824 Für den Mai — in dieſem Jahre vielleicht der einzige genießbare Monat — iſt meine Reiſe nach Darmstadt entſchieden, das immer ſtärker magnetiſch mich zieht durch Gegend, Muſik, Theater und 25 Menſchen. Und die gütige Einladung in Ihr Haus iſt freilich ein freund- ſchaftlicher Pol mehr. Nur folgen darf ich dieſem nicht. Ein Sechziger bedarf bei ſeinen vielen eigenſinnigen Bedürfniſſen ſo viele Freiheit, daß er damit fremde ſtören muß. Sie werden aber genug für mich thun — beinahe ſo viel als wenn Sie ein Zimmer Ihres Hauſes öffneten — 30 wenn Sie im Vorbeigehen ſich nach einem engen St. Marino-Stübchen für mich umſehen, wo ich als Republikaner lebe und herrſche und bezahle und keine Möbeln habe als ein altes Kanapée und ein gutes Bett und eine unſcheinbare Aufwartung. Und kaum dieß iſt ſo nothwendig vor meiner Ankunft, wenn man in Darmstadt einige Wahl unter den 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/266>, abgerufen am 03.05.2024.