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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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gießungen wünschen müssen. In meiner nächst künftigen "Selina"
(über die Unsterblichkeit) werd ich wol seinem Grabbilde begegnen, aber
ich weiß nicht, ob meine Schmerzen mir erlauben, es anzureden. O mein
Heinrich, mein Heinrich! Heidelberg kann ich nun nicht mehr sehen.
Es würden zwei Schwerter da durch meine Seele gehen.5

Aber im Frühling werd' ich den Rhein und also Kreuznach besuchen,
um den Bruder zu haben, und so viele zu sehen, welche ihm die Erden-
schwere seiner vorletzten Tage erleichtert haben. Grüßen Sie recht
innig Ihren Abraham, gegen welchen ich mein Schweigen nur gut-
machen, nicht entschuldigen kann.10

Mit einiger Angst geb' ich einen solchen Schatz wie die Briefe, der
nur einmal in der Welt ist, auf die Post und frankierte deßwegen nur
halb. Welchen Postwerth könnte man auf das Unschätzbare setzen? --
Mir senden Sie es, verehrte Freundin, der Sicherheit halber durch
einen der Reisenden zurück, welche gewöhnlich zu Ostern von Ihnen15
herkommen. Ostern bleibe zugleich die äußerste Gränze meiner
Entbehrung dieser geliebtesten Denkmäler.

Außer Grüßen an die Familien Schwarz und Paulus wünscht' ich
von Ihnen wol einige Nachrichten über diese meiner Dankbarkeit so
theuern Menschen, mit welchen, so wie mit Heidelberg, ich blos durch20
unsern Heinrich immer noch zusammengelebt.

Vater Voß sei herzlich gegrüßt, der sich seine Wunde an den Musen
heilt; und die Mutter Voß noch einmal, welche ihre an ihm und am
Gedanken der Ewigkeit mildert.

Ihr25
Jean Paul Fr. Richter
406. An Hofmaler Lorenz Kreul in Bayreuth.

Höchstgeschätzter Herr Hofmaler! Entschuldigen Sie es gütig mit
meinen Lese- und Schreibgeschäften, daß ich mehr Zeit zum Dankbriefe30
gebraucht als Sie zum Kunstwerke. Wär' ich eine Frau, so müßte sich
mein Dank verdoppeln, weil Ihr Kunstspiegel ganz anders als der
Nachttisch sammt seinem Spiegel verjüngt und Sie ein Gesicht aus dem
letzten Mond-Viertel des Lebens ins Voll-Licht zurück zu malen wissen.
Am meisten bewundere ich Ihre Kraft der Schnelligkeit, welche weniger35
Zeit braucht, einen Menschen durch die Zeichenfeder zu verdoppeln,

16*

gießungen wünſchen müſſen. In meiner nächſt künftigen „Selina“
(über die Unſterblichkeit) werd ich wol ſeinem Grabbilde begegnen, aber
ich weiß nicht, ob meine Schmerzen mir erlauben, es anzureden. O mein
Heinrich, mein Heinrich! Heidelberg kann ich nun nicht mehr ſehen.
Es würden zwei Schwerter da durch meine Seele gehen.5

Aber im Frühling werd’ ich den Rhein und alſo Kreuznach beſuchen,
um den Bruder zu haben, und ſo viele zu ſehen, welche ihm die Erden-
ſchwere ſeiner vorletzten Tage erleichtert haben. Grüßen Sie recht
innig Ihren Abraham, gegen welchen ich mein Schweigen nur gut-
machen, nicht entſchuldigen kann.10

Mit einiger Angſt geb’ ich einen ſolchen Schatz wie die Briefe, der
nur einmal in der Welt iſt, auf die Poſt und frankierte deßwegen nur
halb. Welchen Poſtwerth könnte man auf das Unſchätzbare ſetzen? —
Mir ſenden Sie es, verehrte Freundin, der Sicherheit halber durch
einen der Reiſenden zurück, welche gewöhnlich zu Oſtern von Ihnen15
herkommen. Oſtern bleibe zugleich die äußerſte Gränze meiner
Entbehrung dieſer geliebteſten Denkmäler.

Außer Grüßen an die Familien Schwarz und Paulus wünſcht’ ich
von Ihnen wol einige Nachrichten über dieſe meiner Dankbarkeit ſo
theuern Menſchen, mit welchen, ſo wie mit Heidelberg, ich blos durch20
unſern Heinrich immer noch zuſammengelebt.

Vater Voß ſei herzlich gegrüßt, der ſich ſeine Wunde an den Muſen
heilt; und die Mutter Voß noch einmal, welche ihre an ihm und am
Gedanken der Ewigkeit mildert.

Ihr25
Jean Paul Fr. Richter
406. An Hofmaler Lorenz Kreul in Bayreuth.

Höchſtgeſchätzter Herr Hofmaler! Entſchuldigen Sie es gütig mit
meinen Leſe- und Schreibgeſchäften, daß ich mehr Zeit zum Dankbriefe30
gebraucht als Sie zum Kunſtwerke. Wär’ ich eine Frau, ſo müßte ſich
mein Dank verdoppeln, weil Ihr Kunſtſpiegel ganz anders als der
Nachttiſch ſammt ſeinem Spiegel verjüngt und Sie ein Geſicht aus dem
letzten Mond-Viertel des Lebens ins Voll-Licht zurück zu malen wiſſen.
Am meiſten bewundere ich Ihre Kraft der Schnelligkeit, welche weniger35
Zeit braucht, einen Menſchen durch die Zeichenfeder zu verdoppeln,

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[243/0252] gießungen wünſchen müſſen. In meiner nächſt künftigen „Selina“ (über die Unſterblichkeit) werd ich wol ſeinem Grabbilde begegnen, aber ich weiß nicht, ob meine Schmerzen mir erlauben, es anzureden. O mein Heinrich, mein Heinrich! Heidelberg kann ich nun nicht mehr ſehen. Es würden zwei Schwerter da durch meine Seele gehen. 5 Aber im Frühling werd’ ich den Rhein und alſo Kreuznach beſuchen, um den Bruder zu haben, und ſo viele zu ſehen, welche ihm die Erden- ſchwere ſeiner vorletzten Tage erleichtert haben. Grüßen Sie recht innig Ihren Abraham, gegen welchen ich mein Schweigen nur gut- machen, nicht entſchuldigen kann. 10 Mit einiger Angſt geb’ ich einen ſolchen Schatz wie die Briefe, der nur einmal in der Welt iſt, auf die Poſt und frankierte deßwegen nur halb. Welchen Poſtwerth könnte man auf das Unſchätzbare ſetzen? — Mir ſenden Sie es, verehrte Freundin, der Sicherheit halber durch einen der Reiſenden zurück, welche gewöhnlich zu Oſtern von Ihnen 15 herkommen. Oſtern bleibe zugleich die äußerſte Gränze meiner Entbehrung dieſer geliebteſten Denkmäler. Außer Grüßen an die Familien Schwarz und Paulus wünſcht’ ich von Ihnen wol einige Nachrichten über dieſe meiner Dankbarkeit ſo theuern Menſchen, mit welchen, ſo wie mit Heidelberg, ich blos durch 20 unſern Heinrich immer noch zuſammengelebt. Vater Voß ſei herzlich gegrüßt, der ſich ſeine Wunde an den Muſen heilt; und die Mutter Voß noch einmal, welche ihre an ihm und am Gedanken der Ewigkeit mildert. Ihr 25 Jean Paul Fr. Richter 406. An Hofmaler Lorenz Kreul in Bayreuth. Baireut d. 25ten Nov. 1823 Höchſtgeſchätzter Herr Hofmaler! Entſchuldigen Sie es gütig mit meinen Leſe- und Schreibgeſchäften, daß ich mehr Zeit zum Dankbriefe 30 gebraucht als Sie zum Kunſtwerke. Wär’ ich eine Frau, ſo müßte ſich mein Dank verdoppeln, weil Ihr Kunſtſpiegel ganz anders als der Nachttiſch ſammt ſeinem Spiegel verjüngt und Sie ein Geſicht aus dem letzten Mond-Viertel des Lebens ins Voll-Licht zurück zu malen wiſſen. Am meiſten bewundere ich Ihre Kraft der Schnelligkeit, welche weniger 35 Zeit braucht, einen Menſchen durch die Zeichenfeder zu verdoppeln, 16*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/252>, abgerufen am 03.05.2024.