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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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Anerkennung oder auch Verkennung eines Kunstwerks kann die Welt
an Briefen und Urtheilen über dasselbe, zumal vom Verfasser selber,
Antheil nehmen. So warten Sie denn mit den Ihrigen, wie ich mit
meinem, bis das Werk lebendig vor Deutschland steht und spricht. Wäre
dann an meinem Lobwort darüber noch etwas gelegen: gern sprech'5
ich es öffentlich aus. -- Kein Verleger nähme Ihre Briefe wegen ihres
auf ein gar zu enges Publikum beschränkten Interesse an, sogar wenn
ich gegen meine Grundsätze eine Vorrede dazu schriebe; aber diese ver-
boten es mir schon seit Jahren, wie so manche Handschriftsteller be-
zeugen könnten, die eine foderten. -- Ihre vielseitige Belesenheit be-10
zeugt und vermehrt Ihre Geistes Freiheit.

Ihre orthographischen Neuerungen werden leicht bei den wichtigern
des Dialekts überwunden. Hochdeutsch wird zwar mit allen seinen
Übellauten den Thron fortbehaupten; aber das Altdeutsch mit seinen
noch in der Schweiz athmenden Wohllauten kann und soll durch die15
Dichtkunst uns vertraulicher genähert werden; und die Schweizer
selber [werden] Ihr patriotisches und Ihr dichterisches Feuer besonders
ehren und anfachen. Indeß würden Sie doch, glaub' ich, weit näher
Ihrem Sprachziele kommen auf dem Wege Hebels, der nur kurze
Dichtungen gab. Daß keine Nazion zwei Epopöen hat -- die franzö-20
sische nicht einmal Eine -- und daß sogar ein Sonnenberg mit seiner
starb: dazu muß der Grund viel tiefer gesucht werden als in der Selten-
heit epischer Talente.

Verzeihen Sie übrigens, daß ich eben so freimüthig gegen Sie war,
als Sie gegen mich gewesen. -- Leben Sie glücklich, brauch' ich kaum25
zu wünschen; ein[en] Dichter kann wenigstens sein Innen beglücken,
wenn auch nicht immer sein Außen; und womit er andere erfreuet,
damit kann er sich ja aus der ersten Hand erfreuen.

Ihr etc.
196. An Georg Reimer in Berlin.30

Von Ihren Gesinnungen bin ich, bester Reimer, leichter zu über-
zeugen als von Ihren Gründen. Der langsame Verkauf der alten
Mumien, von welchen Matzdorf gewiß eine übermäßige Auflage ge-
macht, läßt keinen Schluß auf eine neue zu, vollends mit der Hyperbel35
von 30 Jahren, die ja schon die dritte Auflage des Hesperus nach der

Anerkennung oder auch Verkennung eines Kunſtwerks kann die Welt
an Briefen und Urtheilen über daſſelbe, zumal vom Verfaſſer ſelber,
Antheil nehmen. So warten Sie denn mit den Ihrigen, wie ich mit
meinem, bis das Werk lebendig vor Deutſchland ſteht und ſpricht. Wäre
dann an meinem Lobwort darüber noch etwas gelegen: gern ſprech’5
ich es öffentlich aus. — Kein Verleger nähme Ihre Briefe wegen ihres
auf ein gar zu enges Publikum beſchränkten Intereſſe an, ſogar wenn
ich gegen meine Grundſätze eine Vorrede dazu ſchriebe; aber dieſe ver-
boten es mir ſchon ſeit Jahren, wie ſo manche Handſchriftſteller be-
zeugen könnten, die eine foderten. — Ihre vielſeitige Beleſenheit be-10
zeugt und vermehrt Ihre Geiſtes Freiheit.

Ihre orthographiſchen Neuerungen werden leicht bei den wichtigern
des Dialekts überwunden. Hochdeutſch wird zwar mit allen ſeinen
Übellauten den Thron fortbehaupten; aber das Altdeutſch mit ſeinen
noch in der Schweiz athmenden Wohllauten kann und ſoll durch die15
Dichtkunſt uns vertraulicher genähert werden; und die Schweizer
ſelber [werden] Ihr patriotiſches und Ihr dichteriſches Feuer beſonders
ehren und anfachen. Indeß würden Sie doch, glaub’ ich, weit näher
Ihrem Sprachziele kommen auf dem Wege Hebels, der nur kurze
Dichtungen gab. Daß keine Nazion zwei Epopöen hat — die franzö-20
ſiſche nicht einmal Eine — und daß ſogar ein Sonnenberg mit ſeiner
ſtarb: dazu muß der Grund viel tiefer geſucht werden als in der Selten-
heit epiſcher Talente.

Verzeihen Sie übrigens, daß ich eben ſo freimüthig gegen Sie war,
als Sie gegen mich geweſen. — Leben Sie glücklich, brauch’ ich kaum25
zu wünſchen; ein[en] Dichter kann wenigſtens ſein Innen beglücken,
wenn auch nicht immer ſein Außen; und womit er andere erfreuet,
damit kann er ſich ja aus der erſten Hand erfreuen.

Ihr ꝛc.
196. An Georg Reimer in Berlin.30

Von Ihren Geſinnungen bin ich, beſter Reimer, leichter zu über-
zeugen als von Ihren Gründen. Der langſame Verkauf der alten
Mumien, von welchen Matzdorf gewiß eine übermäßige Auflage ge-
macht, läßt keinen Schluß auf eine neue zu, vollends mit der Hyperbel35
von 30 Jahren, die ja ſchon die dritte Auflage des Hesperus nach der

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[124/0130] Anerkennung oder auch Verkennung eines Kunſtwerks kann die Welt an Briefen und Urtheilen über daſſelbe, zumal vom Verfaſſer ſelber, Antheil nehmen. So warten Sie denn mit den Ihrigen, wie ich mit meinem, bis das Werk lebendig vor Deutſchland ſteht und ſpricht. Wäre dann an meinem Lobwort darüber noch etwas gelegen: gern ſprech’ 5 ich es öffentlich aus. — Kein Verleger nähme Ihre Briefe wegen ihres auf ein gar zu enges Publikum beſchränkten Intereſſe an, ſogar wenn ich gegen meine Grundſätze eine Vorrede dazu ſchriebe; aber dieſe ver- boten es mir ſchon ſeit Jahren, wie ſo manche Handſchriftſteller be- zeugen könnten, die eine foderten. — Ihre vielſeitige Beleſenheit be- 10 zeugt und vermehrt Ihre Geiſtes Freiheit. Ihre orthographiſchen Neuerungen werden leicht bei den wichtigern des Dialekts überwunden. Hochdeutſch wird zwar mit allen ſeinen Übellauten den Thron fortbehaupten; aber das Altdeutſch mit ſeinen noch in der Schweiz athmenden Wohllauten kann und ſoll durch die 15 Dichtkunſt uns vertraulicher genähert werden; und die Schweizer ſelber [werden] Ihr patriotiſches und Ihr dichteriſches Feuer beſonders ehren und anfachen. Indeß würden Sie doch, glaub’ ich, weit näher Ihrem Sprachziele kommen auf dem Wege Hebels, der nur kurze Dichtungen gab. Daß keine Nazion zwei Epopöen hat — die franzö- 20 ſiſche nicht einmal Eine — und daß ſogar ein Sonnenberg mit ſeiner ſtarb: dazu muß der Grund viel tiefer geſucht werden als in der Selten- heit epiſcher Talente. Verzeihen Sie übrigens, daß ich eben ſo freimüthig gegen Sie war, als Sie gegen mich geweſen. — Leben Sie glücklich, brauch’ ich kaum 25 zu wünſchen; ein[en] Dichter kann wenigſtens ſein Innen beglücken, wenn auch nicht immer ſein Außen; und womit er andere erfreuet, damit kann er ſich ja aus der erſten Hand erfreuen. Ihr ꝛc. 196. An Georg Reimer in Berlin. 30 Baireut d. 15. Jul. 1821 Von Ihren Geſinnungen bin ich, beſter Reimer, leichter zu über- zeugen als von Ihren Gründen. Der langſame Verkauf der alten Mumien, von welchen Matzdorf gewiß eine übermäßige Auflage ge- macht, läßt keinen Schluß auf eine neue zu, vollends mit der Hyperbel 35 von 30 Jahren, die ja ſchon die dritte Auflage des Hesperus nach der

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/130>, abgerufen am 03.05.2024.