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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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und -- Napoleons, ein Feind aller Wunder, Geister, ein etc. etc. pro-
saischer Prosaist, wie man "poetische Poeten" hat. Wie die Männ-
chen aus Hollundermark am Kopfe mit Blei bedachet, so können Sie
ihn heute so oft aufstellen (nämlich widerlegen) als Sie wollen,
morgen steht das Männchen doch wieder auf dem schweren Kopfe.5
Übrigens ist er nur im Schreiben bissig -- daher ich zuletzt kein
Handbriefchen mehr von ihm annahm --, aber im Leben und
Sprechen sanft, gemäßigt und von vielen Seiten seines Gemüths
sehr achtbar. Er hat zwar Kenntnisse mehrer Sprachen, aber nirgend
tiefe, sondern mäßige, doch nicht seichte ... Nur Ihnen zu Liebe10
schrieb ich diese langweilige Nachricht. Übrigens aber steht Ihnen
das Nennen seines Namen frei; seine Unsichtbarkeit hat er durch
seine persönlichen Anspielungen verwirkt.*)

-- Ach wie viel hätt' ich nun erst zu antworten! -- Das Unken
der deutschen Sprache (die ungs, wovon uns im Lateinischen das15
einzige quincunx so auffällt) werf' ich, aber mit bescheidener Frei-
heit und mit eben so hoher Ehrfurcht für Wirkung, Ausdruck und
Dichtkunst als für Sprache, in allen meinen Werken heraus (zumal
in den künftigen op. omn.), so auch Fremdwörter; nur aber solche
nicht wie z. B. Antike, um welche sich ein ganzer Bienenschwarm20
nicht anders zu ersetzender Nebenbegriffe hängt. Statt Ihres
"Höchstschön" oder "Denkschönbild" für "Ideal" würd' ich
lieber Höchstbild oder Höchstdenkbild vorschlagen, da es ja Ideale
auch im Wissen, Handeln und Teufeln gibt. Der Dichter muß am
meisten das Ohr schonen und kann also schwer sagen, z. B. die "Hoffe"25
(warum nicht lieber Hoffnis); weniger hat es nöthig und mehr kann
wagen und einführen der Wissenschafter, der Scherzmacher.

Im künftigen Monat bin ich in Regensburg. Lieber sollt' ich
zu Ihnen reisen als Sie zu mir, da ich in Ihrem Sprachschatzberg-
werke nur den Haspel drehen kann, Sie aber das Erz finden und30
födern. Besser reiseten Sie vielmehr nach Freiberg zum trefflichen
Werner, welcher (seltsam genug) für die vorige Allegorie zugleich
das Bildliche und das Unbildliche hergab; denn ich brachte einmal
einen ganzen Abend mit ihm im Zuhören seiner Abhandlung über

*) Er selber behält sich den Alleinhandel des Neuerns vor: so schreibt35
er blos mit lateinischen Buchstaben -- kein ph, kein ß, kein th sondern
Tat, Rat, muss, mü sen, dass.

und — Napoleons, ein Feind aller Wunder, Geiſter, ein ꝛc. ꝛc. pro-
ſaiſcher Proſaiſt, wie man „poetiſche Poeten“ hat. Wie die Männ-
chen aus Hollundermark am Kopfe mit Blei bedachet, ſo können Sie
ihn heute ſo oft aufſtellen (nämlich widerlegen) als Sie wollen,
morgen ſteht das Männchen doch wieder auf dem ſchweren Kopfe.5
Übrigens iſt er nur im Schreiben biſſig — daher ich zuletzt kein
Handbriefchen mehr von ihm annahm —, aber im Leben und
Sprechen ſanft, gemäßigt und von vielen Seiten ſeines Gemüths
ſehr achtbar. Er hat zwar Kenntniſſe mehrer Sprachen, aber nirgend
tiefe, ſondern mäßige, doch nicht ſeichte ... Nur Ihnen zu Liebe10
ſchrieb ich dieſe langweilige Nachricht. Übrigens aber ſteht Ihnen
das Nennen ſeines Namen frei; ſeine Unſichtbarkeit hat er durch
ſeine perſönlichen Anſpielungen verwirkt.*)

— Ach wie viel hätt’ ich nun erſt zu antworten! — Das Unken
der deutſchen Sprache (die ungs, wovon uns im Lateiniſchen das15
einzige quincunx ſo auffällt) werf’ ich, aber mit beſcheidener Frei-
heit und mit eben ſo hoher Ehrfurcht für Wirkung, Ausdruck und
Dichtkunſt als für Sprache, in allen meinen Werken heraus (zumal
in den künftigen op. omn.), ſo auch Fremdwörter; nur aber ſolche
nicht wie z. B. Antike, um welche ſich ein ganzer Bienenſchwarm20
nicht anders zu erſetzender Nebenbegriffe hängt. Statt Ihres
Höchſtſchön“ oder „Denkſchönbild“ für „Ideal“ würd’ ich
lieber Höchſtbild oder Höchſtdenkbild vorſchlagen, da es ja Ideale
auch im Wiſſen, Handeln und Teufeln gibt. Der Dichter muß am
meiſten das Ohr ſchonen und kann alſo ſchwer ſagen, z. B. die „Hoffe“25
(warum nicht lieber Hoffnis); weniger hat es nöthig und mehr kann
wagen und einführen der Wiſſenſchafter, der Scherzmacher.

Im künftigen Monat bin ich in Regensburg. Lieber ſollt’ ich
zu Ihnen reiſen als Sie zu mir, da ich in Ihrem Sprachſchatzberg-
werke nur den Haſpel drehen kann, Sie aber das Erz finden und30
födern. Beſſer reiſeten Sie vielmehr nach Freiberg zum trefflichen
Werner, welcher (ſeltſam genug) für die vorige Allegorie zugleich
das Bildliche und das Unbildliche hergab; denn ich brachte einmal
einen ganzen Abend mit ihm im Zuhören ſeiner Abhandlung über

*) Er ſelber behält ſich den Alleinhandel des Neuerns vor: ſo ſchreibt35
er blos mit lateiniſchen Buchſtaben — kein ph, kein ß, kein th ſondern
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[69/0074] und — Napoleons, ein Feind aller Wunder, Geiſter, ein ꝛc. ꝛc. pro- ſaiſcher Proſaiſt, wie man „poetiſche Poeten“ hat. Wie die Männ- chen aus Hollundermark am Kopfe mit Blei bedachet, ſo können Sie ihn heute ſo oft aufſtellen (nämlich widerlegen) als Sie wollen, morgen ſteht das Männchen doch wieder auf dem ſchweren Kopfe. 5 Übrigens iſt er nur im Schreiben biſſig — daher ich zuletzt kein Handbriefchen mehr von ihm annahm —, aber im Leben und Sprechen ſanft, gemäßigt und von vielen Seiten ſeines Gemüths ſehr achtbar. Er hat zwar Kenntniſſe mehrer Sprachen, aber nirgend tiefe, ſondern mäßige, doch nicht ſeichte ... Nur Ihnen zu Liebe 10 ſchrieb ich dieſe langweilige Nachricht. Übrigens aber ſteht Ihnen das Nennen ſeines Namen frei; ſeine Unſichtbarkeit hat er durch ſeine perſönlichen Anſpielungen verwirkt. *) — Ach wie viel hätt’ ich nun erſt zu antworten! — Das Unken der deutſchen Sprache (die ungs, wovon uns im Lateiniſchen das 15 einzige quincunx ſo auffällt) werf’ ich, aber mit beſcheidener Frei- heit und mit eben ſo hoher Ehrfurcht für Wirkung, Ausdruck und Dichtkunſt als für Sprache, in allen meinen Werken heraus (zumal in den künftigen op. omn.), ſo auch Fremdwörter; nur aber ſolche nicht wie z. B. Antike, um welche ſich ein ganzer Bienenſchwarm 20 nicht anders zu erſetzender Nebenbegriffe hängt. Statt Ihres „Höchſtſchön“ oder „Denkſchönbild“ für „Ideal“ würd’ ich lieber Höchſtbild oder Höchſtdenkbild vorſchlagen, da es ja Ideale auch im Wiſſen, Handeln und Teufeln gibt. Der Dichter muß am meiſten das Ohr ſchonen und kann alſo ſchwer ſagen, z. B. die „Hoffe“ 25 (warum nicht lieber Hoffnis); weniger hat es nöthig und mehr kann wagen und einführen der Wiſſenſchafter, der Scherzmacher. Im künftigen Monat bin ich in Regensburg. Lieber ſollt’ ich zu Ihnen reiſen als Sie zu mir, da ich in Ihrem Sprachſchatzberg- werke nur den Haſpel drehen kann, Sie aber das Erz finden und 30 födern. Beſſer reiſeten Sie vielmehr nach Freiberg zum trefflichen Werner, welcher (ſeltſam genug) für die vorige Allegorie zugleich das Bildliche und das Unbildliche hergab; denn ich brachte einmal einen ganzen Abend mit ihm im Zuhören ſeiner Abhandlung über *) Er ſelber behält ſich den Alleinhandel des Neuerns vor: ſo ſchreibt 35 er blos mit lateiniſchen Buchſtaben — kein ph, kein ß, kein th ſondern Tât, Rât, muſſ, mü ſen, daſſ.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/74>, abgerufen am 28.04.2024.