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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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133. An Emanuel.

Guten Morgen, mein alter Emanuel! Nicht wahr, dieses so
höfliche Schreiben mit der närrischen Geheimschrift unten ist von
Montgelas? -- Anbei folgt ein Nußknacker, den ich schon seit Jahren5
Ihnen zurück zu geben vorhabe; aber so ist der Mensch.

Um den Brief bitt ich Sie wieder.

134. An Professor Meckel in Halle.
[Kopie]10

-- Schon im Sommer erhielt ich ein Briefchen, welches -- wie
sonst Zwerge auf Ritterschlößern den Riesen -- das Folio ankün-
digte, das aber nicht eher kam als Ende Nov. mit einem 2ten Brief-
chen -- -- Zueignung eines berühmten Arztes und Anatomen an
einen dichtenden und scherzenden Schreiber, der Ihre beiden Titel
nur in sehr fernem und figürlichem Sinn zu erwerben vermag -- daß15
wir die Wege der Natur am schärfsten auf ihren Irrwegen oder
vielmehr Auswegen berechnen und übersehen können, wie Bewe-
gungen der Himmelkörper aus ihren Anomalien. Gäb' es lauter
Gesunde, so wäre niemand unwissender als der Physiolog; und
gingen nicht, würde Katzenberger fortfahren, mit den Krankheiten20
die besten Pathologien unter und nur die elenden blieben lebendig?

Rathen Sie mir zu keinen Satiren gegen modische d. h. fliegende
Thorheiten. Sie sind vorüber gefahren, ehe man nur zum Bogen E
oder gar zur Vorrede sich hingeschrieben. Die Wurzeln, nicht die
Blätter der Narrheit muß man abreißen, da diese von selber fallen,25
jene von selber bleiben.

Empfangen Sie hier nicht blos meinen Dank für Ihr mich so
belehrendes Geschenk, sondern auch den Ausdruck meiner Achtung
für den Mann, der so schön die Gegensätze des Wissens und des
Dichtens nicht etwa in einem bloßen Indifferenz-, sondern Durch-30
dringpunkt vereinigt. Denn seltsam genug ist die neuere Theorie,
welche gerade die Zusammenströmung zweier Kräfte mechanisch als
Aufhebpunkte, anstatt als wechselseitige Hebpunkte annimmt. In
der Geisterwelt ist ja gerade der sogenannte Indifferenzpunkt der
höchst-wirkende überall hin; und an den Polen gibts nur Geschöpfe,35
in der Mitte nur einen Schöpfer.

4 Jean Paul Briefe. VII.
133. An Emanuel.

Guten Morgen, mein alter Emanuel! Nicht wahr, dieſes ſo
höfliche Schreiben mit der närriſchen Geheimſchrift unten iſt von
Montgelas? — Anbei folgt ein Nußknacker, den ich ſchon ſeit Jahren5
Ihnen zurück zu geben vorhabe; aber ſo iſt der Menſch.

Um den Brief bitt ich Sie wieder.

134. An Profeſſor Meckel in Halle.
[Kopie]10

— Schon im Sommer erhielt ich ein Briefchen, welches — wie
ſonſt Zwerge auf Ritterſchlößern den Rieſen — das Folio ankün-
digte, das aber nicht eher kam als Ende Nov. mit einem 2ten Brief-
chen — — Zueignung eines berühmten Arztes und Anatomen an
einen dichtenden und ſcherzenden Schreiber, der Ihre beiden Titel
nur in ſehr fernem und figürlichem Sinn zu erwerben vermag — daß15
wir die Wege der Natur am ſchärfſten auf ihren Irrwegen oder
vielmehr Auswegen berechnen und überſehen können, wie Bewe-
gungen der Himmelkörper aus ihren Anomalien. Gäb’ es lauter
Geſunde, ſo wäre niemand unwiſſender als der Phyſiolog; und
gingen nicht, würde Katzenberger fortfahren, mit den Krankheiten20
die beſten Pathologien unter und nur die elenden blieben lebendig?

Rathen Sie mir zu keinen Satiren gegen modiſche d. h. fliegende
Thorheiten. Sie ſind vorüber gefahren, ehe man nur zum Bogen E
oder gar zur Vorrede ſich hingeſchrieben. Die Wurzeln, nicht die
Blätter der Narrheit muß man abreißen, da dieſe von ſelber fallen,25
jene von ſelber bleiben.

Empfangen Sie hier nicht blos meinen Dank für Ihr mich ſo
belehrendes Geſchenk, ſondern auch den Ausdruck meiner Achtung
für den Mann, der ſo ſchön die Gegenſätze des Wiſſens und des
Dichtens nicht etwa in einem bloßen Indifferenz-, ſondern Durch-30
dringpunkt vereinigt. Denn ſeltſam genug iſt die neuere Theorie,
welche gerade die Zuſammenſtrömung zweier Kräfte mechaniſch als
Aufhebpunkte, anſtatt als wechſelſeitige Hebpunkte annimmt. In
der Geiſterwelt iſt ja gerade der ſogenannte Indifferenzpunkt der
höchſt-wirkende überall hin; und an den Polen gibts nur Geſchöpfe,35
in der Mitte nur einen Schöpfer.

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[49/0054] 133. An Emanuel. [Bayreuth, 17. Dez. 1815] Guten Morgen, mein alter Emanuel! Nicht wahr, dieſes ſo höfliche Schreiben mit der närriſchen Geheimſchrift unten iſt von Montgelas? — Anbei folgt ein Nußknacker, den ich ſchon ſeit Jahren 5 Ihnen zurück zu geben vorhabe; aber ſo iſt der Menſch. Um den Brief bitt ich Sie wieder. 134. An Profeſſor Meckel in Halle. [Bayreuth, 17. Dez. 1815] 10 — Schon im Sommer erhielt ich ein Briefchen, welches — wie ſonſt Zwerge auf Ritterſchlößern den Rieſen — das Folio ankün- digte, das aber nicht eher kam als Ende Nov. mit einem 2ten Brief- chen — — Zueignung eines berühmten Arztes und Anatomen an einen dichtenden und ſcherzenden Schreiber, der Ihre beiden Titel nur in ſehr fernem und figürlichem Sinn zu erwerben vermag — daß 15 wir die Wege der Natur am ſchärfſten auf ihren Irrwegen oder vielmehr Auswegen berechnen und überſehen können, wie Bewe- gungen der Himmelkörper aus ihren Anomalien. Gäb’ es lauter Geſunde, ſo wäre niemand unwiſſender als der Phyſiolog; und gingen nicht, würde Katzenberger fortfahren, mit den Krankheiten 20 die beſten Pathologien unter und nur die elenden blieben lebendig? Rathen Sie mir zu keinen Satiren gegen modiſche d. h. fliegende Thorheiten. Sie ſind vorüber gefahren, ehe man nur zum Bogen E oder gar zur Vorrede ſich hingeſchrieben. Die Wurzeln, nicht die Blätter der Narrheit muß man abreißen, da dieſe von ſelber fallen, 25 jene von ſelber bleiben. Empfangen Sie hier nicht blos meinen Dank für Ihr mich ſo belehrendes Geſchenk, ſondern auch den Ausdruck meiner Achtung für den Mann, der ſo ſchön die Gegenſätze des Wiſſens und des Dichtens nicht etwa in einem bloßen Indifferenz-, ſondern Durch- 30 dringpunkt vereinigt. Denn ſeltſam genug iſt die neuere Theorie, welche gerade die Zuſammenſtrömung zweier Kräfte mechaniſch als Aufhebpunkte, anſtatt als wechſelſeitige Hebpunkte annimmt. In der Geiſterwelt iſt ja gerade der ſogenannte Indifferenzpunkt der höchſt-wirkende überall hin; und an den Polen gibts nur Geſchöpfe, 35 in der Mitte nur einen Schöpfer. 4 Jean Paul Briefe. VII.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/54>, abgerufen am 27.04.2024.