Wanke nur aber nie dein Vertrauen auf meine goldfeste Liebe, würden auch meiner Briefe -- wie dieß wirklich gegen andere ge- schieht und täglich zunimmt -- vierteljährlich wenigere. --
Meine Frau ist vorgestern nach Dresden zu ihrer Schwester ge- reiset, um nach Berlin zu gehen und die Zimmer ihres geliebten5 Vaters zu sehen; denn er selber ist am 1ten nach dem Besuche des Schauspieles und einem heitern Tage in der Nacht durch einen Schlagfluß -- hinübergegangen; wie eine Sonne am Gleicher, ging er unter ohne Dämmerung und auf einmal. Gott sei Dank, daß ich ihn noch einmal sehen und erfreuen und recht lieben konnte.10 Meine kühne Caroline ließ sich diese ganz einsame Winterreise des Schmerzes, schon aus Liebe für die herrliche Stiefmutter, nicht nehmen und wehren.
Mein Max ist seelig in München -- beinahe der Hausfreund von Thiersch, Schlichtegroll und vieler -- und in allem mir noch mehr15 Schönes haltend als er versprochen. Deiner gedenkt er liebend und verehrend in seinen Briefen oft. -- Die Herzogin von Kurland, deren Tochter (die Hohenzollern) mir meinen Aufsatz abgeschrieben, sprach in ihrem Heidelberger Briefe mit Bedauern davon, daß sie dich stündlich erwartet habe und daß sie dich verreiset geglaubt. Du20 hättest ohne Weiteres zu ihr gehen sollen.
30ten Nov.
Himmel! Schon der dreißigste!
d. 2tenDec.
Meine Besorgnis der deinigen läßt mich nicht länger ruhen;25 morgen soll der Brief fort, so mager er auch abreise. Das Werkchen deines Vaters hat hier jeden Kräftigen -- zumal in solcher politischen Zwergen- und Fastenzeit -- gestärkt. Der herrlichste Löseschlüssel zum Werke und zum Gemüthe ist S. 47 die Anrede an Stolberg "wie damals, mein Stolberg, so wird uns sein etc.etc." (Ich habe das30 Büchlein nicht zu Hause) -- und Seite 102. Wie ein Fruchtregen unter dem Donner erquickt jene Anrede den Leser und zeigt ihm weit in die ganze Seele des Verfassers hinein. Gegen den Adel hat er überall Recht, obwol nicht immer mit den nämlichen Waffen. St[olberg]s Übertritt kann doch nur als Irrthum erscheinen, und35 sogar sein Verheimlichen und Fortpflanzen nur als dessen Folge,
Wanke nur aber nie dein Vertrauen auf meine goldfeſte Liebe, würden auch meiner Briefe — wie dieß wirklich gegen andere ge- ſchieht und täglich zunimmt — vierteljährlich wenigere. —
Meine Frau iſt vorgeſtern nach Dresden zu ihrer Schweſter ge- reiſet, um nach Berlin zu gehen und die Zimmer ihres geliebten5 Vaters zu ſehen; denn er ſelber iſt am 1ten nach dem Beſuche des Schauſpieles und einem heitern Tage in der Nacht durch einen Schlagfluß — hinübergegangen; wie eine Sonne am Gleicher, ging er unter ohne Dämmerung und auf einmal. Gott ſei Dank, daß ich ihn noch einmal ſehen und erfreuen und recht lieben konnte.10 Meine kühne Caroline ließ ſich dieſe ganz einſame Winterreiſe des Schmerzes, ſchon aus Liebe für die herrliche Stiefmutter, nicht nehmen und wehren.
Mein Max iſt ſeelig in München — beinahe der Hausfreund von Thiersch, Schlichtegroll und vieler — und in allem mir noch mehr15 Schönes haltend als er verſprochen. Deiner gedenkt er liebend und verehrend in ſeinen Briefen oft. — Die Herzogin von Kurland, deren Tochter (die Hohenzollern) mir meinen Aufſatz abgeſchrieben, ſprach in ihrem Heidelberger Briefe mit Bedauern davon, daß ſie dich ſtündlich erwartet habe und daß ſie dich verreiſet geglaubt. Du20 hätteſt ohne Weiteres zu ihr gehen ſollen.
30ten Nov.
Himmel! Schon der dreißigſte!
d. 2tenDec.
Meine Beſorgnis der deinigen läßt mich nicht länger ruhen;25 morgen ſoll der Brief fort, ſo mager er auch abreiſe. Das Werkchen deines Vaters hat hier jeden Kräftigen — zumal in ſolcher politiſchen Zwergen- und Faſtenzeit — geſtärkt. Der herrlichſte Löſeſchlüſſel zum Werke und zum Gemüthe iſt S. 47 die Anrede an Stolberg „wie damals, mein Stolberg, ſo wird uns ſein ꝛc.ꝛc.“ (Ich habe das30 Büchlein nicht zu Hauſe) — und Seite 102. Wie ein Fruchtregen unter dem Donner erquickt jene Anrede den Leſer und zeigt ihm weit in die ganze Seele des Verfaſſers hinein. Gegen den Adel hat er überall Recht, obwol nicht immer mit den nämlichen Waffen. St[olberg]s Übertritt kann doch nur als Irrthum erſcheinen, und35 ſogar ſein Verheimlichen und Fortpflanzen nur als deſſen Folge,
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Wanke nur aber nie dein Vertrauen auf meine goldfeſte Liebe,
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Meine Frau iſt vorgeſtern nach Dresden zu ihrer Schweſter ge-
reiſet, um nach Berlin zu gehen und die Zimmer ihres geliebten 5
Vaters zu ſehen; denn er ſelber iſt am 1ten nach dem Beſuche des
Schauſpieles und einem heitern Tage in der Nacht durch einen
Schlagfluß — hinübergegangen; wie eine Sonne am Gleicher,
ging er unter ohne Dämmerung und auf einmal. Gott ſei Dank,
daß ich ihn noch einmal ſehen und erfreuen und recht lieben konnte. 10
Meine kühne Caroline ließ ſich dieſe ganz einſame Winterreiſe des
Schmerzes, ſchon aus Liebe für die herrliche Stiefmutter, nicht
nehmen und wehren.
Mein Max iſt ſeelig in München — beinahe der Hausfreund von
Thiersch, Schlichtegroll und vieler — und in allem mir noch mehr 15
Schönes haltend als er verſprochen. Deiner gedenkt er liebend und
verehrend in ſeinen Briefen oft. — Die Herzogin von Kurland,
deren Tochter (die Hohenzollern) mir meinen Aufſatz abgeſchrieben,
ſprach in ihrem Heidelberger Briefe mit Bedauern davon, daß ſie dich
ſtündlich erwartet habe und daß ſie dich verreiſet geglaubt. Du 20
hätteſt ohne Weiteres zu ihr gehen ſollen.
30ten Nov.
Himmel! Schon der dreißigſte!
d. 2ten Dec.
Meine Beſorgnis der deinigen läßt mich nicht länger ruhen; 25
morgen ſoll der Brief fort, ſo mager er auch abreiſe. Das Werkchen
deines Vaters hat hier jeden Kräftigen — zumal in ſolcher politiſchen
Zwergen- und Faſtenzeit — geſtärkt. Der herrlichſte Löſeſchlüſſel
zum Werke und zum Gemüthe iſt S. 47 die Anrede an Stolberg
„wie damals, mein Stolberg, ſo wird uns ſein ꝛc.ꝛc.“ (Ich habe das 30
Büchlein nicht zu Hauſe) — und Seite 102. Wie ein Fruchtregen
unter dem Donner erquickt jene Anrede den Leſer und zeigt ihm
weit in die ganze Seele des Verfaſſers hinein. Gegen den Adel hat
er überall Recht, obwol nicht immer mit den nämlichen Waffen.
St[olberg]s Übertritt kann doch nur als Irrthum erſcheinen, und 35
ſogar ſein Verheimlichen und Fortpflanzen nur als deſſen Folge,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/328>, abgerufen am 16.07.2024.
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