nicht ab. -- Du sollst keine Stunden geben, da du kaum zum Nehmen derselben Zeit genug hast. Studiere abends nie über 11 Uhr; den Verlust bringt die größere Zahl der Morgenstunden im Sommer ein. Augen und Nerven halten es wol einige Jahre unter dem Scheine voller Gesundheit aus; aber dann bricht alles auf desto5 längere Zeit zusammen. Meine fünf[zig]jährige Gesundheit bei 50 literarischen Geburten verdank' ich jener Regel. -- Mache keine Zeichnungen; für dich gibts jetzo keine größere Verschwendung als die der Zeit.10
[Folgen Bemerkungen über Maxens "Schreibkrüpel".]
Die Ballen Papier, die du zu verschreiben hast, bis und wenn du gelehrt bist, werden ohnehin deine Buchstaben noch genug ver- renken und zerquetschen. Glattes Papier, wenn auch nur wenig weiß, wäre mir ein herrliches Glatteis für das Schlittschuhlaufen meiner Feder; sende mir ein Schnitzchen, z. B. als Couvert, zur15 Probe mit. Hast du nicht die Bibel und das französische Lexikon, sonst doch keine freundliche Nachbarn, in deinem Fasse zusammen- gebracht? -- Kirchenrath Kaiser bracht' uns freudig und gütig die Nachricht, in welchem schönen warmen Klima lauter liebender Menschen du lebst. Bringe darunter Thiersch Dank und Gruß;20 und nun vollends den theuern Schlichtegrolls. -- Ich freue mich innig auf den Frühling, wo ich dich wiedersehe als einen aufgeblühten zweiten Frühling, der mich im Spät-Herbste meines Lebens belohnt.
Dein Vater
597. An Otto.25
[Bayreuth, 20. (?) Nov. 1819]
Guten Morgen, lieber Otto! Gestern Nachmittags wollt' ich dir wegen der angränzenden Wirkung auf die Nacht, die Nachricht von meines guten Schwiegervaters Tode nicht schicken. Wie eine Sonne am Gleicher ging er ohne Dämmerung unter auf einmal. --30 Ich habe bei meiner armen Frau den heftigsten Stoß durch die Gegenwart der Welden gemildert, die ich mir zur Mittheilung der Nachricht hergebeten. -- Du wirst dich wie ich über den so sittlich reifenden Max erfreuen.
nicht ab. — Du ſollſt keine Stunden geben, da du kaum zum Nehmen derſelben Zeit genug haſt. Studiere abends nie über 11 Uhr; den Verluſt bringt die größere Zahl der Morgenſtunden im Sommer ein. Augen und Nerven halten es wol einige Jahre unter dem Scheine voller Geſundheit aus; aber dann bricht alles auf deſto5 längere Zeit zuſammen. Meine fünf[zig]jährige Geſundheit bei 50 literariſchen Geburten verdank’ ich jener Regel. — Mache keine Zeichnungen; für dich gibts jetzo keine größere Verſchwendung als die der Zeit.10
[Folgen Bemerkungen über Maxens „Schreibkrüpel“.]
Die Ballen Papier, die du zu verſchreiben haſt, bis und wenn du gelehrt biſt, werden ohnehin deine Buchſtaben noch genug ver- renken und zerquetſchen. Glattes Papier, wenn auch nur wenig weiß, wäre mir ein herrliches Glatteis für das Schlittſchuhlaufen meiner Feder; ſende mir ein Schnitzchen, z. B. als Couvert, zur15 Probe mit. Haſt du nicht die Bibel und das franzöſiſche Lexikon, ſonſt doch keine freundliche Nachbarn, in deinem Faſſe zuſammen- gebracht? — Kirchenrath Kaiser bracht’ uns freudig und gütig die Nachricht, in welchem ſchönen warmen Klima lauter liebender Menſchen du lebſt. Bringe darunter Thiersch Dank und Gruß;20 und nun vollends den theuern Schlichtegrolls. — Ich freue mich innig auf den Frühling, wo ich dich wiederſehe als einen aufgeblühten zweiten Frühling, der mich im Spät-Herbſte meines Lebens belohnt.
Dein Vater
597. An Otto.25
[Bayreuth, 20. (?) Nov. 1819]
Guten Morgen, lieber Otto! Geſtern Nachmittags wollt’ ich dir wegen der angränzenden Wirkung auf die Nacht, die Nachricht von meines guten Schwiegervaters Tode nicht ſchicken. Wie eine Sonne am Gleicher ging er ohne Dämmerung unter auf einmal. —30 Ich habe bei meiner armen Frau den heftigſten Stoß durch die Gegenwart der Welden gemildert, die ich mir zur Mittheilung der Nachricht hergebeten. — Du wirſt dich wie ich über den ſo ſittlich reifenden Max erfreuen.
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[313/0325]
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Verluſt bringt die größere Zahl der Morgenſtunden im Sommer
ein. Augen und Nerven halten es wol einige Jahre unter dem
Scheine voller Geſundheit aus; aber dann bricht alles auf deſto 5
längere Zeit zuſammen. Meine fünf[zig]jährige Geſundheit bei
50 literariſchen Geburten verdank’ ich jener Regel. — Mache keine
Zeichnungen; für dich gibts jetzo keine größere Verſchwendung
als die der Zeit. 10
Die Ballen Papier, die du zu verſchreiben haſt, bis und wenn
du gelehrt biſt, werden ohnehin deine Buchſtaben noch genug ver-
renken und zerquetſchen. Glattes Papier, wenn auch nur wenig
weiß, wäre mir ein herrliches Glatteis für das Schlittſchuhlaufen
meiner Feder; ſende mir ein Schnitzchen, z. B. als Couvert, zur 15
Probe mit. Haſt du nicht die Bibel und das franzöſiſche Lexikon,
ſonſt doch keine freundliche Nachbarn, in deinem Faſſe zuſammen-
gebracht? — Kirchenrath Kaiser bracht’ uns freudig und gütig
die Nachricht, in welchem ſchönen warmen Klima lauter liebender
Menſchen du lebſt. Bringe darunter Thiersch Dank und Gruß; 20
und nun vollends den theuern Schlichtegrolls. — Ich freue mich
innig auf den Frühling, wo ich dich wiederſehe als einen aufgeblühten
zweiten Frühling, der mich im Spät-Herbſte meines Lebens belohnt.
Dein Vater
597. An Otto. 25
[Bayreuth, 20. (?) Nov. 1819]
Guten Morgen, lieber Otto! Geſtern Nachmittags wollt’ ich
dir wegen der angränzenden Wirkung auf die Nacht, die Nachricht
von meines guten Schwiegervaters Tode nicht ſchicken. Wie eine
Sonne am Gleicher ging er ohne Dämmerung unter auf einmal. — 30
Ich habe bei meiner armen Frau den heftigſten Stoß durch die
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/325>, abgerufen am 16.07.2024.
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